Franz Vranitzky: "Antisemitismus vergiftet die Gesellschaft"

"Es gibt keinen Antisemitismus-light oder Antisemitismus-soft", sagt Franz Vranitzky.
Ex-Bundeskanzler Vranitzky warnt vor antisemitischen Codes und Respektlosigkeit.

Franz Vranitzky äußert sich selten zu aktuellen politischen Fragen. Wenn der ehemalige Bundeskanzler es dennoch tut, muss es sich um schwerwiegende Entwicklungen handeln, um Probleme, die ihm nahe gehen und zu denen er nicht schweigen möchte.

Im KURIER-Gespräch erhebt er das Wort, weil ihm antisemitische Codes und antisemitsche Äußerungen einiger Politiker zu weit gehen. "Ich möchte aufzeigen, dass man geringste Anzeichen der Vergangenheit nicht leichtfertig zulassen darf."

Was ist passiert? Dienstagabend hat FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache beim ORF-Duell mit ÖVP-Vorsitzenden Sebastian Kurz die Großspende des Unternehmers Georg Muzicant an Kurz angeprangert (80.000 Euro) und den jüdischen Namen Muzicant falsch ausgesprochen. "Ein bewusstes oder unbewusstes Spiel mit antisemitischen Vorurteilen", analysiert Zeithistoriker Oliver Rathkolb. Zuvor haben Kurz und Peter Pilz mit dem Namen Silberstein antisemitische Codes ausgesendet.

Vranitzky will dabei auf die einzelnen antisemitischen Aussagen der Wahlkämpfer nicht eingehen. Es geht ihm um das Prinzip: "Grundsätzlich passen antisemitische Anwandlungen nicht in unsere Gesellschaft." Auch wenn im Nachhinein beschönigt werde, dass es sich nur um eine Randbemerkung, die nicht ernst zu nehmen sei, handle. "Das ist falsch. Es gibt keinen Antisemitismus-light oder Antisemitismus-soft", betont der Sozialdemokrat. "Ich führe das auf die Respektlosigkeit in unserer Gesellschaft zurück. Es geht mir darum, diese Respektlosigkeiten abzustellen." Er erkläre das nicht, weil ihm "gutes Benehmen wichtig ist, sondern aus durchaus politischen und gesellschaftspolitischen Gründen: Das absichtliche Zurückdrehen von Respekt führt dazu, dass Kräfte, die wir überwunden glaubten, wieder wach werden".

"Diese Kräfte dürfen nicht wach werden, weil sie zu dauernden Ressentiments führen"

Und das will der ehemalige Bundeskanzler verhindern. "Diese Kräfte dürfen nicht wach werden, weil sie zu dauernden Ressentiments führen." Die politische Aufgabe bestehe eben nicht darin, Ressentiments zu schüren, sondern "eine Verbesserung der Lebenssituation der Menschen sicherzustellen. Aber wenn man sich zu antisemitischen Äußerungen oder gar Handlungen hinreißen lässt, zerstört man die Grundlage einer entwicklungsfreudigen Gesellschaft. Da bleiben Schäden zurück", warnt er.

Sichtbarer als früher

"Wofür ist Politik da? – fragt Vranitzky rhetorisch. "Sie ist dafür da, den Menschen ein Leben in Geborgenheit und Wohlstand zu sichern. Mit antisemitischen Äußerungen und Ausfällen sichert man weder Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze noch Kulturgut. Man vergiftet dadurch den Zusammenhalt der Gesellschaft."

Auf die Frage, ob der aktuelle Wahlkampf stärker von Antisemitismus geprägt sei als vorhergehende Wahlgänge, antwortet Vranitzky: "Die Ausrutscher sind jetzt sichtbarer, als sie früher waren."

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