Grüne Verhandlerinnen: "Wir gelten als Störung. Das wollen wir ändern"
KURIER: Sie alle drei waren bei den Koalitionsverhandlungen mit an Bord. Was erhoffen Sie sich davon, wenn die Grünen in die Regierung kommen?
Alma Zadic: Die Grünen stehen auch für Vielfalt. Viele von uns bringen daher auch unterschiedliche Erfahrungen und Lebensrealitäten in die Politik und somit auch an den Verhandlungstisch ein.
Faika El-Nagashi: Für mich wäre es ein Paradigmenwechsel, wenn die Grünen ein Teil der Regierung wären. Wir stehen, wie keine andere Partei, für Menschenrechte. Mit unserer Politik und mit unserer Haltung können wir auf das Gesellschaftsklima wirken.
Meri Disoski: Sozialer Aufstieg durch Bildung ist in Österreich kaum möglich. Das habe ich selbst erlebt und das möchten wir massiv ändern. Denn es darf keine Rolle spielen, woher die Eltern stammen oder wie viel Geld sie im Börsel haben, ob man den Aufstieg schafft.
Eine Regierungsbeteiligung bedeutet eine höhere mediale Präsenz. Sehen Sie sich mit Ihrem Lebenslauf als Spielveränderer, die Barrieren gegenüber Österreichern mit Migrationshintergrund abbauen können?
El-Nagashi: Oft wird über unsere Migrations- oder Fluchtbiografie von den Medien und der Politik gesprochen. Dass die Betroffenen selbst sprechen und nicht die anderen sind, ist mir ganz wichtig. Ich will nicht länger die andere sein. Ich bin die eine. Ich möchte Menschen mit Migrationshintergrund vermitteln können, ihr seid nicht anderen, sondern ihr seid die, um die es geht. Es gibt diesen englischen Ausdruck: „If you can see it, you can be it“ („Wenn du es siehst, kannst du es sein“). Ich habe diese Bilder nicht gehabt. Es gab vor mir keine Politiker, die so aussahen wie ich. Niemand. Das war nicht einmal eine Fantasie. Deswegen ist die momentane Situation etwas sehr Schönes. Denn ich schaffe mir diese Realität jetzt jeden Tag selbst.
Sie haben den Ausdruck Migrationsbiografie verwendet. Was erlebt man in Österreich, wenn man als Kind von Migranten aufwächst?
Disoski: Ich werde oft umschrieben als Tochter von Migranten aus Mazedonien. Aber ich bin in Wien geboren und aufgewachsen. Warum bin ich eine Migrantin? Mein Migrationshintergrund ist das Rudolfsspital, Schwechat und dann Wien. Wie viele Generationen muss ich in Österreich leben, damit dieses Label nicht mehr gilt? Mich persönlich hat struktureller Rassismus in die Politik gebracht. Ich war in der Volksschule Klassenbeste und wollte ins Gymnasium gehen. Die Direktorin hat meine Eltern zu sich zitiert und hat ihnen sinngemäß gesagt: „Warum wollen Sie, dass Ihr Kind ins Gymnasium geht? Das ist ein Gastarbeiterkind, diese Kinder gehen in die Hauptschule und machen dann eine Lehre. Ende der Geschichte.“ Das war mein Moment, als ich gemerkt habe: Irgendwie bin ich „anders“.
El-Nagashi: Mein Lieblingssatz ist: „Sie sprechen aber gut Deutsch.“ Wenn ich gut drauf bin, antworte ich: „Ja, danke. Sie aber auch.“ Ich bin jetzt 43 und kam mit vier Jahren nach Österreich. Auch mit über 40 werde ich darauf angesprochen und so immer wieder in meine Ursprungssituation zurückgeworfen. Österreich denkt Weiß, deswegen werden „People of color“ nicht als Österreicher wahrgenommen.
Frau Zadic, Sie haben mit Sebastian Kurz gemeinsam studiert. Sie haben ein Doktorrat in Jus, Kurz nicht. Haben Sie auch Diskriminierung erlebt?
Zadic: Ich sage öfters bewusst Migrationsvordergrund statt Migrationshintergrund. Denn man wird sehr oft darauf reduziert. Als ich nach meinem Studium in der Anwaltswelt tätig war, verblasste meine Migrationsgeschichte. Dann kam ich in die Politik – von einem Tag auf den anderen Tag änderte sich das. Als ich im Parlament anlässlich des BVT-Skandals über die Sicherheitslage sprach, gab es von einem ÖVP-Mandatar den Zwischenruf: „Aber wir sind hier nicht in Bosnien.“ In einem späteren Interview meinte er sogar: „Alma Zadic darf mir nicht Österreich unsicher machen.“ Er hat mir quasi auch das Recht genommen, über ein Thema zu sprechen.
Alma Zadic (35)
Die Juristin gilt als die neue Justizministerin. Im Alter von zehn Jahren kam Zadic aus Bosnien nach Wien. Bei den Koalitionsgesprächen verhandelte sie Justiz und Transparenz.
Meri Disoski (37)
Die Abgeordnete hat viel Erfahrung im Bereich Asyl und war deswegen im Verhandlungsteam. Ihre Eltern stammen aus Mazedonien. Sie ist Wienerin.
Faika El-Nagashi (43)
Die grüne Abgeordnete hat ungarisch-ägyptische Wurzeln. Sie engagiert sich für eine menschliche Asylpolitik. Sie verhandelte ebenfalls Asylagenden.
Sie sind positive Beispiele. Aber es gibt auch die Negativbeispiele, wo Kinder von Migranten mit geringen Deutschkenntnissen in die Schule kommen. Was ist in Ihrer Kindheit anders gelaufen, dass die Integration bei Ihnen geklappt hat?
Zadic: Meine Eltern haben mir immer gesagt, dass ich doppelt so viel leisten muss, wenn ich es schaffen will. Als ich nach Österreich kam, war ich in einer Schule, wo ich das einzige Kind war, das nicht Deutsch sprach. Die Lehrer wussten nicht, was sie mit mir machen sollten. Die Erfahrungen, die ich dort gemacht habe, waren alles andere als angenehm für ein junges ehrgeiziges Mädchen. Zum Glück übersiedelten meine Eltern. In der neuen Schule war der Migrantenanteil höher und die Lehrer gaben mir vom ersten Tag an Deutschförderunterricht. Dadurch habe ich schnell die Sprache gelernt. Das Umfeld und die Bildung sind ein großer Faktor für die Integration.
El-Nagashi: Ich bin in Simmering in einer Substandardwohnung aufgewachsen. Im Kindergarten gab es keine Abtrennung zu den österreichischen Kindern und auch keinen Spezialunterricht. Da habe ich Deutsch gelernt. Meine Mutter lernte dann mit und von mir und meinem Bruder, dem Wörterbuch und dem Fernsehen Deutsch. Es gab engagierte Lehrer, die unterstützend waren. Ohne diese Menschen wäre meine Karriere sicher anders verlaufen. Es gab aber ebenso viele Lehrer, die uns – mir und meinen Eltern – mit Abwertung und Rassismus begegnet sind. Diese Erlebnisse stellen Situationen her, wo es als Kind noch nicht möglich ist, eine Intervention zu machen. Da lernt man eine gewisse Ohnmacht gegenüber dem System kennen.
Vor zwei Jahren saßen die ÖVP-Verhandler der FPÖ gegenüber, wo Lebensgeschichten dieser Art keine Rolle gespielt haben. Erleben Sie bei den Koalitionsverhandlungen, dass Sie bei dem einem oder anderen ÖVPler einen Perspektivenwechsel erreichen konnten?
El-Nagashi: Was ich oft in der politischen Arena erlebe, ist – wir gelten als Störung im Sinne einer Irritation. Das wollen wir ändern. Aber in dieser Situation liegt auch sehr viel Potenzial – nämlich was passiert nach dem Moment der Irritation? Und wie verändern sich Sichtweisen, Zugänge und Beziehungen? Das ist ein längerer Prozess, wo wir auch vielleicht Rückschläge hinnehmen müssen. Aber es lohnt sich, wenn wir am Ende eine gleichwertige Beziehung schaffen, im Sinne dessen, dass sich das System dann auch verändert.
Disoski: Diese Irritation habe auch ich erlebt – aber auf beiden Seiten. Unsere grünen Haltungen und jene der ÖVP sind nicht unbedingt gleich. Auch für mich war es spannend, die Intention des Gegenübers zu verstehen. In den Koalitionsgesprächen habe ich gelernt, dass das Verständnis für den Standpunkt des Gegenübers wachsen kann, wenn man anhand konkreter Geschichten schildert, was beispielsweise struktureller Rassismus im Bildungssystem ist.
Ein Leitsatz von Sebastian Kurz ist „Integration durch Leistung“. Stimmen Sie dem Ex-Kanzler hier zu?
Zadic: Wir dürfen Menschen darauf nicht reduzieren, dass sie nur, wenn sie etwas leisten, Teil dieser Gesellschaft sind. Zweitens ist es schon so, dass Personen, die besonders viel leisten, belohnt werden sollten. Ich spreche bewusst Asylwerber in Lehre an. Denn sie haben Unfassbares geleistet. Man sollte ihnen die Möglichkeit geben, die Ausbildung fertig zu machen.
Disoski: Wenn ich Leistung zum Dogma erhebe, dann muss ich auch die Rahmenbedingungen schaffen, die es möglich machen, Leistung zu bringen. Wenn ich Sozialleistungen an Deutschkenntnisse kopple und gleichzeitig die Deutschkurse kürze, geht sich das nicht aus. Und dann möchte ich einen anderen Aspekt einbringen: Was kann ich für die Demokratie leisten? Durch das restriktive Wahlrecht in Österreich dürfen über 23 Prozent nicht wählen, weil sie Migrationshintergrund haben.
Wie verbringen Sie Weihnachten?
Zadic: Mein Freund und ich nutzen die Tage, um zu Ruhe zu kommen und verbringen sie mit der Familie und mit Freunden.
Disoski: Wir feiern zwei Mal Weihnachten, einmal christlich, einmal orthodox. Als Kinder haben wir uns über das christliche Weihnachtsfest besonders gefreut. Denn wenn die Schule nach den Weihnachtsferien wieder begann, wollten wir mitreden können, was wir zu Weihnachten geschenkt bekommen haben
El-Nagashi: Meine Freundin ist leider ein Weihnachtsmuffel. Ich liebe Weihnachtslieder. Jetzt habe ich mit ihr ausgemacht, dass ich jeden Tag in der Früh ein Weihnachtslied anstimmen darf. Am Donnerstag wollte ich den Weihnachtsbaum mitbringen, aber meine Freundin lehnte es ab und meinte: Es ist noch viel zu früh, der Baum verliert die Nadeln. Und meine Eltern lieben kitschige Weihnachten.
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