Gewerbeordnung: Regierung einigt sich auf Reform

Kern und Mitterlehner einigten sich auf einen Kompromiss.
Zahl der reglementierten und freien Gewerbe bleibt unverändert, Gewerbeschein-Inhaber bekommen aber mehr Freiheiten. Teilgewerbe wird nahezu abgeschafft.

Die Ministerratssitzung begann am Mittwoch mit Verspätung. Grund dafür war, dass Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) hinter den Kulissen quasi bis zur letzten Minute um eine Einigung bei der Reform der Gewerbeordnung feilschten. Es sei zwar kein "entscheidender Schritt für die Gesellschaft, aber für die Unternehmen", befand Mitterlehner. Warum es keine umfangreiche Reduktion der Gewerbe gebe, erklärte der ÖVP-Chef so: "Wir stellen das System nicht komplett auf den Kopf, weil wir das Kollektivvertrags- und Lehrlingssystem infragestellen würden".

Bundeskanzler Kern befand, die Einigung sei "eine gute Grundlage, ein Fortschritt". Er gestand aber ein, dass seine Partei die Zahl der reglementierten Gewerbe halbieren wollte. Das passiert nun nicht. Die Regierungsspitzen erklärten, man werde im Zuge der Begutachtung der Gesetzesänderungen noch darüber diskutieren. Es dürfte aber großteils bei den rund 440 freien und rund 80 reglemtierten Gewerben bleiben.

Nur noch zwei Teil-Gewerbe-Arten

Aus ÖVP-Sicht wurde betont, dass Gewerbeanmeldungen künftig kostenlos würden. Das würde Selbstständigen eine jährliche Ersparnis von mehr als zehn Millionen Euro bringen, da jährlich rund 80.000 Gewerbe angemeldet würden. Zudem würde die Teilgewerbe-Verordnung aufgehoben. Damit gibt es in der Gewerbeordnung künftig nur mehr reglementierte und freie Gewerbe. 19 bisher reglementierte Teil-Gewerbe - derzeit sind dafür einfache Befähigungsnachweise erforderlich - werden damit freigestellt. Das sind: Änderungsschneiderei, Anfertigung von Schlüsseln mittels Kopierfräsmaschinen, Autoverglasung, Betonbohren und -schneiden, Einbau von Radios, Telefonen und Alarmanlagen in Kraftfahrzeuge, Entkalken von Heißwasserbereitern, Erzeugung von Lebzelten und kandierten und getunkten Früchten, Erzeugung von Speiseeis, Fahrradtechnik, Friedhofsgärtnerei, Gürtel- und Riemenerzeugung sowie Reparatur von Lederwaren und Taschen, Instandsetzen von Schuhen, Modellieren von Fingernägeln (Nagelstudio), Nähmaschinentechnik, Reinigung von Polstermöbeln und nicht fest verlegten Teppichen, Schleifen von Schneidewaren, Wartung und Überprüfung von Handfeuerlöschern, Wäschebügeln, Zusammenbau von Möbelbausätzen.

Der Gewerbeumfang bei den Nebenrechten soll deutlich erweitert werden - bei reglementierten Gewerben auf 15 Prozent, bei den freien Gewerben auf 30 Prozent. Somit könnte ein Tischler auch Arbeiten wie Fliesenlegen mit bis zu 15 Prozent eines Umsatzes machen. Der Grafiker, der auch Homepages erstellt oder andere freie Gewerbe ohne Anmeldung mit-ausübt, könnte dies bis zu 30 Prozent machen. In der Praxis bedeute dies eine deutliche Erleichterung und mehr Rechtssicherheit für Unternehmen. Kunden erhalten in Zukunft öfter mehrere Leistungen aus einer Hand, hieß es in der ÖVP.

Beschleunigte Verfahren

Zudem soll des Betriebsanlagenrecht entbürokratisiert werden. Verfahren sollen beschleunigt, teilweise gestrichen oder vereinfacht werden. Es soll ein One-Stop-Shop-Prinzip installiert werden: Ein Verfahren mit einem einzigen Bescheid. Bau-, Naturschutz-, Wasser- und gewerberechtliche Genehmigung soll es künftig aus einer Hand geben. Bezirkshauptmannschaften sollen Betriebsanlagen "mit geringem Gefährdungspotential" künftig schneller und einfacher genehmigen dürfen. Das betrifft z.B. Kaffee- u. Gasthäuser, Konditoreien, Eissalons, Imbissstuben, kleine Hotelbetriebe. D.h. jährlich ca. 6.000 vereinfachte Verfahren statt bisher 2.500. Damit sollen künftig rund 50 statt 20 Prozent aller Betriebsanlagenverfahren als vereinfachtes Verfahren geführt werden.

Team-Stronach-Klubobmann Robert Lugar empörte sich über das Gezerre um die Reform der Gewerbeordnung. "Statt endlich für eine Entrümpelung zu sorgen, die es möglich macht, dass Unternehmer mehr Menschen anstellen können, erleben wir nur ein politisches Hick-Hack."

Alle geplanten Änderungen im Überblick:

- In der Gewerbeordnung sind nun einige Änderungen geplant. Laut Bundesregierung wird vieles einfacher und günstiger. Gewerbeanmeldungen werden insofern kostenlos, als dass sie von Gebühren und Verwaltungsabgaben des Bundes befreit werden. Die Teilgewerbe-Verordnung wird im Zuge der Novelle, die Ende der Woche in Begutachtung gehen soll, komplett aufgehoben.

- Bei der Gebührenbefreiung rechnet die Regierung mit einer Ersparnis von mehr als 10 Mio. Euro für Selbstständige. Die Berechnung basiert darauf, dass jährlich rund 80.000 Gewerbeanmeldungen durchgeführt werden. Die Teilgewerbe-Verordnung wird im Sinne einer Vereinfachung aufgehoben. Künftig gibt es dann nur mehr reglementierte oder freie Gewerbe.

- 19 Teilgewerbe, die derzeit mit Zugangsvoraussetzungen reglementiert sind, sollen laut dem Entwurf frei werden: Änderungsschneiderei, Anfertigung von Schlüsseln mittels Kopierfräsmaschinen, Autoverglasung, Betonbohren und -schneiden, Einbau von Radios, Telefonen und Alarmanlagen in Kraftfahrzeuge, Entkalken von Heißwasserbereitern, Erzeugung von Lebzelten und kandierten und getunkten Früchten, Erzeugung von Speiseeis, Fahrradtechnik, Friedhofsgärtnerei, Gürtel- und Riemenerzeugung sowie Reparatur von Lederwaren und Taschen, Instandsetzen von Schuhen, Modellieren von Fingernägeln (Nagelstudio), Nähmaschinentechnik, Reinigung von Polstermöbeln und nicht fest verlegten Teppichen, Schleifen von Schneidewaren, Wartung und Überprüfung von Handfeuerlöschern, Wäschebügeln und der Zusammenbau von Möbelbausätzen.

- Damit bleiben formal nur zwei Teilgewerbe reglementiert. Sie wandern zu den reglementierten Gewerben. Das betrifft den Erdbau, der zu den Baumeistern geht und den Huf- und Klauenbeschlag, der als eigenes Gewerbe zu den reglementierten Gewerben wandert. Im Wirtschaftsministerium von Reinhold Mitterlehner (ÖVP) wird hierzu betont, dass es bei den beiden Gewerben zu keiner Verschärfung beim Berufszugang kommt. Somit gibt es künftig 81 statt bisher 80 reglementierte Gewerbe.

- Die Nebenrechte beim Gewerbeumfang werden deutlich erweitert. Bei den reglementierten Gewerben auf 15 Prozent und bei den freien Gewerben auf 30 Prozent. Beispielsweise ein Fliesenleger könnte somit künftig 15 Prozent seiner gesamten gewerblichen Tätigkeit mit Tischlerarbeiten bestreiten - und umgekehrt. Ein Grafiker etwa könnte 30 Prozent des Umsatzes mit der Erstellung von Homepages oder anderen freien Gewerben erwirtschaften.

- Schneller genehmigt sollen künftig bestimmte Betriebsanlagen werden - nämlich durch die Bezirkshauptmannschaften, wenn es ein "geringes Gefährdungspotenzial" gibt. Dabei geht es um Eissalons, Imbissstuben, Kaffee- und Gasthäuser, kleine Hotels. Die Regierung rechnet hier jährlich mit rund 6.000 vereinfachten Verfahren. Bisher hat es nach Angaben aus Regierungskreisen nur 2.500 solcher vereinfachter Verfahren gegeben. Künftig würden also rund 50 statt 20 Prozent aller Betriebsanlagenverfahren als vereinfachtes Verfahren geführt werden.

- Schneller gehen soll es künftig auch behördlich. Bescheide sollen bald nicht mehr länger als vier Monate auf sich warten lassen, statt bisher sechs. Bei vereinfachten Genehmigungsverfahren soll die Entscheidungsfrist von drei auf zwei Monate sinken.

- Das Betriebsanlagenrecht soll entbürokratisiert werden. Ein sogenanntes durchgängiges One-Stop-Shop-Prinzip soll Einzug halten: Ein Verfahren mit einem einzigen Bescheid. Demnach sollen bau-, wasser-, naturschutz- und gewerberechtliche Genehmigungen künftig aus einer Hand kommen. Widersprüchliche Behördenauflagen sollen so vermieden und die Verfahrensdauer reduziert werden.

- Künftig sollen auch Veröffentlichungspflichten gestrichen und Einreichunterlagen reduziert werden. Das Nachbarverzeichnis fällt als Einreichunterlage weg. Das soll den Unternehmern pro Jahr 60.000 Grundbuchabfragen ersparen.

- Aus dem Betriebsanlagenrecht wegfallen sollen auch lediglich vorübergehenden Tätigkeiten. So können Gastwirte etwa leichter bei einem Zeltfest ausschenken. Wirte können auch - vorübergehend - genehmigungsfrei beispielsweise auf ihrem Parkplatz ausschenken oder einen Pop-up Store errichten. Bestimmte Vorgänge, die bisher in der Betriebsanlage zwar genehmigungsfrei aber anzeigepflichtig bei Landesbehörden waren, brauchen in gewissen Fällen nicht mehr angezeigt werden - etwa, wenn man eine Maschine gegen eine gleichwertige neue tauscht.

- Von 12.000 Genehmigungsverfahren jährlich entfallen derzeit 35 Prozent auf Anzeigeverfahren, 20 Prozent auf vereinfachte Verfahren, 40 Prozent auf Änderungsgenehmigungen und 5 Prozent auf Neugenehmigungen. Grob geschätzt werden die Anzeigeverfahren österreichweit um die Hälfte reduziert.

- Bei Genehmigungsverfahren sollen die Unternehmern auch bei der Bestellung von Sachverständigen eine Wahlmöglichkeit bekommen. Bei Betriebsanlagegenehmigungen soll sie aussuchen könne, ob ein Amtssachverständiger kommt oder ein amtlicher Sachverständiger beigezogen wird.

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler!
Sehr geehrter Herr Vizekanzler!

Obwohl wir als Politiker unterschiedlichen Parteien angehören, eint uns als Unternehmer das gemeinsame Entsetzen, mit welcher Mutlosigkeit die von Ihrer Regierung angekündigte große Reform der österreichischen Gewerbeordnung soeben zu Grabe getragen wird.

Von den vor wenigen Monaten in Aussicht gestellten Vorhaben ist in Ihren jetzt vorliegenden Verhandlungsergebnissen fast nichts mehr enthalten: Weder wird es die "einheitliche freie Gewerbeberechtigung" geben, mit der pro Jahr rund 40.000 vollkommen unnötige behördliche Anmeldeverfahren entfallen könnten, noch hat die Evaluierung des Berufszugangs bei den reglementierten Gewerben offenbar irgendein Ergebnis gebracht. Statt viele der im internationalen Vergleich vollkommen überzogenen Zugangsbeschränkungen endlich abzuschaffen, wird mit dem Hufschmied sogar ein zusätzliches reglementiertes Gewerbe eingeführt.

Österreich macht sich damit EU-weit zur Lachnummer! Wieder einmal ist eindrucksvoll der Beweis erbracht, dass die Sozialpartner hierzulande nicht nur Gesetzesvorlagen der Regierung diktieren, sondern nach Belieben sogar die selbstverständlichsten Reformen verhindern können.

Als Unternehmer wünschen wir uns eine Gewerbeordnung, die nicht von Mutlosigkeit, Bürokratie und Protektionismus geprägt ist, sondern die internationalen Standards entspricht, den fairen Wettbewerb fördert und uns unterstützt anstatt uns zu behindern. Ziehen Sie die geplante Regierungsvorlage zurück und legen Sie bis Jahresende einen neuen Entwurf vor, der folgende Mindestanforderungen enthält:

1. Deutliche Senkung der Anzahl reglementierter Gewerbe

Der Zugang soll nur mehr bei jenen Tätigkeiten eingeschränkt werden, mit denen Leib und Leben, Vermögen und Umwelt gefährdet werden können. Entsprechende Äußerungen des VwGH sowie des VfGH, wonach offenbar zahlreiche in der Gewerbeordnung enthaltene Einschränkungen der Erwerbsfreiheit klar verfassungswidrig sind, müssen endlich ernst genommen werden!

2. Entbürokratisierung durch eine einheitliche freie Gewerbeberechtigung

Mehrfach-Gewerbescheine und teure Mehrfach-Kammermitgliedschaften sind Reste einer obrigkeitsstaatlichen Überwachung, die in einer freien Wirtschaft keinen Platz haben!

Handwerkliche Qualität, Arbeitsplätze und Lehrlingsausbildung müssen in einem freien Land anders gesichert werden als durch altmodische Berufsverbote. Seien Sie mutig und legen Sie einen neuen Entwurf im Sinne des zu Ihrem Regierungsneustart ausgerufenen "New Deal" vor!

Die Zeiten, in denen die Sozialpartner unsere Gesetze nach ihren Eigeninteressen und veralteten Strukturen maßgeschneidert haben, sind endgültig vorbei."

Mit freundlichen Grüßen,

Volker Plass, Grafik-Designer
Bundessprecher der Grünen Wirtschaft

Sepp Schellhorn, Hotelier
Abgeordneter zum Nationalrat (NEOS)

In der Debatte um die Gewerbeordnung ist auch die Wirtschaftskammer (WKÖ) in den Fokus gerückt. Vizekanzler und Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP) will mit der Ausdehnung der sogenannten Nebenrechte den Reformdruck auf die WKÖ erhöhen, denn die Interessensvertretung verdient bei jeder einzelnen Gewerbeanmeldung mit, selbst wenn künftig gegenüber dem Staat keine Gebühren mehr anfallen.

Konkret geht es um die Grundumlage. Während die Kammerumlagen KU1 (umsatzabhängig, 196 Mio. Euro im Jahr 2015) und KU2 (dienstnehmerabhängig, 327 Mio. Euro 2015) der Finanzierung der Wirtschaftskammer dienen, finanziert die Grundumlage die Fachgruppen und Fachverbände. Sie wird von der jeweiligen Fachorganisation beschlossen und von der Wirtschaftskammer lediglich eingehoben. 2015 waren dies so wie 2014 rund 179 Mio. Euro, wie die WKÖ auf APA-Anfrage mitteilte.

Die Verpflichtung, Grundumlage zu bezahlen, trifft alle Mitglieder, und zwar "für jede einzelne Berechtigung zum selbstständigen Betrieb eines Unternehmens, die in den Wirkungsbereich einer Fachgruppe eines Bundeslandes fällt", wie die WKÖ auf ihrer Webseite erklärt. Eine mehrfache Fachgruppenmitgliedschaft bedeutet also auch eine mehrfache Grundumlagenpflicht.

Da die Grundumlage jährlich von jeder Fachgruppe autonom beschlossen wird, ist sie auch bei jeder Fachgruppe unterschiedlich hoch. Die Grundumlage wird entweder aufgrund einer allgemein leicht feststellbaren Bemessungsgrundlage ermittelt, etwa anhand der Gehaltssumme oder Umsatzsteuer, oder es wird ein fester Betrag festgesetzt.

Dass die Grundumlage mehrfach schlagend werden kann, ist auch kammerintern nicht unumstritten. Erst vor kurzem haben die Mitglieder der Fachgruppe Werbung und Marktkommunikation in der Wirtschaftskammer Wien beschlossen, ab 2017 für mehrfache Mitgliedschaften innerhalb der Fachgruppe die Grundumlage nicht mehr mehrfach bezahlen müssen. Damit entfallen für sie die zusätzlichen Kosten der Grundumlage von 18 Euro (für Ein-Personen-Unternehmen) bzw. 36 Euro (für juristische Personen) für weitere Gewerbescheine innerhalb der Fachgruppe.

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