Heinz Faßmann: "Ich halte den Leistungsgedanken für sehr wichtig"
Heinz Faßmann war in der Politik buchstäblich der Größte mit über zwei Metern. Ein Interview über seine Reise in die Politik und zurück, über Integration, Raumordnung und wie es einem Deutschen im grantigen Wien geht.
KURIER: Nobelpreisträger Zeilinger behauptet, als Schüler ein Außenseiter gewesen zu sein. Geht unser Schulsystem mit solchen „Spinnern“ gut genug um?
Heinz Faßmann: Es ist Aufgabe des Bildungssystems, Startnachteile von Schülerinnen und Schülern auszugleichen. Aber es hat tatsächlich den Anschein, dass dabei manchmal der Blick auf hoch Talentierte verloren geht.
Sie kennen die Wissenschaft und als parteiloser Minister auch die Politik. Was unterscheidet die beiden Metiers?
Das sind zwei ganz unterschiedliche Welten. Als Politiker hat man drei bis fünf Bälle in der Luft, die man alle auch auffangen sollte. Man ist mit den Medien in direktem Kontakt. Medien kritisieren, Medien helfen aber auch, bestimmte politische Botschaften hinauszutragen. Also ein sehr anstrengendes Leben. Jedem, der vielleicht mit dem Gedanken spekuliert, Minister, Bundeskanzler oder Bundespräsident zu werden, würde ich raten, gut darüber nachzudenken.
Es braucht eine dicke Haut?
Ja, man darf nicht jedes Kläffen am Wegesrand beachten. Als Wissenschafter hat man eine sehr viel persönlichere Botschaft. Man möchte aus persönlicher Neugier etwas erklären, aufklären, entdecken.
Hat Sie manches verletzt als Politiker?
Ja. Manchmal denkt man sich: „Muss ich mir das alles anhören?“ Bildungspolitik ist halt auch ein kritisches Feld, wo die intellektuelle Eintrittsbarriere zum Mitdiskutieren nicht sehr hoch ist.
In Ihrer Amtszeit hat die Pandemie alles überschattet.
Es war eine schwierige Zeit, weil es einen permanenten Zielkonflikt gab. Die Aufrechterhaltung des Systems war ja sinnvoll. Auf der anderen Seite sagten mir Virologen: „Das Virus freut sich über die Situation in der Schule mit engen Kontakten unter den Kindern.“ Wir haben von der Pandemie aber auch profitiert. Eine Digitalisierung des Bildungswesens in diesem Ausmaß wäre nicht möglich gewesen.
Gleichzeitig haben aber bis zu 40 Prozent der Pflichtschulabgänger Bildungsmängel. Wo bleibt eigentlich der Leistungsgedanke?
Dafür bekommen Sie sicher nicht viele Wählerstimmen. Keine Frage, wir müssen die fehlende Unterstützung des Elternhauses kompensieren. Aber als ehemaliger Spitzensportler halte ich auch den Leistungsgedanken für sehr wichtig.
Basketball?
Ja, und ich weiß ganz genau: Von nichts kommt nichts: Ohne ernsthaftes Training, ohne diszipliniertes Leben kann man am nächsten Tag keine Spitzenleistung abliefern. Schule bereitet nicht immer nur Freude. Manchmal ist es eben auch Pflichterfüllung und Disziplin.
Sie waren als Migrationsexperte Berater von Sebastian Kurz, als der noch Integrationsstaatssekretär war. Er holte Sie dann in die Politik. Später hatten Sie mit ihm Konflikte, vor allem über das Offenhalten von Schulen. Sind Sie enttäuscht von ihm?
Sebastian Kurz war ein außergewöhnliches politisches Talent und hatte eine angenehme Art der Kommunikation. Er konnte einem größeren Publikum politische Sachverhalte gut erklären. Am Ende des Weges waren es Chats, die indiskutabel waren und strafrechtliche Vorwürfe. Ich wäre über eine gerichtliche Aufklärung froh.
Wie ist Ihr Verhältnis heute?
Ein ganz loses. Ich habe ihn einmal im letzten Jahr getroffen. Es war ein sehr nettes Gespräch.
Eine Frage an Sie als Migrationsexperten: Gibt es eine Grenze, ab der eine Gesellschaft weitere Zuwanderung nicht mehr aushält?
Die gibt es nicht, weil es von der Art der Zuwanderung abhängt. Wer am Arbeitsmarkt gebraucht wird, wird integrationspolitisch keine Probleme bereiten. Wenn eine Generation nur zu drei Viertel durch eigene Kinder ersetzt wird, dann brauchen wir allein schon wegen unserer Demografie Zuwanderung.
Schrecken wir Leistungsträger ab, während wir es anderen zu leicht machen?
Das Recht auf Asyl auf der einen Seite ist ein hohes menschliches Gut. Auf der anderen Seite ist Österreich für Arbeitsmigration vielleicht nicht ganz so attraktiv, wie man es gerne hätte.
Die Grünen verhindern hier wohl umfassendere Reformen.
Das kann ich nicht mehr beurteilen. Ich bin Akademie-Präsident und kein Politiker mehr.
Sie wirken darüber erleichtert.
Der Alltag ist leichter geworden, keine Frage.
Sind die Universitäten in den letzten Jahrzehnten nicht auffallend nach links gerückt und jedenfalls moralisch sehr aufgeladen? Wo ist der akademische Diskurs geblieben?
Die Universitäten sind extrem unterschiedlich. Besuchen Sie zum Beispiel die Universität in Leoben, da erleben Sie eine ganz andere Welt als vielleicht an der Uni Wien. Universitäten sind Orte des gesellschaftspolitischen Diskurses. Und das ist gut so!
Die Berliner Humboldt-Uni hat den Vortrag einer Biologin abgesagt, die meinte, es gebe nur zwei Geschlechter.
Aber denken Sie 100, 200 Jahre zurück. Wir sitzen hier im Innenhof der ehemaligen Jesuiten-Universität Wien. Was damals erlaubter Diskurs war, bestimmte die Kirche in einem erheblichen Ausmaß. Seither ist der erlaubte Meinungsraum sehr viel größer geworden.
Sie sind auch Professor für Raumordnung. Wird das Thema zu stiefmütterlich behandelt?
Ja, da sprechen Sie mir aus der Seele. Raumordnung ist extrem wichtig. Was darf wo sein? Da gibt es unterschiedliche Interessen. Aber es muss auch eine Instanz geben, die darüber entscheidet.
Kein Minister ist zuständig.
Raumordnung ist im Wesentlichen Aufgabe der Gemeinden.
Schlimm genug, oder?
Nein, das passt schon. Die wissen, was vor Ort los ist. Aber es braucht mehr Struktur in der Kontrolle durch das Land und möglicherweise auch durch den Bund. Sollte es je zu einem neuen Bauplan der Republik kommen, würde ich das empfehlen.
Konsumieren Sie eigentlich soziale Medien?
Ich nutze WhatsApp privat und schaue mir manchmal die Kommentare auf Zeitungsartikel an. Einem Politiker würde ich von zu häufigem Konsum aber abraten. Das ist nicht gut für die eigene Seele.
Deutsche sind die Lieblingsausländer der Österreicher, sagt man. Ihre Erfahrung damit?
Ja, das kann ich verstehen, obwohl es als Deutscher in Österreich nicht immer einfach war. Als mein Akzent noch stärker war, hat man schon gesagt: „Was macht der Piefke hier?“ Oder: „Wärst du doch in Düsseldorf geblieben.“
Können Sie bestätigen, dass die Wiener das unfreundlichste Volk der Welt sind?
Nein, eigentlich nicht. Sie sind nur manchmal grantig, aber charmant grantig.
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