Flüchtlingskoordinator Takacs: "Hatte feuchte Hände, weil es ein Höllenritt wird"
Michael Takács muss 200.000 Betten für Ankömmlinge aus der Ukraine organisieren. Wie der Nehammer-Vertraute das schaffen will, wie er im Irak den Krieg erlebte, und wie er über Postenschacher denkt.
20.03.22, 06:30
Flüchtlingsexperte Gerald Knaus schätzt, dass in Österreich 200.000 ukrainische Flüchtlinge Schutz suchen werden. Dem gegenüber stehen derzeit 36.000 Betten in Privatquartieren, 2.900 Betten auf Bundesebene und 4.500 Betten in den Ländern. Wenn kein Flüchtling auf der Straße schlafen soll, gibt es für den neuen Flüchtlingskoordinator Michael Takács jede Menge zu tun. Vor einer Woche ernannte Kanzler Karl Nehammer seinen Vertrauten zum neuen Krisenkoordinator. Ob der Chef der Wiener Verkehrspolizei der richtige Mann für den Krisenjob ist, verrät er im KURIER-Interview.
KURIER: Herr Takács, 200.000 Flüchtlinge werden in Österreich erwartet, zehn Millionen für ganz Europa. Sind Sie als Chef der Wiener Verkehrspolizei wirklich der richtige Mann, um die Flüchtlingswelle zu managen?
Michael Takács: Bei der Flüchtlingswelle 2015 bis 2016 habe ich intensiv mit dem damaligen Flüchtlingskoordinator Christian Konrad zusammengearbeitet. Damals habe ich zu allen Ministerien und zu den Hilfsorganisationen gute Kontakte geknüpft. Wir haben sehr viel zustande gebracht, was normalerweise in so einem kurzen Zeitraum nicht möglich gewesen wäre, weil viele bürokratische Hürden zu nehmen sind und man hier auch oft andere Wege gehen muss. Aus diesen Erfahrungswerten kann ich jetzt schöpfen.
Hätte nicht ein Experte aus einer Hilfsorganisation bessere Qualifikationen? Wie lange haben Sie überlegt, ob Sie sich den Job zutrauen?
Ich bin Polizist, ich bin loyal meinem Land gegenüber. Ich habe es als Ehre empfunden, als ich gefragt wurde. Ich habe zugesagt, aber gleich danach hatte ich feuchte Hände, weil es ein Höllenritt wird.
Neos-Abgeordnete Stephanie Krisper richtet Ihnen auf Twitter aus, dass bereits das Chaos ausgebrochen wäre, gebe es nicht die vielen Privatinitiativen im Land. Die Mandatarin fordert Sie auf, dass Sie in die Gänge kommen müssen ...
Eines gleich vorweg: Mich interessiert Twitter überhaupt nicht. Ich bevorzuge das sachliche und am liebsten das persönliche Gespräch. Heute vor einer Woche bin ich bestellt worden. Montagmittag gab es bereits an alle Ministerien und Länder das dringende Ersuchen, dass alle Liegenschaften, Gebäude, alle Hallen, die auf Bundesebene und Länderebene zur Verfügung stehen, unverzüglich eingemeldet werden müssen. In einem nächsten Schritt schauen wir uns an, wie wir die ankommenden Menschen gut auf die Quartiere in den Bundesländern verteilen können. Kein einziger Flüchtling darf eine Nacht auf der Straße schlafen. Das ist meine oberste Priorität. Da lege ich meine ganze Kraft hinein. Und am Wochenende holen wir die ersten Flüchtlinge aus Moldau, wenn es die Gefahrenlage erlaubt.
Der ehemalige Flüchtlingskoordinator Christian Konrad hat Sie als lösungsorientierten Beamten mit Empathie beschrieben. Was überwiegt bei Ihnen?
Ich bin so, wie jeder Polizist in Österreich gestrickt ist. Wir krempeln die Ärmel hoch, um das Problem zu lösen. Ich war 1993 in Kurdistan als lebendes Schutzschild im Einsatz, als die Kurden von der Türkei und dem Irak angegriffen wurden, aber gleichzeitig auch bürgerkriegsähnliche Zustände herrschten. Wir kamen unter Beschuss, es gab tote Kollegen. Ich kenne das Gefühl, wenn man in einem Haus ist und der Kampfjet fliegt drüber. Da glaubt man, das Haus bricht zusammen. Ich kenne das Gefühl, wenn eine Haftmine bei einem Checkpoint am Auto angebracht wird und diese Mine drei Minuten nachdem man aus dem Auto ausgestiegen ist, explodiert. Der Einsatz war kein Spaziergang. Obwohl ich der Jüngste im Kontingent war, bin ich schnell von der UNO in den Offiziersrang gestellt werden, weil ich die organisatorischen Fähigkeiten damals schon hatte. Dieses Jahr im Irak hat mir zehn Jahre Erfahrung im Berufsleben gebracht.
Wo orten Sie den Unterschied zwischen der Flüchtlingskrise 2015 und 2022?
Die Ukraine ist ein Teil von Europa, das sind de facto unsere Nachbarn. Nachbarländer wie Polen, Moldau oder Tschechien, die sich in der Flüchtlingskrise 2015 und 2016 zurückgehalten haben, tragen jetzt die Hauptlast. Das hat sich massiv geändert. Durch die Erfahrungswerte von 2015 sind wird in Österreich jetzt schon besser aufgestellt als damals. Hätten wir 2015/16 nicht gehabt, gäbe es etwa keine Bundesbetreuungsagentur.
Die Empathie für Flüchtlinge war 2015 anfangs sehr groß, dann kippte die Stimmung. Was werden Sie unternehmen, dass sich die Geschichte nicht wiederholt?
Die Stimmung kann trotz der phänomenalen Hilfsbereitschaft in Österreich immer kippen. Aber was ist 2015 passiert? Es sind Tausende Flüchtlinge über die Grenze gegangen. Man hat Bilder gesehen, wo Polizisten in Spielfeld versuchten, die Flüchtlinge an der Grenze aufzuhalten, was aber gescheitert ist. Das wirkt sich auf die Stimmungslage aus. Zu den Personengruppen, die damals kamen, hatte man nicht wirklich einen Bezug. Das ist jetzt anders. Die Männer kämpfen für ihre Heimat. Frauen, Kinder und Gebrechliche werden in Sicherheit gebracht. Es ist für mich ein kolossaler Schritt, sich von seinen Liebsten zu trennen und nicht zu wissen, ob man sich wiedersieht. Auch wenn ich 1993 in Kurdistan war, kann ich dieses Gefühl nicht einmal im Ansatz nachvollziehen. Diese Männer gehen bewusst in die Kampfzone und sind damit Ziele der Russen.
Es gibt einen Polizisten, der durch die Flüchtlingskrise 2015 sehr bekannt wurde. Das ist Hans Peter Doskozil. Haben Sie auch politische Ambitionen?
Die habe ich definitiv nicht.
Sie wollen nur Bundespolizeidirektor werden ...
Nein, nicht unbedingt. Es gibt zwei Voraussetzungen: Ich kenne noch nicht die Kriterien für den Bundespolizeidirektor, weil die Ausschreibung noch nicht da ist. Zweitens habe ich noch nicht mit meiner Frau gesprochen, ob sich der Job mit dem Familienleben organisieren lässt. Was fest steht: Ich war in einer Polizeiinspektion, bei der Verkehrs- und Flugpolizei, ich war im Ausland, ich war Ausbildner und Pressesprecher. Es gibt wenige Bereiche bei der Polizei, die ich nicht selbst gemacht habe. Für die Polizei wird es täglich schwerer, was die Aufgaben und die Akzeptanz betrifft. Man muss gewisse Bereiche vielleicht neu gehen, und so gesehen, wäre die Position sicher spannend.
Wie wichtig war die Parteizugehörigkeit bei Ihren Karrierestationen?
Parteipolitik war für mich nie ein Thema.
Ernsthaft? Wie kommt man dann bitte in das Ministerkabinett?
Ich wurde 2013 von Johanna Mikl-Leitner und Michael Kloibmüller ins Kabinett geholt, weil sie meine organisatorischen Fähigkeiten geschätzt haben. Ich wurde nie nach meiner Parteizugehörigkeit gefragt. Auch von Wolfgang Sobotka wurde ich nie danach gefragt.
Sie sind aber ÖVP-Gemeinderat in Groß-Enzersdorf (NÖ)...
Ich wurde erst 2017 ÖVP-Mitglied. Und wissen Sie warum? Meine Mutter, die übrigens Gewerkschafterin beim „Konsum“ war, meinte, ich soll nicht nur darüber raunzen, was mir in Groß Enzersdorf nicht passt. Deswegen wurde ich Parteimitglied und habe kandidiert.
Postenschacher gibt es in Ihrer Welt offenbar nicht, das wird Ihnen nur niemand glauben ...
Ich habe ihn auch nie in meinem Einflussbereich praktiziert. 2017 habe ich die Landesverkehrsabteilung übernommen und seither zahlreiche Personalbesetzungen durchgeführt. Die Mehrheit meiner Besetzungen waren SPÖler, rund ein Drittel ÖVPler und der Rest FPÖler.
Im Handy von Ex-Kabinettchef Michael Kloibmüller findet sich auch ein Chat mit Ihnen. Als Kloibmüller „Blut sehen will“, weil jemand nicht spurt, bietet Sie an: „Das wirst du, wenn du mir Backup gibst“. Ist das der Stil, wie man im Innenministerium mit Mitarbeitern umgeht?
Nein, nicht im Innenministerium. Das ist der Umgangston von Führungskräften im Polizeibereich, wenn man sich gut und lange kennt. Wenn wir sagen, der „muss bluten“, heißt das nichts anderes, als dass er eine Disziplinarmaßnahme erfahren muss, weil er einen Dienstanweisungserlass nicht umsetzte.
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