Die Zahl der Geschlechtsumwandlungen steigt seit Jahren massiv. Ist das eine Folge von Propaganda oder schlägt hier die Biologie durch? Der Mediziner und Theologe Johannes Huber (77) ist führender Hormonspezialist. Er sorgt sich, dass es zu wenig Bewusstsein für den massiven Eingriff gibt und wünscht sich mehr klinische Studien über Langzeitfolgen.
KURIER: In Deutschland gehen die Wogen hoch um ein neues Selbstbestimmungsgesetz. Man soll sein Geschlecht leichter selbst bestimmen können – eine Debatte, die auch in Österreich beginnt. Das richtet sich an transgeschlechtliche, intergeschlechtliche und nicht binäre Menschen. Was ist das aus medizinischer Sicht?
Johannes Huber: Transsexualität kommt am häufigsten vor. Darunter versteht man, dass man nicht jenem Geschlecht angehören möchte, das man biologisch in sich trägt. Diesen Menschen muss man helfen. Ein Sonntagsspaziergang ist eine Geschlechtsumwandlung, auf die es letzten Endes hinauslaufen kann, aber nicht. Wir haben vor 25 Jahren im AKH die erste Transgender-Ambulanz auf akademischem Boden im deutschsprachigen Raum gegründet.
Man hat den Eindruck, dass es immer mehr Geschlechtsumwandlungen gibt. Stimmt das?
Ja, die Tendenz ist extrem steigend, in den letzten zehn Jahren um 1.000 Prozent! Wobei viel mehr Mädchen Burschen werden wollen, als umgekehrt, was natürlich schon zu denken gibt. Früher war dieses Verhältnis 1:1, vielleicht stecken da auch gesellschaftliche Probleme dahinter. Dabei ist die Frau biologisch viel interessanter, viel differenzierter. Das habe ich auch in meinem neuen Buch beschrieben: Der Körper der Frau ist ein Wunderwerk, der des Mannes in vielerlei Hinsicht simpler gestrickt, was Immunsystem, Stoffwechsel, Sinnesorgane betrifft. Die Frau hat 1.000 Gene mehr als der Mann.
Möglicherweise gibt es dafür auch biologische Ursachen. Wir wissen, dass die Mutter in der Schwangerschaft ganz kritische hormonelle Phasen durchmacht, in der das genetische Geschlecht des Kindes besiegelt wird. Feinstaub kann sogenannte endokrine Disruptoren enthalten. Das sind Stoffe mit hormonähnlicher Wirkung, wie sie in Pestiziden vorkommen. Wenn die auf eine Schwangere treffen, kann das tatsächlich eine biochemische oder endokrine Reaktion hervorrufen. Das wird als Hypothese diskutiert, genau weiß man es aber noch nicht.
Es ist wahrscheinlich sehr schwierig, medizinisch zu entscheiden, wo eine Geschlechtsumwandlung notwendig ist, und wo nicht.
Die Angelsachsen haben das relativ großzügig gelöst. Hat jemand den Wunsch, kann er es ändern. Die deutsche Koalition diskutiert ein ähnliches Modell. In Österreich hat man meines Erachtens eine gar nicht so schlechte Position: Mit psychologischer Hilfe wird geklärt, ob das ein wirklich dauerhafter Wunsch ist.
Wie gefährlich ist es denn, die Auflagen zu vereinfachen?
Die Medizin muss sich natürlich auch mit den Nebenwirkungen einer Geschlechtsumwandlung befassen. Denken Sie an die große Diskussion über die Hormonersatztherapie bei Frauen. Die ist aber zeitlich auf zwei, drei Jahre begrenzt. Da hat man aber schon von Gift gesprochen. Und jetzt soll plötzlich ein Mensch ein Leben lang gegengeschlechtliche Hormone nehmen?
Genau. Es gibt Indizien, dass bei einer Geschlechtsumwandlung bestimmte Formen des Hirntumors öfter auftreten. Wir wissen aus Studien auch, dass die Lebenserwartung von Transgender-Menschen um fünf bis sieben Jahre kürzer ist. Solche medizinischen Probleme gehörten in klinischen Studien abgeklärt. Und man muss die Betroffenen aufklären, was eine Geschlechtsumwandlung für Mühsal bedeutet.
Wie oft kommt es vor, dass nach einer Geburt das Geschlecht medizinisch nicht eindeutig feststeht?
Das lag bisher im Promillebereich, nimmt aber zu.
Wie viele Geschlechter gibt es denn aus medizinischer Sicht?
Es ist nicht von ungefähr gekommen, dass die Evolution über Hunderte Millionen von Jahren zwei Geschlechter erschaffen hat.
Gibt’s Geschäftemacherei damit?
Vielleicht – wenn man bedenkt, dass solche Hormone ein Leben lang verschrieben werden.
Man hat den Eindruck, es herrscht geradezu eine Propaganda für Transgender. Der deutsche Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn meint: "Millionen Menschen bekommen von einer großstädtisch geprägten Elite vermittelt, dass sie falsch leben": von Auto, Wohnen bis Sprache und Geschlecht.
Wenn man dem zustimmt, macht man sich natürlich innerhalb von Sekunden viele Feinde. Man soll Menschen helfen, wenn sie wirklich den definitiven Wunsch haben. Das ist völlig legitim und machen wir Mediziner auch. Aber man soll nicht künstlich ein Interesse wecken, das möglicherweise gar nicht da ist. Es geht einem natürlich zu Herzen, wenn ein 17-jähriges Mädchen unbedingt beide Brüste entfernt haben möchte. In der Pubertät sind vor allem Mädchen oft sehr fluide. Da können sich manchmal Wünsche etablieren, die nach zwei Monaten wieder vergessen sind. Daher sollte man lieber abwarten.
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