Susanne Raab: Nein. Nur weil die akute terroristische Gefahr eine Spur gesunken ist, heißt das nicht, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt ist, in Prävention zu investieren. Wir müssen Gefahren erkennen und eine Gesellschaft schaffen, in der negative Einflüsse aus dem Ausland, die uns spalten, keinen Platz haben.
Welche islamistischen Netzwerke in Europa haben weiterhin terroristisches Potenzial?
Neumann: Im Bereich des nicht-gewalttätigen Islamismus haben wir europaweit nach wie vor starke Strukturen von salafistischen Gruppen. Das ist eine fundamentalistische Version des Islam, die Demokratie, Gleichstellung Homosexueller und Frauenrechte nicht akzeptiert. Ein anderes Phänomen ist die Muslimbruderschaft, die sich scheinbar integriert, aber eine Agenda verfolgt, die in letzter Konsequenz mit liberalen und demokratischen Prinzipien nicht vereinbar ist.
Raab: Es ist zwar beispielsweise nicht strafrechtlich relevant, wenn Männer Frauen als ihr Eigentum betrachten oder ein „Wir gegen sie“-Narrativ verbreitet wird. Aber es ist etwas, das ich in Österreich absolut nicht haben will. Wenn Radikale versuchen, unsere Gesellschaft zu spalten und ein anderes politisches System einzusetzen, ist das auch eine Gefahr für jene friedlichen Muslime, die im Einklang mit unseren Werten leben.
Und wie sieht Ihr Gegenrezept aus?
Raab: Bildung und Integration sind die besten Mittel gegen Parallelgesellschaften. Dafür brauchen wir ein starkes Werte-Fundament, das uns vom politischen Islam abgrenzt. Zudem müssen wir Zugewanderten in Wertekursen und Integrationsberatungen klar sagen, was sich ausgeht und was nicht. Die Menschen müssen das Gefühl bekommen, dass es sehr wohl möglich ist, Muslim und Europäer zu sein, aber auch verstehen, was wir bei uns nicht tolerieren.
Würde es die Integration nicht beschleunigen, Asylwerbern Zugang zum Arbeitsmarkt zu gewähren?
Raab: Österreich hat pro Kopf die zweitmeisten Asylanträge in der EU, gerade 2022 hat wieder einen massiven Anstieg gezeigt. Gerade jetzt halte ich es deshalb für ein gefährliches politisches Signal, den Menschen zu sagen: „Es ist irrelevant, ob du bei uns Asyl bekommst oder nicht, du kannst arbeiten.“ Ich lege den Fokus daher auf jene 35.000 arbeitslose Asylberechtigten, die bereits hier sind und sich noch integrieren müssen.
2018 wurden rechtswidrig sieben Moscheen der Arabischen Kultusgemeinde geschlossen. Ende 2020 wurden Razzien gegen die Muslimbruderschaft durchgeführt, für die bis heute die strafrechtliche Begründung fehlt. Geht man in gewissen Fällen bewusst überschießend gegen Islamismus vor?
Raab: Nein, das weise ich ganz entschieden zurück, und es entspricht ja auch nicht den Tatsachen. Im Gegenteil: Wir müssen alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen. Diese Organisationen wenden sich gegen unseren Rechtsstaat und unsere liberale Demokratie. Das aufzudecken, ist eine ganz wichtige Aufgabe, die letztlich auch Muslime schützt. Ich denke, die gewählten Mittel sind die richtigen. Aber ja, diese Organisationen sind strafrechtlich schwer zu fassen und manchmal fehlen uns die rechtlichen Mittel.
Aber ist die Muslimbruderschaft eine terroristische Organisation?
Neumann: Ich glaube nicht, zumindest nicht hier in Europa. In Deutschland lassen wir sie vom Verfassungsschutz beobachten, weil ihre Grundsätze ganz klar nicht mit einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft vereinbar sind. Sollte es Verstöße gegen das Strafrecht geben, werden diese verfolgt. Der Großteil der Bekämpfung solcher Organisationen muss aber politisch laufen.
Raab: Und das ist nicht so leicht, denn sobald man die Dinge ehrlich beim Namen nennt, wird man sofort als „islamophob“ bezeichnet, im Übrigen auch ein Kampfbegriff, der gezielt eingesetzt wird. Selbst die Expertinnen und Experten, die zum Beispiel europäische Netzwerke der Muslimbruderschaft aufdecken, sind mit massiven Drohungen konfrontiert. Nicht nur ich stehe seit drei Jahren rund um die Uhr unter Personenschutz.
Sehen Sie eigentlich auch bei neuen Formen des Klimaaktivismus ein extremistisches Potenzial, Herr Neumann?
Neumann: Ich glaube, dass sich einige Aktivisten der Klimabewegung an einem Scheideweg befinden. Warum? Sie haben ein Szenario aufgebaut, in dem etwas Dramatisches passieren muss – sonst brennt die ganze Welt. Dieses Szenario legitimiert alles Mögliche. Wir wissen, dass innerhalb der Bewegung noch aggressivere Formen des Aktivismus diskutiert werden. Die allermeisten Klimaaktivisten sind im Prinzip friedlich, aber in der Vergangenheit war es bei solchen Bewegungen häufig so, dass sich an diesem Scheideweg eine Minderheit gewalttätiger Aktivisten abgesplittert hat. Deswegen sollten wir uns Gedanken machen, was wir tun können, um das zu verhindern.
Was könnte man denn dagegen tun?
Neumann: Der Staat sollte natürlich nicht überreagieren und Märtyrer schaffen. Aber die Gesellschaft muss dieses Phänomen ernstnehmen. Ich weiß, dass das vielen Liberalen und Linken schwerfällt, weil sie mit dem Anliegen der Aktivisten sympathisieren.
Raab: Ich finde, der Zweck heiligt hier einfach nicht die Mittel. Für mein Empfinden ist es eine viel zu radikale Form des Aktivismus. Es ärgert mich auch als Bürgerin für all jene, die einfach nur pünktlich in der Arbeit sein wollen und es nicht schaffen, weil sie von den Aktivisten aufgehalten werden. Ich finde es auch bedenklich, wenn man sich auf Flugbahnen klebt und dadurch andere Menschen gefährdet. Ich teile das Ziel, dass wir unsere politischen Kräfte im Kampf gegen den Klimawandel bündeln müssen. Aber es gibt vernünftigere Formen, Menschen für dieses Anliegen zu gewinnen.
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