Philosoph Liessmann: "Frieren ist das eine, Sterben ganz was anderes"
Vor zwei Jahren, zum Höhepunkt der zweiten Corona-Welle tauschten Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka und Philosoph Konrad Paul Liessmann ihre Gedanken zur Krise aus. Es ging um die Frage, wie sehr wir uns durch Krisen ändern und wie verwundbar wir geworden sind. Einige Krisen später hat der KURIER die beiden zum neuerlichen Gespräch geladen. Es ist der Auftakt einer losen Serie von Gesprächen mit Politikern und einem klugen Gegenüber außerhalb des politischen Faches.
KURIER: Haben wir uns durch die multiplen Belastungen wie Corona, Krieg, Teuerung und Klimawandel irgendwie verändert?
Liessmann: Viele haben gedacht, dass die Pandemie zu einem Umdenken und einer neuen Form von Selbstbeschränkung führen wird. Das war nicht der Fall. Aber natürlich haben sich Verhaltensänderungen ergeben, zum Beispiel bei Fragen der Gesundheit. Die jetzigen Krisen erfordern von uns sehr rasche Verhaltensänderungen. Jetzt müssen wir plötzlich Energie einsparen. Nicht um das Klima sondern das schmale Budget zu retten. Sollten die Preise sinken, wird alles so sein wie vorher.
Sobotka: Für viele ist jetzt Homeoffice ein großes Thema, das von Arbeitnehmern zu Recht aktiv eingefordert wird. Ein Problem sehe ich bei den Freiwilligen: Vier von zehn überlegen, sich das Ehrenamt nicht mehr anzutun, das bringt Vereine in personelle und strukturelle Probleme. Andere sind dafür bereit, noch viel mehr zu geben, siehe die Blutspendebereitschaft nach dem Aufruf.
Wir haben bei Corona gesehen, wie abhängig wir sind, zum Beispiel von China. Wir sehen das jetzt mit Russland. Müssen wir nicht endlich unabhängiger werden?
Liessmann: Das Beispiel zeigt, dass wir nicht lernfähig sind. Aber wir können gar nicht lernfähig sein. Wir haben jetzt ein halbes Jahrhundert eine globalisierte Wirtschaft propagiert. Hätte man vor einigen Monaten gefordert, dass wir energiepolitisch autark sein sollen, hätte man das als abstruses Konzept verstanden. Aber wir tauschen jetzt eine Abhängigkeit gegen andere ein: von der russischen Energie zu jener im Nahen Osten, technologisch gesehen von China. Wir leben in einer Welt, in der wir nicht mehr wissen, ob der Vertragspartner auf Dauer demokratisch, freiheitlich und werteorientiert sein wird. China ist die letzte funktionierende kommunistische Diktatur und unsere ganze Solar- und Alternativtechnologie überantworten wir dieser Diktatur. Aber wir haben ja auch keine Alternative. Wir werden nicht die ganze Welt sanktionieren können. Aber in zentralen Fragen der Energieversorgung und der Nahrungsmittelproduktion könnte die EU mehr tun.
KURIER Sommergespräch mit Konrad Paul Liessmann und Wolfgang Sobotka in voller Länge
Sobotka: Putin hat schon als Vizebürgermeister von Sankt Petersburg gesagt, dass die Größe Russlands jene der früheren Sowjetunion ist. Man hat sich über all das hinweggeturnt. In der Technologie gibt es enorme Abhängigkeiten von Rohstoffen, die eben nur in bestimmten Staaten verfügbar sind. Daher müssen wir uns laufend fragen, wie sehr wir uns diesen Mächten ausliefern oder selbst etwas dagegen tun. Europa hat keine Ratingagentur, forscht viel zu wenig in Künstlicher Intelligenz, hat keine eigenen Social Media-Plattformen. China hat das alles. Wir müssen Widerstandskraft aufbauen. Und wir müssen klar stellen, dass wir militärisch bereit sind, unsere Demokratie und wirtschaftliche Stärke zu verteidigen. Das ist die Sprache, die Diktatoren am ehesten verstehen.
Kommen wir zum Krieg und den Sanktionen. Ist die Frage „Frieren oder solidarisch sein“ überhaupt erlaubt?
Liessmann: Ja, natürlich kann man die stellen. Wir sind ja nicht unmittelbar angegriffen und haben keine Beistandsverpflichtung. Daher kann man auch die Frage stellen, wie hoch darf, kann und soll der Preis sein, den wir bereit sind, für diese Unterstützung zu zahlen. Da spielen viele Themen eine Rolle: geopolitische, ökonomische und natürlich moralische. Und wir müssen schon jetzt über Eskalationsstufen nachdenken. Was ist, wenn wir Russland nur aufhalten können, wenn wir auch europäische Soldaten in den Krieg schicken? Dann haben wir eine ganz andere Dimension. Weil Frieren ist das eine, Sterben ist noch ganz was anderes. Auch die Frage, wo die Grenze für unsere Sanktionen sind: Wir versuchen auf diese Art und Weise unseren Beitrag zu leisten. Aber das hat den Preis, dass weite Teile des Mittelstandes verarmen werden. Das muss man ehrlich sagen. Da hilft kein Preisdeckel oder Steuersenkung. Das muss man den Menschen einfach sagen.
Sobotka: Ich glaube, dass es sich nicht immer in diesen Extremen abspielen kann. Russland ist sicher ein spezieller Fall, eine spezielle Gesellschaft. Was mich schwer erschüttert ist, dass die Wissenschaft zu einem Großteil den Kurs Putin mitträgt.
Liessmann: Die Universitäten und akademischen Einrichtungen werden gerade mit zum Teil brutalen Drohungen auf Kurs gebracht.
Sobotka: Es ist sicher auch die Frage, wer diesen Poker länger durchhält. Das Ausmaß unserer großen Hilfsbereitschaft wird sich auf Dauer schwer durchhalten lassen, das wird mit Fortdauer des Krieges erlahmen. Demokratien mit Wahlen sind in solchen Situation leider immer verwundbarer. Da müssen Haltungen immer auch wieder hinterfragt und korrigiert werden. Das ist in Diktaturen sehr, sehr eingeschränkt.
Liessmann: Das war doch von Anfang an klar und eine Selbsttäuschung der Europäer. Nach dem Überfall auf die Ukraine hieß es, die Welt ist geschlossen dagegen. Doch es war klar, dass China nicht mitmachen wird, Indien sich bedeckt hält und Südamerika den Konflikt ignoriert. Viel bleibt da jetzt nicht von dieser globalen Isolierung Russlands.
Nützen die Sanktionen daher viel zu wenig?
Liessmann: Solange wir vermitteln können, dass unsere Entbehrungen letztlich erfolgreich sind, kann man den Menschen sehr viel zumuten. Aber wenn Menschen dann lesen, dass wir das russische Öl boykottieren und dieses Öl dann über drei Drittländer zum Preis von drei Euro wieder in unseren Tankstellen landen – dass es der einzige Effekt der Sanktionen ist, dass Russland dreimal so viel verdient und wir dreimal so viel zahlen müssen, dann ist es den Menschen wahrscheinlich schwer begreiflich zu machen, wie sie hier mit diesen Sanktionen umgehen sollen.
Könnte im Herbst eine noch viel stärkere Spaltung der Gesellschaft in der Sanktionen-Frage drohen, stärker als bei Corona? Liessmann: Ich war schon bei Corona nicht der Ansicht, dass es eine Spaltung gab. Es gab harte Auseinandersetzungen, auch im öffentlichen Raum. Jetzt geht es darum, zu einer klar vermittelbaren politischen Linie zu kommen, die auch praktisch zumutbar ist. Natürlich gibt es für das Zumutbare auch Grenzen. Wir alle erinnern uns an die Gelbwesten in Frankreich wegen der hohen Benzinpreise. Die drei substanziellen Dinge für die Menschen sind Nahrungsmittel, Wohnen und Energie. Keiner kann dem entgehen. Er braucht ein Dach, etwas zu essen und will nicht erfrieren. Das kann man den Menschen auch nicht ausreden. Daher kann sich da, wenn es zu teuer oder schwierig wird, etwas entzünden. Es wird sich daher die Frage stellen, wie wir die Ukraine sinnvoll unterstützen, ohne dass wir selber in einen sozialen Konflikt taumeln, den dann niemand mehr rechtfertigen kann. Denn das kann ja nicht sein, dass wir hier in chaotische, bürgerkriegsähnliche Zustände taumeln. Davon hat übrigens auch die Ukraine nichts mehr.
Sobotka: Das sind auch noch andere Fragen. Corona wird nicht vorbei sein. Wir brauchen stabile Strukturen auch in Ägypten, Tunesien und Libyen. Sonst haben wir mit einer viel stärkeren Migration das nächste Problem. Wir dürfen auch nicht jetzt Schritte setzen, die uns im Klimaschutz in einigen Jahren vor noch größere Herausforderungen stellen. Die Regierung ist gut beraten, sich mit mehreren Szenarien auseinanderzusetzen. Und mit hoher Transparenz lässt sich auch das Vertrauen zurückgewinnen. So wie ich das sehe, ist das auch der Weg. Und ich glaube, das letzte Paket, das man geschlossen hat, wird nicht das letzte sein dürfen.
Im nächsten KURIER-Sommergespräch: Sigi Maurer und Mathematiker Niki Popper.
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