Flüchtlings-Misere: Chronologie einer Eskalation

Beim Asylgipfel der Regierung mit den Länderchefs schlug VP-Chef Mitterlehner auf den Tisch. Am Donnerstag zweifelte er an der Kanzlertauglichkeit des SPÖ-Chefs.
Nach dem "aggressiv-grimmigen" Gipfeltreffen bleibt die Stimmung in der Koalition gereizt. Der Vizekanzler bezweifelt die Kanzlertauglichkeit von Werner Faymann.

Dass SPÖ und ÖVP einander öffentlich Scharmützel liefern, ist nichts Neues. Dass sie sich aber bei einem "Gipfel-Gespräch" vier Stunden lang vor den Augen von Hilfsorganisationen lautstarke Wortgefechte liefern, ist doch außergewöhnlich – und wohl ein Beleg dafür, wie schlecht es um das Verhältnis zwischen den Koalitionären bestellt ist. Donnerstagabend gipfelte dies darin, dass Vizekanzler Reinhold Mitterlehner in der ZIB2 auf die Frage, ob Werner Faymann kanzlertauglich sei, relativ klar ablehnend antwortete: „Das ist eine Frage, die sich bei dem Thema nicht unbedingt verfestigt hat.“

Donnerstagabend gipfelte dies darin, dass Vizekanzler Reinhold Mitterlehner in der ZIB2 auf die Frage, ob Werner Faymann kanzlertauglich sei, relativ klar ablehnend antwortete: „Das ist eine Frage, die sich bei dem Thema nicht unbedingt verfestigt hat.“
Flüchtlings-Misere: Chronologie einer Eskalation
Traiskirchen im Juni 2015 / Die Fotos sind nur in Zusammenhang mit dem Flüchtlingslager Traiskirchen sowie mit einer Zitierung des Urhebers DATUM honorarfrei zu verwenden!

Die Stimmung beim Asylgipfel im Kanzleramt Mittwochabend sei "grimmig und aggressiv" gewesen, erzählen Teilnehmer. Die Hauptkontrahenten waren SPÖ-Kanzler Werner Faymann auf der einen – und Niederösterreichs Landeschef Erwin Pröll und ÖVP-Vizekanzler Reinhold Mitterlehner auf der anderen Seite. Der steirische Landeschef Schützenhöfer wunderte sich "über die Tonalität unter den Verantwortungsträgern". Als Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner kundtat hat, er mache sich Sorgen um das Klima in diesem Land, entgegnete ein NGO-Vertreter: "Ich mache mir momentan eher Sorgen um das Klima in diesem Raum."

Caritas-Chef Michael Landau befand: "Das ist eine humanitäre Niederlage."

Der Auslöser des Konflikts

Wie kam es dazu, dass das Treffen derart ausgeartet ist?

Faymann hatte Ende vergangener Woche eine Bezirksquote vorgeschlagen – Flüchtlinge sollten je nach Einwohnerzahl verteilt werden. In der ÖVP war man sauer, weil der SPÖ-Chef den Plan den Medien mitgeteilt hatte. Intern wurde die Parole ausgegeben, Faymanns "Fünf-Punkte-Programm" sei zwar nicht mit der ÖVP akkordiert, aber man solle keine Diskussion darüber beginnen. Rot und Schwarz hatten ja ausgemacht, nicht mehr öffentlich über das Flüchtlingsthema zu streiten.

Als Caritas, Diakonie & Co. sich zu Wochenbeginn für die Bezirksquoten-Idee aussprachen, signalisierte Mitterlehner vorsichtige Zustimmung, wies aber darauf hin, man müsse das mit den Ländern abstimmen.

"Nicht besonders reif"

Die ÖVP-Länderchefs lehnten die Quote allerdings ab (siehe Pröll-Interview hier) – "weil sie dem SPÖ-Kanzler keinen Erfolg gönnen wollten", sagen Rote; "weil es sachliche Gründe dagegen gibt", sagen Schwarze.

Das Fass zum Überlaufen hat letztlich ein Bericht in der Abendausgabe der Kronenzeitung gebracht. Als das Bund-Länder-Treffen noch lief, war da schon zu lesen, die Länder hätten dem Faymann-Plan zugestimmt. Mitterlehner war erzürnt darüber (er las die Passage laut vor) – und dass Faymann behauptete, der ÖVP-Chef habe dem Bezirksquoten-Plan zugestimmt. "Der Vizekanzler schlug mit der flachen Hand auf den Tisch sagte: ,Jetzt ist aber Schluss.‘"

Kanzleramtsminister Josef Ostermayer ( SPÖ) erwiderte im ORF-Radio: "Wenn das ein Grund ist, eine kluge Lösung abzulehnen, ist das nicht besonders reif."

Wie geht es nun weiter?

Mitterlehner will "zurück an den Verhandlungstisch und Sachpolitik statt Boulevardpolitik machen." Faymann erwartet einen "besseren Gegenvorschlag".

Innenministerin Johanna Mikl-Leitner wird mit den Ländern ausverhandeln, wie die 6500 zugesagten Plätze zu schaffen sind. Und erstmals sollen – wie in Deutschland – Wohncontainer zur Unterbringung von Flüchtlingen aufgestellt werden, sagt Pröll im KURIER-Interview: "Dort wo die Quote noch nicht erfüllt ist, wird die Innenministerin in Zusammenarbeit mit den Ländern Container samt Infrastruktur errichten."

Weiterführende Artikel

„Die Stimmung war grimmig und aggressiv.“Ein Sitzungsteilnehmer

„Ich habe in 35 Jahren noch kein Gespräch erlebt, das so schlecht vorbereitet war wie dieses. Es gab keine Unterlagen über jenes Zwei-Seiten-Papier hinaus, das wir schon seit einer Woche aus der Zeitung kannten.“NÖ-Landeschef Erwin Pröll (ÖVP)

„Die ÖVP-Landeshauptleute sagten, dass sie mit den vorhandenen Möglichkeiten auskommen. Sie haben aber keinen Gegenvorschlag präsentiert.“Kanzler Werner Faymann (SPÖ)

„Wir müssen zurück an den Verhandlungstisch und Sachpolitik machen statt dieser Boulevardpolitik. Wir lassen uns nichts mehr über die Medien ausrichten.“Vizekanzler Mitterlehner (ÖVP)

„Die ÖVP-Landeschefs torpedieren eine menschenwürdige Lösung.“SPÖ-Geschäftsführer Darabos

„Es war notwendig zu sagen, dass wir uns nicht vorführen lassen.“Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP)

„Es ist politisch und moralisch verwerflich, auf dem Rücken der Ärmsten Politik zu machen.“SPÖ-Klubchef Andreas Schieder

Faymann wollte mit seinem Vorschlag für Bezirksquoten ein neues Thema setzen, um von den Querelen in seiner Partei abzulenken.“Ein ÖVP-Politiker

„Die ÖVP hat die Bezirksquoten abgelehnt, weil sie dem SPÖ-Kanzler keinen Erfolg gönnen wollte.“Ein roter Sitzungsteilnehmer

„Ich habe mich über die Tonalität unter den Verantwortungsträgern gewundert.“Hermann Schützenhöfer, steirischer ÖVP-Landeschef

„Da sind ein paar Alphamännchen aufeinander geprallt.“Ein roter Beobachter

„Die Leute erwarten Lösungen, keinen Streit. Man muss dringend weiterverhandeln und gleichzeitig Druck in der EU machen, sonst ersticken wir in Volkswut.“Gemeindebund-Chef Mödlhammer

„Die Divergenzen bei den Themen Asyl und Flüchtlinge sind besorgniserregend.“Bundespräsident Heinz Fischer

„Was da getrieben wird, ist eine Schande. Man sollte alle Beteiligten kasernieren, bis weißer Rauch aufsteigt.“NÖ-SP-Chef Matthias Stadler

Kommentare