In Finnland und Schweden hat wegen des Ukraine-Krieges bereits ein Umdenken eingesetzt: Sie treten dem transatlantischen Militärbündnis NATO bei. Im Rahmen der Initiative „Unsere Sicherheit“ haben nun auch Dutzende Intellektuelle in Österreich einen offenen Brief an Bundespräsident Alexander Van der Bellen geschickt. Unter ihnen: ehemalige Botschafter‚ namhafte Wissenschafter wie Rainer Münz und AMS-Chef Johannes Kopf.
Sie fordern: Über eine Expertengruppe und mit Einbindung der Bevölkerung soll Österreichs Sicherheitspolitik – die laut Brief „nicht nur unhaltbar, sondern gefährlich für unser Land ist“ – neu diskutiert werden.
Österreich sei dieser Debatte bisher systematisch ausgewichen, kritisiert Politologe und Unterstützer Anton Pelinka gegenüber dem KURIER. Er hält einen NATO-Beitritt, aber auch eine EU-Armee innerhalb der NATO für denkmöglich – und darüber müsse diskutiert werden: „Als Alternative zur Neutralität sehe ich nur die NATO – vielleicht eine NATO, die stärker eine europäische Eigenständigkeit betont.“ Eine EU-Armee jenseits der NATO wäre erst dann eine Option, wenn die USA das Militärbündnis verlassen, meint Pelinka. Ex-Präsident Donald Trump soll einen solchen nach seinem Amtsantritt aber ernsthaft erwogen haben.
Auch die ehemalige Höchstrichterin Irmgard Griss meint: „Österreich soll auf jeden Fall über seine Neutralität nachdenken. Wir leben heute in einer Welt, in der wir nicht mehr davon ausgehen können, dass ein neutraler Staat bestehen kann, wenn er so wie Österreich sehr wenig in seine Verteidigung investiert hat.“
Man dürfe die Vergangenheit nicht mit der jetzigen Situation vergleichen, so Griss: „Diese Überlegungen werden nicht aus Kriegslust oder Sympathie für die Waffenindustrie angestellt, sondern aus purer Notwendigkeit.“ Solange Wladimir Putin in Russland an der Macht sei, werde Russland keine friedenserhaltenden Maßnahmen forcieren. Österreich – auch in dieser Frage sind Griss und Pelinka einer Meinung – würde zudem sein diplomatisches Gewicht als neutraler Vermittler überschätzen.
75 bis 80 Prozent der österreichischen Bevölkerung lehnen einen NATO-Beitritt ab. Davon sollte sich die Politik nicht leiten lassen, die große Mehrheit der Bevölkerung sei in den 1980ern auch gegen einen EU-Beitritt gewesen, sagt Pelinka. Würde die Bevölkerung ausreichend über die NATO informiert, „dann wird sich auch die Stimmung verändern“, glaubt Griss. Im Nationalrat sind derzeit nur die Neos für den Beitritt zu einem Militärbündnis. Allerdings nicht zur NATO, sondern zu einer möglichen EU-Armee.
Für Österreich ist die Gesamtsituation brenzlig. Warum? Das Fundament der kollektiven Verteidigung der NATO-Verbündeten ist die NATO. Heißt: Im Angriffsfall würden jene EU-Staaten, die NATO-Mitglieder sind, wohl gegenseitig verteidigen, bevor sie Österreich zur Seite springen.
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