Gesundheitsökonomin: "Krankenversicherung sitzt auf Daten-Goldbarren"

Maria Hofmarcher-Holzhacker
Maria Hofmarcher-Holzhacker erklärt, dass man im Burgenland früher stirbt, warum es für die Wahlfreiheit von Patienten Grenzen geben soll und sie sich als Jeanne d’Arc begreift.

Der Tod einer 54-Jährigen in Oberösterreich, der das ganze Land wochenlang beschäftigte, ist für Expertin Hofmarcher-Holzhacker ein „tragischer Einzelfall“. wie sie im Podcast „Milchbar“ sagt.

KURIER: Vor einem Monat beschäftigte uns der tragische Tod einer 54-Jährigen, deren Aorteneinriss nicht behandelt werden konnte. Symptomatisch für das Gesundheitssystem oder ein tragischer Einzelfall?

Maria Hofmarcher: Ich sehe es als tragischen Einzelfall an. Dennoch verstehe ich nicht, wie diese Dame in keinem der vier angefragten Spitäler aufgenommen werden konnte. In Österreich gibt es ein Aufnahmegebot. Das heißt: Schwerkranke dürfen von Gesetzes wegen nicht abgewiesen werden. Der Fall zeigt, dass wir keine gute Übersicht über die Ressourcenverfügbarkeit haben.

In Österreich ist nicht auf Knopfdruck ersichtlich, wo ein Intensivbett frei ist?

Nein. In Zeiten digitaler Informationswege sollten wir eine Plattform haben, die anzeigt, wo Notfallkapazitäten inklusive entsprechender Rettungskapazitäten und Transportmöglichkeiten sind.

Gesundheitsministerin Korinna Schumann hat eine Arbeitsgruppe eingesetzt, um den Fall aufzuklären. Hat die Politik richtig reagiert?

Es ist jedenfalls überfällig, sich dem Thema zu widmen, denn in Österreich gibt es eine Kirchturmpolitik. Wir wissen nicht, wo beispielsweise Hubschrauber zur Verfügung stehen. Gleichzeitig muss ich betonen, dass wir eine exzellente Notfallversorgung haben. Die Schlaganfallversorgung in Österreich ist sehr gut ausgebaut und sehr viele Menschen überleben diese sehr schwere Erkrankung.

Was kann Österreich noch besser als andere Länder?

Im Wesentlichen ist das Gesundheitssystem, wie wir es in Österreich haben, ein Glücksfall. Es ist überwiegend öffentlich finanziert, dient dem Ausbau der Gesundheit, der Stabilisierung von sozialem Zusammenhalt – bei gleichzeitiger Sicherstellung einer entsprechenden Anzahl von qualifiziertem Personal. Unsere Krankenhäuser sind modern und im internationalen Vergleich herzeigbar. Dennoch haben wir Probleme.

Was besorgt Sie?

Wenn wir uns die gesunde Lebenserwartung im Bundesländervergleich anschauen, dann wissen wir, dass 2019 eine burgenländische Frau sieben Jahre weniger lang gesund zu leben hat als eine Frau in Tirol. Auch in Hinblick auf die vorzeitige Sterblichkeit, also die Sterblichkeitsrate vor dem 70. Lebensjahr, gibt es erhebliche Unterschiede, die nicht gut geklärt sind und keinen statistischen Zusammenhang mit den Ausgaben vorweisen.

Ist dieses Problem politisch zu lösen?

Öffentliche Gesundheitssysteme haben ein politisches Trilemma zu bewältigen. Wir haben die gesetzlich garantierte Wahlfreiheit der Patienten, die gesetzlich fixierte Autonomie der Leistungsbringer und eine soziale Zielsetzung. Die schwierige Herausforderung für die Politik ist es, das alles unter einen Hut zu bringen.

Bei der Reformpartnerschaft von Bund, Ländern und Gemeinden geht es derzeit, um den x-ten Versuch, das Gesundheitswesen neu zu regeln. Wird das gelingen? Es wird ein Tohuwabohu bleiben, aber alle bemühen sich und das allein ist schon viel wert. Wir haben neben dem technischen Fortschritt auch einen enormen budgetären Druck. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Von 2015 bis 2019 ist das Budget für Pflege und Gesundheit um 1,5 Milliarden Euro angewachsen. In Wirklichkeit hätten wir damals aber schon 2 bis 3 Milliarden Euro zusätzlich gebraucht.

Milchbar mit Hofmarcher-Holzhacker, Gebhard, Hager

Milchbar mit Hofmarcher-Holzhacker, Gebhard, Hager

Eine Idee ist es, ist Österreich in Gesundheitsregionen einzuteilen ...

Es ist ein Muss! Nominell ist es schon so, dass der Österreichische Strukturplan Gesundheit, ÖSG, eine Regionalplanung vorsieht, doch die Bundesländer machen innerhalb dieser Rahmenpläne ihre eigenen Pläne. Unsere Planung orientiert sich immer noch an der sogenannten Bettenmessziffer, die antiquiert ist wie eine alte Socke.

Müsste es nicht ein Ministerium geben, das sich ausschließlich mit Gesundheit befasst?

Auf jeden Fall müssen Gesundheit und Pflege zusammengedacht werden. Diese Bereiche sind wiederum sehr schlecht koordiniert, insbesondere bei der Versorgung chronisch Kranker. Es sind zwar alle Beteiligten sehr bemüht, jedoch befinden sie sich alle in ihren eigenen Silos.

In Sonntagsreden wird die Bedeutung der Prävention betont. Warum passiert hier trotzdem so wenig? 

Weil wir ein sehr altes Sozialversicherungsgesetz haben. Dessen Grundidee war die rasche gesundheitliche Wiederherstellung für den Arbeitsmarkt. Der gesetzliche Rahmen für Prävention fehlt hingegen. Es gibt zwar auf Bundes- und Länderebene und bei der sozialen Krankenversicherung einige gute Projekte, es fehlt aber eine koordinierte Gesamtstrategie. Auch bei der Gesundenuntersuchung gibt es keine Evaluierung. Somit wissen wir nicht, wie viel sie überhaupt bringt.

Wer müsste dafür sorgen, dass dieser Daten-Blindflug beseitigt wird?

An sich haben wir sehr viele Daten. Allein die Krankenversicherung sitzt auf Daten-Goldbarren. Der Zugang ist aber ein Hürdenlauf. Mich als Forscherin hat das schon einige gesunde Lebensjahre gekostet, Daten für diverse Studien zu organisieren. Länder wie Belgien sind da viel weiter.

Gleichzeitig wird über einen EU-Gesundheitsdatenraum gesprochen, bei dem auch Österreich mitmachen soll.

Ich finde es gut, dass hier etwas von außen gekitzelt wird. Solche europäischen Initiativen können ein guter Hebel sein, damit sich Österreich auf diesem Gebiet ein bisschen mehr zusammenreißt. Jedenfalls habe ich Hoffnung. Ich bin ja die Jeanne d’Arc der guten öffentlichen Gesundheitsversorgung. Ich sehe es als meine Aufgabe, faktenbasiert zu sagen, was ist, ohne jemanden zu beschuldigen.

MRT

Müssen Einschränkungen gemacht werden, etwa bei MRT-Untersuchungen, die in Österreich sehr oft durchgeführt werden?

Hier ist ein Nachfrage-Druck entstanden, der wahrscheinlich medizinisch nicht gerechtfertigt ist. Hier sollte man mit den Fachgesellschaften etwa nach einem Ampelsystem die Untersuchungen nach Dringlichkeit durchführen. Die Wahl der Patienten ist wichtig, aber zum Erhalt und Ausbau des sozialen Zusammenhaltes muss es Grenzen geben.

In der Steiermark wurde das geplante Leitspital bei der Wahl im Vorjahr abgestraft. Was bedeutet das für künftige Reformbemühungen?

Da war ich tatsächlich persönlich beleidigt, weil hier eine große Chance vertan wurde. Die Verantwortlichen im Land zusammen mit der Krankenkasse hätten in den betroffenen Gebieten Veranstaltungen machen sollen, um den Menschen zu erklären, was hier passiert und dass sie sich nicht fürchten müssen, wenn etwa Rottenmann kein Krankenhaus im klassischen Sinn hat, die Versorgung aber trotzdem aufrecht bleibt. Niederösterreich macht da bei seinem Projekt der Spitäler-Neustrukturierung offenbar einiges richtiger als die Steiermark.

Im Burgenland setzt man hingegen eher auf den Ausbau der Spitalsstrukturen.

Ich finde das nicht gut. Wir haben eine Bundesländer-Analyse bei den Gesundheitsausgaben gemacht, zusammen mit einem vertieften Leistungsbild. Das Burgenland schneidet nicht sehr gut ab. Das Land hat durchaus Herausforderungen und Aufgaben, das heißt aber nicht zwingend, dass Spitäler gebaut werden müssen.

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