Gewaltschutz: Breite Front gegen Pläne von Türkis-Blau

Erste Zahlen zu Gewaltdelikten gegen Frauen im Jahr 2018
Justiz und Opferschützer warnen einhellig vor Beschluss des Gewaltschutzpakets. SPÖ und Neos fordern Verschiebung.

ÖVP und FPÖ wollen in der Nationalratssitzung kommende Woche das von ihnen noch vor dem Koalitionsende paktierte Gewaltschutzpaket beschließen. Das sorgt für massive Kritik von Seiten praktisch aller Betroffener, hatte es doch bereits während des Begutachtungsverfahrens zahlreiche kritische Stellungnahmen gegeben.

Am Sonntag haben Richtervereinigung, Rechtsanwaltskammer, der Verein Neustart, der Weiße Ring und der Bundesverband der Gewaltschutzzentren und Interventionsstellen in einem gemeinsamen Papier betont, der Entwurf beinhalte Verschlechterungen für die Opfer und die öffentliche Sicherheit.

SPÖ und Neos versuchen darum, den Beschluss noch zu verhindern und drängen darauf, das Paket zuerst im zuständigen Justizausschuss zu diskutieren.

"Wir warnen davor, dieses Gesetzespaket ohne Berücksichtigung der 60 fundierten Stellungnahme aus dem Begutachtungsverfahren und ohne vorherige Beratungen im Justizausschuss zu beschließen“, sprach sich Rechtsanwälte-Präsident Rupert Wollf in dem Offenen Brief an alle Parteichefs, Klubobleute und Abgeordneten gegen einen "massiven, gefährlichen Rückschritt in vergangene Zeiten“ aus. Auch die Experten der entsprechenden Task Force hätten sich klar dagegen ausgesprochen, und selbst Justizminister Clemens Jabloner habe es abgelehnt, diesen Gesetzesentwurf dem Parlament vorzulegen.

Oberste Richterin: Begutachtungsverfahren als "Farce"

Sabine Matejka, Chefin der Richtervereinigung, sieht das ähnlich. Das parlamentarische Begutachtungsverfahren werde zur vollkommenen Farce, wenn der ursprüngliche Begutachtungsentwurf jetzt ohne Änderung beschlossen werde, sagte sie zur APA. Für die Verschärfungen gebe es keine sachliche Begründung, sie dürften nur "Ausdruck einer gewissen Law-and-Order-Politik“ sein.

Neben den Strafverschärfungen bringt das Gesetz auch einheitliche Anzeigepflichten für alle Gesundheitsberufe und eine verpflichtende Täterberatung bei häuslicher Gewalt. Der Verband der Gewaltschutzzentren übt auch hier Kritik: Die dafür zuständigen Stellen sollen den irreführenden Namen "Gewaltpräventionszentren“ bekommen, was für Verwechslungen von Opfer- und Tätereinrichtungen führen könnte. Der Verband wäre für "GefährderInnenberatungsstelle“ oder "Beratungsstelle für Menschen mit Betretungsverbot“.

Mit der nun per Initiativantrag eingebrachten Gesetzesnovelle soll es zu Strafverschärfungen bei einer Reihe von Gewalt- und Sexualdelikten kommen. Doch dafür bestehe objektiv kein präventiver Bedarf, heißt es in dem Papier.

Härtere Strafen, mehr Rückfälle

Im Gegenteil: Die Praxis zeige, dass der schonendere Umgang der Gerichte mit jüngeren Erwachsenen zum Rückgang von Wiederverurteilungen geführt habe. Nun sollen aber härtere Strafen vorgegeben werden, wodurch mit einer höheren Rückfallquote zu rechnen sei. "Mehr Rückfälle bedeuten mehr Opfer, weniger Sicherheit und weiter steigende Kosten“, so die Warnung.

Bei Sexualdelikten seien alleine in den vergangenen zehn Jahren fünf Novellen beschlossen worden, in denen Straftatbestände ausgeweitet und Strafdrohungen erhöht worden seien. Auch hier bestehe kein Bedarf einer Verschärfung.

Zudem denke die angesprochene Tätergruppe nicht über die Strafdrohung nach, "sondern höchstens über das Risiko, angezeigt zu werden". In Partnerschaften erhöhe sich durch den in der Novelle vorgesehenen gänzlichen Ausschluss der Nachsicht der Druck auf Opfer, keine Anzeige zu erstatten - womit "das Hauptproblem des hohen Dunkelfelds" sogar noch verschärft würde.

"Im Interesse der öffentlichen Sicherheit und der Opfer" bitten die unterzeichnenden Organisationen daher, "von der Beschlussfassung vorerst abzusehen, die zahlreichen konstruktiven Stellungnahmen zu berücksichtigen und den Entwurf – der auch viele positive Änderungen enthält - entsprechend zu überarbeiten".

Griss: "Unverantwortlich"

Analog bezeichnet Neos-Justizsprecherin Irmgard Griss das Vorgehen von ÖVP und FPÖ als "in hohem Maße unverantwortlich". Dass "wissentlich ein Gesetz beschlossen werden soll, vor dem alle Expertinnen und Experten eindringlich warnen", zeige, "dass es ÖVP und FPÖ nicht um Lösungen für die Zukunft, sondern um plumpe Stimmungsmache für die Wahl geht“, so Griss.

Daher gehöre das Paket sorgfältig im Ausschuss erörtert und in einigen Punkten grundlegend abgeändert.

Damit ist Griss auf einer Linie mit SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim: "Wenn ÖVP und FPÖ das wichtige Thema Gewaltschutz wirklich ernst meinen, dann müssen sie auch zu ausführlichen Beratungen bereit sein und dürfen die Bedenken von Frauen- und Opferschutzorganisationen nicht vom Tisch wischen.“

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