Normalerweise würde ich sagen, bis zum Amtsantritt als EU-Kommissar. Davor ist aber das Hearing zu absolvieren.
Wie groß war die Überraschung, als EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Ihnen mitgeteilt hat, dass Sie für den Bereich Migration zuständig sein werden?
Ehrlich gesagt, die Überraschung war schon da. Alle haben schon mit einem Wirtschafts- oder Finanzressort spekuliert. Die Beurteilung von Frau von der Leyen war dann aber eine klare Sache. Als Kommissar für Innere Angelegenheiten und Migration bin ich dann auch Sicherheitskommissar. Dafür wollte sie eine Person haben, die politische Erfahrung hat. Keinen Beamten sozusagen. Und sie wollte jemanden, der verhandeln, der Brücken bauen kann angesichts der schwierigen Situationen, die da auf uns zukommen. Das traut sie mir zu.
Es gibt auch eine andere Interpretation für die Entscheidung: Es war ein gewisses Revanchefoul von Ursula von der Leyen, weil Österreich beim Thema Migration immer Widerstand geleistet und sogar ein Veto bei der Schengen-Erweiterung eingelegt hat. Was sagen Sie dazu?
Diese Interpretation habe ich natürlich auch gehört. Aber da vertraue ich dem, was mir die Frau Präsidentin im Vieraugengespräch gesagt hat. Sie hat meinen juristischen und internationalen Hintergrund sowie meinen Ruf, den ich mir in den vergangenen Jahren als Finanzminister auch bei den europäischen Kollegen erworben habe, ins Treffen geführt.
Wie bereiten Sie sich auf das Hearing zum Thema Migration vor? Mit Gesprächsterminen bei Innenminister Gerhard Karner?
Ich bereite mich sehr international vor, wobei ich mit vielen Institutionen im Kontakt bin. Natürlich auch mit dem Innenminister und mit Bundeskanzler Karl Nehammer. Ich versuche auch, zuzuhören, was andere Fraktionen im Europäischen Parlament für Standpunkte haben. Ich habe erst vor Kurzem die sozialdemokratische Sprecherin für Innere Angelegenheiten und Migration getroffen. Genauso wie die rechte Seite im Parlament. Es geht ja nicht nur um Migration, sondern etwa auch um Cybersicherheit und den Kampf gegen Antisemitismus und Organisierte Kriminalität. Da versuche ich, die verschiedensten Meinungen unter einen Hut zu bringen.
Dennoch ist die Migration in Ihrem Ressort der politisch heiße Stuhl. Da gibt es in der Europäischen Union so viele unterschiedliche Zugänge. Wenn man zum Beispiel die Staaten Ungarn und Luxemburg vergleicht.
Das wird sehr herausfordernd. Umso mehr ist es eine Wertschätzung durch die Präsidentin, dass sie mir das zutraut.
Hat Ihnen eigentlich Kanzler Karl Nehammer mitgegeben, welche Migrationspolitik er in Brüssel gerne hätte? Wobei dazu gesagt werden muss, dass Sie ja nicht der österreichische Vertreter in der EU, sondern ein Mitglied der EU-Regierung sind.
Natürlich vertrete ich in Zukunft die Europäische Union. Aber das Verhältnis zum Bundeskanzler ist ein hervorragendes, und wir tauschen uns immer wieder intensiv über alle möglichen Themen aus. Dennoch ist klar: Ich komme zwar aus Österreich, mein Blick muss nun aber europäisch sein.
Kommen wir zurück zur österreichischen Innenpolitik. Mit der Abschaffung der kalten Progression ist Ihnen etwas Besonderes gelungen, wenn es um die Steuerentlastung der Bevölkerung geht. Dennoch wird derzeit eigentlich nur über die vielen Schulden im Budget geredet, die Österreich derzeit zu schultern hat. Wie gehen Sie mit dieser Beurteilung um?
Es ist eine interessante Debatte, die man aus meiner Sicht etwas seriöser führen muss. Wir haben sicherlich einiges auf den Weg gebracht. Historisch waren die Abschaffung der kalten Progression und die Valorisierung der Sozialleistungen. Dazu kommt, dass keine Regierung davor angesichts der Krisen wie Corona und Ukraine-Krieg eine wirtschaftlich so herausfordernde Zeit hatte. Vielleicht haben wir nicht alles zu 100 Prozent richtig gemacht, aber im Rückspiegel ist immer alles leichter zu beurteilen.
Wie sehen Sie als Finanzminister die Forderung von Wirtschaftsexperten nach einem Sparpaket?
Was ist ein Sparpaket? Meinen wir damit, dass wir Sozialleistungen kürzen? Oder dass wir Maßnahmen gegen den Klimawandel kürzen? Ich hoffe nicht. Es geht vielmehr darum, zu analysieren, wo sind sinnvolle Einsparungspotenziale. Die Förderquote etwa liegt um 0,8 Prozentpunkte über dem europäischen Schnitt. Das klingt im ersten Moment nach nicht sehr viel. Aber diese 0,8 Prozentpunkte sind jährlich rund 3,5 Milliarden Euro.
Die Förderquote zurückzufahren ist politisch aber eine sehr schwierige Aufgabe.
Ja, aber man kann es umstellen. Ein weiteres Beispiel wäre, die Art der Budgetierung zu ändern. In den vergangenen Jahren habe ich erlebt, dass dabei immer vom Niveau des Vorjahres ausgegangen wird. Warum hinterfragen wir nicht alle Projekte und beginnen diesmal sozusagen von null?
Noch eine Frage zum Ende der türkis-grünen Koalition. Würden Sie aus der Erfahrung heraus noch einmal mit den Grünen in einer Regierung zusammengehen?
Das betrachte ich differenziert. Einerseits haben wir vom Regierungsprogramm sehr viel umgesetzt. Etwa beim Ausbau der erneuerbaren Energie oder beim Fördersystem, das wir auf neue Beine gestellt haben. Da ist viel passiert, und die Regierung wird sehr oft unter ihrem Wert beurteilt. Aber natürlich haben die beiden Parteien unterschiedliche Ansätze, wir sind unterschiedliche Parteien. Ich will nur nicht alles schlechtreden, vieles hat funktioniert.
Kommentare