Ex-ÖVP-Minister Ernst Strasser über neues Leben: "Meine Frau ist der Chef"
Er hat seit 13 Jahren kein Interview gegeben und macht für den KURIER eine Ausnahme. Ernst Strasser steht scherzend im Gastgarten seines Hotels unweit der Kaiservilla, als wir ihn besuchen. Es ist gerade „Kaiserwoche“ in Bad Ischl. Kaisers Geburtstag am 18. August wird traditionell noch heute gefeiert.
KURIER: Wie läuft der Tourismus im Kulturhauptstadtjahr?
Ernst Strasser: Wir sind sehr zufrieden. Aber ich höre schon, dass es freie Hotelzimmer gibt. Die Kulturhauptstadt ist wohl eher etwas für Tagestouristen.
Tragen hier eigentlich alle Tracht?
Ich selbst trage gerne Lederhose, weil es so angenehm ist. Wer am Freitag beim Wochenmarkt keine Tracht trägt, ist quasi nicht ganz dabei.
Apropos „dabei“: Wird man denn im Salzkammergut Einheimischer gleich in erster Generation?
Nein. Aber die Ischler sind offener als zum Beispiel die Ausseer.
Sie sind Unternehmer, waren davor u. a. Minister, Klubobmann, EU-Parlamentarier. Hatten Sie Entzugserscheinungen von der Politik?
Absolut – keiner ruft an, es gibt keine Termine, du bist nicht mehr wichtig. Der Vorteil: Man ist keine öffentliche Person mehr.
Interessiert Sie Politik noch?
Ja. Ich freue mich, wenn der Karl Nehammer einen guten Lauf hat, und man leidet mit, wenn etwas schief geht.
Sie treten nicht mehr öffentlich auf – außer heuer im Frühjahr bei einer Veranstaltung im Parlament zu 50 Jahren Zivildienst. Worauf sich ein Neos-Abgeordneter über Ihre Anwesenheit echauffierte wegen ihrer – längst verbüßten – Strafe. Hat Sie das geschmerzt?
Wer in die Politik geht, darf kein Waserl sein. Der Herr hat allerdings einen Shitstorm aus der eigenen Partei bekommen, und ein sehr prominenter Neos-Abgeordneter hat sich bei mir sogar entschuldigt. Das hat mich gefreut.
Sie sind als Unbescholtener für ein „Versuchsdelikt“ zu drei Jahren unbedingter Haft verurteilt worden – der Richter begründete das mit „Generalprävention“.
Ich halte es nach wie vor für ein Fehlurteil, aber ich habe es angenommen. Es ist Teil meines Lebens. Ich habe sehr viel daraus gelernt. Davor habe ich der Politik alles untergeordnet. Aber es gibt Dinge, die viel wichtiger sind.
Wer hat sie in der Zeit Ihres tiefen Falls unterstützt?
Vor allem meine Frau, die Großfamilie, und ein paar gute Freunde – auch aus der Politik. Da gab es insbesondere einen, der meinte: Wir setzen uns jetzt einfach ins Café Landtmann. Ich habe abgelehnt und gesagt: „Bist du verrückt, ich gehe da sicher nicht mit dir hin. Das schadet dir!“ Dennoch gibt so etwas Rückhalt. Aber natürlich war das eine harte Zeit.
Sie waren sehr mächtig, wurden hofiert. Was macht so eine Situation mit einem?
Es hat mich verändert. Ich habe klarer als vorher erkannt, dass Macht in der Demokratie nur geliehen ist.
Sie sind demütiger geworden?
Ja, ich hoffe.
Als Neo-Innenminister unter Schwarz-Blau galten Sie nahezu als Liberaler, davor als Landesgeschäftsführer der ÖVP-NÖ als Hardliner. Was waren Sie wirklich?
Weder das eine noch das andere. Ich bin und war immer ein Christdemokrat. Wenn einem Macht verliehen wird, dann ist es selbstverständlich, auch zu gestalten. Natürlich würde ich rückblickend heute manches anders machen, weniger ungeduldig sein. Aber im Grunde verstehe ich jene nicht, die in höchsten Ämtern nur moderieren.
Welche Rolle spielen Sie im Hotel?
Meine Frau ist der Chef, und ich bin der Hausl (lacht). Wir haben es gemeinsam mit einem Partner gekauft, haben aber die Mehrheit. Meine Frau ist die Geschäftsführerin, und ich bin eigentlich in Pension. Ich bin der billigste Mitarbeiter im Haus, weil ich krieg nichts.
Sie wirken aber schon so, als wären Sie der Hoteldirektor.
Es macht mir Spaß zu schauen, dass es den Gästen gut geht. Ich nehme auch selbst einen Teller in die Hand und trage die Suppe raus. Hier ist Dienstleistungsgesinnung gefragt. Ein vernünftiger Wirt zu sein, ist gar nicht so weit weg von einem guten Politiker: Wenn du die Leute nicht magst, geht es nicht.
Ihr Hotel mit 33 Zimmern liegt fast neben der Kaiservilla.
Deshalb haben wir uns dafür interessiert. Ich wünsche jedem Käufer so einen Übergeber wie unseren. Wenn ein Problem auftaucht, ist der Hans in zehn Minuten da.
Was hat Sie ausgerechnet nach Bad Ischl verschlagen?
Wir haben das hübsche kleine Ischler Häusl der Großeltern meiner Frau übernommen und sind immer mehr da geblieben. Hier tickt die Welt nicht so verrückt schnell wie in einer Großstadt. Das ist ein ganz großer Gewinn an Lebensqualität.
Hat man Sie in der Zeit mit Fußfessel hier milder betrachtet?
Nein, das war gleich.
Wurden Sie angesprochen?
Ja, dem muss man sich stellen. Ich habe damit keine schlechten Erfahrungen gemacht.
Sie haben als Innenminister Polizei und Gendarmarie in der Regierung von Wolfgang Schüssel zusammengelegt. Ein Jahrhundert-Reformwerk, das damals heftig umstritten war. Sind Sie stolz drauf?
Eher zufrieden. Wenn ich auf mein 30-jähriges politisches Leben zurückblicke, bin ich auch zufrieden mit meiner Arbeit als Präsident des NÖ-Hilfswerks und mit dem, was ich unter Erwin Pröll in Niederösterreich tun durfte. Wir haben die ÖVP dort zur modernsten, effektivsten Regionalpartei Europas gemacht.
Warum traten Sie 2004 als Innenminister überraschend zurück?
Ich war damals 48 Jahre alt. Die Polizeireform war beschlossen, mein Job erledigt. Es hätte mich gereizt, EU-Kommissar für Justiz und Inneres zu werden. Wolfgang Schüssel hat mir aber ganz offen und für mich nachvollziehbar gesagt: „Du bist keine Frau“. Und zu Recht ist es Benita Ferrero-Waldner geworden.
Jetzt gäbe es wieder eine Frau, und sie ist es dennoch nicht geworden.
Ich glaube, die Entscheidung für Magnus Brunner ist sehr gut und auch keine gegen eine Frau. Karoline Edtstadler ist eine hervorragende Politikerin, und ich bin froh, dass sie in Österreich geblieben ist.
Eine Zeit lang war das Innenministerium fast eine Erbpacht der NÖ-ÖVP, auch der jetzige Minister stammt von dort. Die FPÖ spricht vom „tiefen schwarzen Staat“ in diesem Ressort. Stimmt es?
Blanker Unsinn. Ich habe ein rotes Ministerium übernommen und versucht, es rot-weiß-rot zu führen.
Sie haben das BVT 2002 neu organisiert. Offenbar hat vieles nicht funktioniert, 2021 wurde der Geheimdienst im Innenministerium aufgelöst. Was war da los?
Das kann ich nicht beurteilen, ich bin ja schon vor fast 20 Jahren ausgeschieden.
Der Unternehmer
Vor fünfeinhalb Jahren hat Ernst Strasser gemeinsam mit seiner Frau Elisabeth den 150 Jahre alten Hubertushof in Bad Ischl gekauft und renoviert, seine Frau ist Geschäftsführerin.
Der Politiker
Der Oberösterreicher Strasser kam aus dem Bauernbund und war später mit
der NÖ-ÖVP verbunden, deren Landesgeschäftsführer er wurde. Von 2000 bis 2004 war er Innenminister unter Wolfgang Schüssel. Er strauchelte 2011 als Europaabgeordneter über als Lobbyisten getarnte britische Journalisten, die ihm Geld für die Unterstützung von Finanzreformen bieten wollten, und wurde zu drei Jahren unbedingter Haft verurteilt.
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