Warum? „Die Lehrerinnen sind so nett“, hört man oft. „Und man lernt hier etwas.“ Was? „Disziplin“, sagt Maria* (*Namen geändert). „Ohne Regeln geht es nicht“, meint Lehrerin
Gerda Reißner, Mitglied des KURIER-Bildungsbeirats. Und sie kann auch streng sein, wie Elvis* erzählt: „Gestern musste ich vor die Türe gehen.“ Worauf die Lehrerin erwidert: „Ja, nachdem du mehrere Male die Verwarnungen ignoriert hast.“
Voraussetzung sei, dass Pädagogogen eine gute Beziehung zu den Kindern haben. „Deshalb muss auch Zeit sein, über Dinge zu reden, die nicht auf dem Lehrplan stehen“, sagt Reißner. Dass die Schule besondere Herausforderungen hat, das will auch Direktorin Erika Tiefenbacher nicht bestreiten. Doch sie weiß inzwischen damit umzugehen, etwa mit Hilfe intensiver Elternarbeit.
Wo ist die Not größer?
Heinz Faßmann steht vor einem Dilemma: Der Bildungsminister hat für seine zweite Amtszeit drei große, kostenintensive Projekte: Digitalisierung an Schulen inklusive Endgeräte (Tablets, Laptops) für jeweils zwei Jahrgänge; zur Entlastung der Schulen Unterstützungspersonal, also administrative Kräfte, Psychologen, Schulsozialarbeiter; und drittens konkrete Hilfe für „Schulen mit besonderen Herausforderungen“, wie die „Brennpunktschulen“ im Koalitionspakt genannt werden.
Bei den Budgetverhandlungen mit Finanzminister Gernot Blümel zeichnet sich jetzt schon ab: Die nötigen Mittel für alle drei Projekte wird Faßmann nicht, jedenfalls noch nicht für 2021/22, erhalten. Was also soll ins nächste oder übernächste Jahr verschoben werden? Der Minister hat ein jährliches Budget von etwas mehr als neun Milliarden Euro. Was alle drei Projekte wirklich kosten, hängt letztlich von deren Ausgestaltung ab, jedenfalls aber im dreistelligen Millionenbereich. So oder so steht Faßmann also vor durchaus unlösbaren Hausaufgaben.
Aber woran hapert es an den „Brennpunktschulen“?
Schlechter Start: Die Statistik zeigt: Wer aus einer sozial schwachen Familie kommt, in der Bildungsarmut herrscht (Eltern maximal Pflichtschulabschluss), hat ein Lerndefizit von bis zu eineindreiviertel Jahren im Vergleich zu den Gleichaltrigen.
„Bildungsgarten“ hilft: Die Statistik zeigt auch: Jene Kinder, die nicht zumindest drei Jahre im Kindergarten waren, haben ein Defizit von bis zu einem Jahr. Bisher ist nur ein Kindergartenjahr verpflichtend, trotz gegenteiligem Versprechen. Allerdings versprach die Politik schon 2014, dass ein zweites verpflichtendes Kindergartenjahr für alle, „die es brauchen“, eingeführt wird.
Defizite mitschleppen: Diese Lerndefizite, klagen die Lehrer, ziehen sich durch die ganze Schulkarriere weiter, den Kindern fehlen meist Grundbausteine beim Wissenserwerb, die eine erfolgreiche Schulkarriere sehr schwer machen.
Deutschklassen: Für Kinder, die so wenig Deutsch können, dass sie dem Unterricht nicht folgen können, sind Deutschklassen vorgesehen. Die Ergebnisse sind durchwachsen, es gibt Schulen, wo das sehr gut funktioniert, an anderen nicht. Auch die Lehrerschaft ist gespalten, ob sie die Klassen gutheißt.
Deutschförderung: Haben die Kinder ausreichend Deutsch gelernt, um dem Unterricht folgen zu können, oder gibt es nur wenige Kinder mit Sprachproblemen an einem Standort, bleiben sie in den Regelklassen und werden, je nach finanziellen Möglichkeiten der Schule, extra am Nachmittag gefördert. Diese Möglichkeit gibt es aber bei Weitem nicht an allen Standorten.
Konflikte: Lehrer werden kaum für Konflikte, die es auch heute an Schulen gibt, in den Klassen geschult. Sozialarbeiter, Schulpsychologen, Psychagogen: Zusatzpersonal, sogenanntes Supportpersonal, wird den Schulen seit vielen Jahren versprochen.
Konzentration: Immer öfter klagen Lehrer über immer kürzere Zeitspannen, in denen die Kinder aufnahmefähig sind. Lehrer versuchen, Stoff nur mehr in Youtube-Videolänge (unter fünf Minuten) vorzutragen.
Leistungsgruppen: Grundsätzlich wurden die Leistungsgruppen bei der Einführung der Mittelschule abgeschafft, weil die Schlechtesten in einer Abwärtsspirale gefangen und hochgradig demotiviert waren. Faßmann hat Leistungsgruppen wieder zugelassen, nachdem Pioniere wie NMS-Direktorin Andrea Walach gezeigt haben, dass Fortschritte in „leistungshomogenen“ Gruppen besser erzielt werden.
Elternarbeit: Seit einem Jahr gibt es verpflichtende Lehrer-Eltern-Kind-Gespräche an den Schulen, um die Eltern für die Ausbildung der Kinder mitverantwortlich machen zu können. Eine Handhabe, Eltern dazu zu verpflichten, gibt es aber kaum.
Schulschwänzen: Seit der Faßmann-Reform, die Strafen bis 400 Euro für schulschwänzende Kinder vorsieht, hat sich das Problem massiv gebessert. Psychologen monieren aber, dass Kinder, die jetzt noch schulschwänzen und deren Eltern bestraft werden, meist viel existenziellere Probleme haben.
Nach dem Mittag: Jene Kinder, die am Nachmittag echte Hilfe bräuchten, sind selten jene, die bereits in ganztägigen Schulen sind. (siehe Seite 3) Es fehlt aber auch an klaren Vorgaben, was bei der reinen Nachmittagsbetreuung vermittelt werden soll.
Urlaubszeit: Lehrer klagen, dass die Kinder über den Sommer mangels Betreuungsmöglichkeit der Eltern zu den Großeltern, beispielsweise in die
Türkei, geschickt werden. Und nach dem langen Sommerurlaub schlechter Deutsch sprechen, als vor den Sommerferien.
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