Familienbeihilfe: EU treibt Verfahren gegen Österreich voran

Familienbeihilfe: EU treibt Verfahren gegen Österreich voran
Vertragsverletzung wegen Kürzung für ausländische Kinder: Wenn Österreich nicht zufriedenstellend reagiert, kann Fall an EuGH verwiesen werden.

Die Regierung ist eine neue – doch die Folgen der Kindergeld-Politik der Vorgängerregierung bekommt auch das Kabinett von Brigitte Bierlein zu spüren: Die EU-Kommission treibt das Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich wegen der seit Jahresbeginn geltenden Kindergeld-Indexierung voran. Die Behörde wird nun eine so genannte „begründete Stellungnahme“ an Österreich schicken, hieß es am Donnerstag in Brüssel.

Österreich hat zwei Monate Zeit, um zu antworten und die Bedenken der Kommission auszuräumen. Gelingt dies nicht, kann die Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) klagen. Aus der Sicht der Kommission widerspricht die österreichische Kindergeldregelung der Gleichbehandlung von Arbeitnehmern in der EU. Wer durch seine Arbeit zum Sozialsystem eines Landes beitrage, habe auch Anspruch auf die gleichen Leistungen, argumentiert EU-Sozialkommissarin Marianne Thyssen: „Auch wenn deren Kinder im Ausland leben. Es gibt in der EU keine Kinder zweiter Klasse.“

Seit Jänner erhalten rund 130.000 Kinder weniger Kindergeld vom österreichischen Staat. Ihre Eltern arbeiten in Österreich, sie selbst aber leben in EU-Staaten, wo etwa wie in Ungarn, Polen oder der Slowakei die Lebenshaltungskosten niedriger sind. Die Argumentation der türkisch-blauen Vorgängerregierung: Es sei nur fair, die Kindergeldkosten an die niedrigeren Lebenshaltungskosten dort anzupassen.
 

Familienministerin bleibt bei Standpunkt

Aus dem Büro von Familienministerin Ines Stilling hieß es am Donnerstag gegenüber der APA, dass man der Aufforderung der EU-Kommission "fristgerecht" nachkommen und die bisherige Position beibehalten werde: "Mit der Stellungnahme wird die bisherige österreichische Position untermauert und im Detail nochmals ausgeführt werden." Ob seitens der EU-Kommission in weiterer Folge der EuGH angerufen wird, bleibe abzuwarten, hieß es.

Das damals noch von ÖVP-Familienministerin Juliane Bogner-Strauß geführte Ministerium hatte Ende März ein Antwortschreiben an die EU-Kommission übermittelt. Die Bundesregierung argumentierte stets, dass dem europarechtlichen Gleichbehandlungsgebot zufolge ungleiche Sachverhalte nicht gleich behandelt werden dürften. Somit rechtfertige ein stark unterschiedliches Preisniveau zwischen verschiedenen Ländern eine Differenzierung. Zudem exportiere Österreich den Wert und nicht den Betrag der Leistung. Auch wurde wiederholt darauf verwiesen, dass den Briten im Fall des Verbleibs in der EU eine ähnliche Regelung zugebilligt worden wäre. Bogner-Strauß zeigte sich damals davon überzeugt, dass die Indexierung mit dem EU-Recht vereinbar sei.

Seit Jahresbeginn gilt Indexierung

Gemäß der türkis-blauen Regelung wird die Familienbeihilfe für in Österreich tätige Arbeitnehmer, deren Kinder im EU-Ausland leben, seit Jahresbeginn indexiert. Demnach wird der Betrag der Kaufkraft im jeweiligen EU-Land angepasst. Während sie in Hochpreis-Ländern dadurch höher wird, bringt sie für Arbeitnehmer aus osteuropäischen Ländern teils empfindliche Einbußen mit sich. Indexiert wird auch der Kinderabsetzbetrag.

Österreich hat nun zwei Monate Zeit, die notwendigen Maßnahmen zu treffen, um der begründeten Stellungnahme nachzukommen. Nachdem die Regierung angekündigt hat, an der Indexierung festzuhalten, dürfte die Kommission den Fall nach Ablauf der Frist an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) verweisen. Danach müssten die Richter in Luxemburg entscheiden, ob die österreichische Regelung zulässig ist oder nicht.

Weitere Vertragsverletzungsverfahren

Nicht nur wegen der Indexierung der Familienbeihilfe, der Umsetzung der Energieeffizienz-Richtlinie und der Umweltverträglichkeitsprüfung beschäftigt Österreich die EU-Kommission. Am Donnerstag kündigte die EU-Behörde in Brüssel an, Vertragsverletzungsverfahren wegen Versäumnissen im Bereich der öffentlichen Beschaffung, der Finanzmarktregulierung und der Steuerbetrugsbekämpfung einzuleiten.

Österreich ist damit aber nicht alleine. Auch Irland forderte die EU-Kommission mit einem Mahnschreiben auf, jene Zinsbegrenzungsmaßnahme umzusetzen, welche die EU-Richtlinie zur Steuervermeidungspraktiken vorsieht. Ein Vertragsverletzungsverfahren wegen mangelnder Anpassung der nationalen Gesetzgebung an EU-Recht im Bereich der strafrechtlichen Sanktionen für Marktmissbrauch eröffnete die Kommission neben Österreich gegen Bulgarien, Frankreich, Griechenland, Italien und Spanien.

Nur das zusätzliche Mahnschreiben wegen der Sanierung einer Sondermüllhalde im Bereich von Wiener Neustadt betrifft alleine Österreich. Der Auftrag im Wert von 167 Millionen Euro sei nicht EU-weit ausgeschrieben worden, wie dies die EU-Gesetzgebung für öffentliche Auftragsvergaben von über 144 Mio. Euro vorsieht, beanstandet die EU-Behörde. Bereits im Juli 2018 wurde Österreich wegen Versäumnissen bei der Einhaltung der Prinzipien von Transparenz, Gleichbehandlung und Nicht-Diskriminierung durch den öffentlichen Auftraggeber BALSA (Bundesaltlastensanierungsgesellschaft m.b.H.) ermahnt.

Überdurchschnittliche Verfahren gegen Österreich

Österreich ist mit überdurchschnittlich vielen Vertragsverletzungsverfahren der Europäischen Kommission konfrontiert. Von 1.571 offenen Verfahren in allen 28 EU-Ländern per Jahresende 2018 liefen 66 gegen die Alpenrepublik. Damit lag Österreich an neunter Stelle, was die Häufigkeit von Beanstandungen seitens Brüssel anbelangt.

In 34 der 66 heimischen Fälle monierte die Kommission eine zu späte Umsetzung von EU-Vorgaben. Der Rest teilt sich auf nicht korrekte Implementierungen von Unionsregeln sowie regelwidrige Regulierungen und Entscheidungen des eigenen Landes auf.

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