Nationalratsdebatte im Zeichen des türkis-grünen Koalitionszwists

Heftiger Schlagabtausch zwischen FPÖ, SPÖ und ÖVP zu Corona-Demos und Abschiebungen. Kindeswohlkommission als Gesichtswahrung für die Grünen.

Um 14 Uhr begann eine Sondersitzung im Nationalrat, die aus einer Dringlichen Anfrage der FPÖ an Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) resultiert. Spannungen waren vorprogrammiert - vor allem zwischen den Koalitionspartnern ÖVP und Grüne wegen der Abschiebung der georgischen bzw. armenischen Familien sowie generell des  Flüchtlingsthemas.

Mindestens zwei Misstrauensanträge werden in der Sondersitzung gegen Nehammer eingebracht. Einer von der SPÖ, einer von der FPÖ.

Showdown im Nationalrat: Nehammer und Kickl "ziemlich beste Feinde"

Die Debatte begann mit einem Frontalangriff von FP-Klubobmann Herbert Kickl auf Nehammer im Speziellen sowie das Corona-Management der Regierung ganz generell. Hauptkritikpunkt der FPÖ ist das Verbot der Corona-Demos vom vergangenen Wochenende.

Herbert Kickl (FPÖ)

Nehammer konterte, Kickl und die FPÖ würden die Szene der Corona-Leugner, die von Rechtsextremen und Staatsverweigerern unterwandert sei, verharmlosen.

Harte Kritik übte aber auch der stv. Klubobmann der SPÖ, Jörg Leichtfried: 13 Monate Innenmminister Nehammer seien genug.

Innenminister Karl Nehammer (ÖVP)

Zusätzlich werden (unverbindliche) Entschließungsanträge von SPÖ und Neos erwartet mit dem Ziel, die jüngst abgeschobenen Mädchen aus Georgien und Armenien wieder zurückzuholen bzw. bei Bleiberechtsentscheidungen wie in früheren Jahren die lokalen Behörden einzubinden.

Die Grünen werden - obwohl sie beides befürworten - nicht zustimmen.

Allerdings seien die Grünen "fest entschlossen", die Rechte von Kindern in Österreich besser zu schützen, erklärte Maurer.

Eine erste konkrete Maßnahme setzte dann Vizekanzler Werner Kogler mit der Einsetzung einer Kommission, die sich mit dem Stellenwert von Kinderrechten und Kindeswohl bei Entscheidungen zum Asyl- und Bleiberecht befassen soll. Die Leitung der Kindeswohlkommission wird die ehemalige Präsidentin des Obersten Gerichtshofes und Ex-Neos-Abgeordnete Irmgard Griss übernehmen.

Gemeinsam mit Experten wird sie Empfehlungen erarbeiten, wie Kindeswohl und Kinderrechte stärker berücksichtigt werden können. Die Kommission ist im Justizministerium angesiedelt. Das Ressort wird derzeit von Kogler in Vertretung von Ministerin Alma Zadic, die in Babykarenz ist, geleitet.

"Antrag hat sowieso keine Mehrheit"

ÖVP-Klubobmann August Wöginger erklärte indes, er sehe keinen Grund für eine Kursänderung. "Wir halten uns an das Regierungsprogramm, dort ist nichts dergleichen verankert", so Wöginger. Die Zusammenarbeit mit den Grünen bezeichnete er als "gut", er gehe auch davon aus, dass die Koalition die heutige Nationalratssitzung überstehen werde. Dass ÖVP und Grüne beim Migrationsthema "unterschiedliche Positionen haben, ist bekannt".

"Der Grüne Klub wird nicht für einen folgenlosen Entschließungsantrag stimmen, der ohnehin keine Mehrheit erreicht", kündigte Maurer an. Die Anträge, die jüngst nach Georgien und Armenien abgeschobenen Mädchen wieder nach Österreich zurückzuholen, wertet Maurer als Versuch der SPÖ, "parteipolitisches Kleingeld zu wechseln". Das sei ein durchsichtiges Manöver, zumal die SPÖ in ihrer Regierungszeit selbst zahlreiche Verschärfungen der Asylgesetze mitbeschlossen habe.

Was zumindest nicht ausgeschlossen werden kann: Dass sich einzelne grüne Abgeordnete dennoch gegen die Parteilinie stellen und für die Anträge von SPÖ und Neos stimmen. Der Abgeordnete Georg Bürstmayr hatte etwa an den Demonstrationen gegen die Abschiebungen von Familien nach Georgien und Armenien teilgenommen. Im Zuge der darauf folgenden, emotionalen Debatte, begann ein deftiger Streit zwischen den Koalitionspartnern. Maurer brachte es auf den Punkt: "Wir haben einen veritablen Konflikt mit der ÖVP."

Anschober für Abrüstung

Kalmierend äußerte sich am Donnerstag Gesundheitsminister Rudolf Anschober. Ein vorzeitiges Ende der Koalition schloss er aus. Dass man im Bereich Migration mit der ÖVP unterschiedlicher Meinung sei, habe man von Beginn an gewusst. Dennoch wolle man auch hier im Zuge etwas bewegen: "Es ist oft das Bohren sehr, sehr dicker Bretter. Aber man darf nicht aufgeben."

Anschober zu Tirol, Eintrittstests und den Zores mít der ÖVP

Landesparteien: Nicht der ÖVP in die Hände spielen

Auch auf Landesebene blieb die Forderung nach einem Ende der Koalition bisher aus. Die Wiener Grünen sehen eine "rote Linie" überschritten, gaben am Mittwoch eine deutliche Erklärung ab, in der sie Umsetzung folgender Punkte von Nehammer forderten:

  • Recht auf die Staatsbürgerschaft für in Österreich geborene Kinder und Jugendliche
  • Einführung einer Härtefallkommission beim Bleiberecht
  • Abschiebestopp während der Pandemie

Nichts davon entspricht nur ansatzweise der ÖVP-Linie in puncto Migration. Und dennoch: "Wir werden sicher nicht während einer Pandemie die Koalitionsfrage stellen", sagt der Wiener Interims-Parteichef Peter Kristöfel zum KURIER. Und weiter: "Mit unserer Erklärung wollen wir zeigen, dass wir voll hinter unserem Parlamentsklub stehen und ihm den Rücken stärken. Es muss eine Lösung für Härtefälle geben."

Auch Burgenlands Grüne sprachen sich am Donnerstag für eine Fortsetzung der türkis-grünen Koalition auf Bundesebene aus. "Es macht überhaupt keinen Sinn, jetzt alles hinzuhauen", stellte Landessprecherin Regina Petrik gegenüber der APA am Donnerstag fest. Würden die Grünen die Zusammenarbeit jetzt aufkündigen, würde dies nur der ÖVP in die Hände spielen, zeigte sie sich überzeugt.

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