Es war einmal das Studentenleben – und dann kam Corona
Sie sind jung, sie wollen lernen, jobben, Erfahrungen sammeln, Freunde treffen, Party machen. Doch seit fast einem Jahr ist vieles davon nicht möglich.
Das Studentenleben hat sich durch die Corona-Pandemie von einem Tag auf den anderen komplett verändert. Der Uni-Betrieb steht still, die Bibliotheken sind geschlossen, alles, was geht, wurde auf Distance-Learning umgestellt. Sogar mündliche Prüfungen finden zu einem großen Teil nur noch virtuell, via Videotelefonie, statt. Von Diskussionen in Kaffeehäusern oder Feiern nach bestandenen Prüfungen ist überhaupt keine Rede mehr. Typische Studentenjobs – etwa in der Gastro oder im Catering – sind weggefallen.
Kurz: Alles, was die Studienzeit zu einer besonderen macht, ist dem Virus zum Opfer gefallen. Es fehlen soziale Kontakte, Debatten – und allzu oft fehlt auch das Geld.
Sabine Seidler, Vorsitzende des Uni-Dachverbandes Uniko und Rektorin der TU Wien, fürchtet, dass es nun vermehrt zu Studienabbrüchen kommen könnte. Das sei „ein Bauchgefühl“, so Seidler. Neben Corona sorgt auch eine Gesetzesnovelle für Unmut bei vielen Studierenden, weil sie dadurch unter mehr Zeitdruck geraten könnten.
Das Universitätsgesetz soll grundlegend erneuert werden. Betroffen sind fast alle zentralen Bereiche von Studien- über Organisations- bis zum Personalrecht. Pikantester Punkt: die geplante Mindeststudienleistung für künftige Studienanfänger. In den ersten beiden Studienjahren sollen sie mindestens 24 ECTS (1 ECTS entspricht 25 Stunden Arbeit) erbringen müssen. Wenn sie das nicht schaffen, drohen zehn Jahre Sperre in dem Fach.
Mehr aktive Studierende
Brechen nun also viele ihr Studium ab? Vorerst nicht. Die Zahlen für das aktuelle Wintersemester stehen noch aus, aber: Daten des Bildungsministeriums zeigen, dass sich die Pandemie auf das Studienjahr 2019/’20 nicht so ausgewirkt hat, wie man vermuten würde.
Die Prüfungsaktivität an den Universitäten ist sogar gestiegen. Als „prüfungsaktiv“ gilt ein Studium, wenn der Studierende über das Jahr mindestens 16 ECTS-Punkte, also 400 Stunden Arbeit, erbracht hat. Es zeige sich, dass Studierende trotz Corona Prüfungen, Forschungsprojekte und Laborprüfungen ablegen, ihr Studium weiterführen und auch abschließen konnten, heißt es aus dem Ministerium. Die Zahl der Neuzulassungen an Universitäten ging im Vergleich zum Vorjahr bundesweit um rund 2.000 auf 53.200 Personen zurück – unter ihnen rund 30.000 Frauen. An den FH ist die Zahl der Studienbeginner leicht gestiegen. Diese Werte sind keine Ausreißer und passen zu Entwicklungen der Vorjahre.
Der KURIER bat sechs Studierende um Video-Interviews, in denen sie ihren Lern- und Lebensalltag in Corona-Zeiten schildern:
Man kommt jetzt viel leichter durch die Prüfungen.
Mühsam und einfach
Vergangenes Frühjahr hatte die 20-jährige Deborah Werner gedacht, es würde nur ein paar Wochen dauern, bis die Universität wieder öffnet. Inzwischen sind es zehn Monate, dass sie nur online an Kursen und Vorlesungen teilnehmen kann. Das stört die Philosophie-Studentin „massiv“. Gerade in ihrem Studienfach gehe es um Diskurs und Austausch mit den Kollegen. In ihren ersten beiden Studiensemestern habe sie dadurch auch am meisten gelernt. Dann kam Corona. „In den vergangenen zwei Semestern hat sich mein Studium, das ich sehr genossen habe, zu einem etwas mühsamem Fernstudium entwickelt“, erzählt sie.
Durch die Prüfungen komme man jetzt hingegen „viel leichter“. Diese finden nun im „Open Book Format“ statt: Während man online den Prüfungsbogen ausfüllt, darf nachgeschlagen werden. „Es ist nicht mehr so, dass man auf die Uni geht und alles, was man weiß, auf einen Zettel schreibt und dafür benotet wird. Stattdessen sitzen viele zu zweit oder zu dritt vorm Laptop und googeln.
Ich habe mir das Studieren ganz anders vorgestellt.
Im ersten Semester
Ein einziges Mal hat Marie Redlhammer die Uni von innen gesehen – zur Inskription an der WU im Sommer. Seither sitzt die 20-Jährige in ihrer WG vor dem Laptop, neue Freunde hat sie noch kaum gefunden. Von Wien kennt die Oberösterreicherin bisher praktisch nur den Weg von zu Hause zur Ordination, wo sie nebenher als Assistentin arbeitet.
„Ich habe mir das alles ganz anders vorgestellt, ich habe überhaupt keinen Spaß am Studieren“, erzählt sie niedergeschlagen. Fast alle Freundinnen, die gleichzeitig mit ihr zum Studieren nach Wien gekommen sind, seien wieder zurück nach Oberösterreich gegangen. Bei vielen war das Geld zu knapp, sie konnten sich das Wohnen nicht leisten, nachdem sie ihre Studentenjobs verloren hatten. „Ich rechne eigentlich damit, dass ich durch das alles mindestens ein Jahr im Studium verliere“, sagt Redlhammer. Über soziale Medien tauscht sie sich mit ihren Studienkollegen aus. „Von 400 sagen dort aber auch 300, sie finden sich mit dieser Situation nicht zurecht.“
Viele Studierende leben de facto unter der Armutsgrenze.
Der Hochschulvertreter
Auf die Uni gehen, Leute treffen, interagieren: „Das fehlt extrem. Wir sitzen seit beinahe einem Jahr vor dem Laptop, teilweise von acht Uhr morgens bis halb zwei in der Nacht“, sagt Lukas Schobesberger, Wirtschafts- und Soziologie-Student an der Uni Innsbruck. Lehrinhalte seien aufgeschoben, später „in kürzerer Zeit und viel schlechterer Qualität“ im Distance-Learning nachgeholt worden.
Als Hochschulvertreter weiß Schobesberger (Junos), wie belastend die Situation ist: „Wir werden immer öfter von Leuten kontaktiert, die ernsthafte Probleme haben. Da kann man nur noch an die psychologische Studierendenberatung verweisen.“ Einsamkeit, kein Einkommen, teure Wohnungen, null Planungssicherheit – die Lage sei prekär: „Viele Studierende leben unter der Armutsgrenze, weil geringfügige Beschäftigungen weggefallen sind.“
45 Prozent der Studierenden kommen aus dem Ausland. Viele verbringen die Fernlehre nun in ihrer Heimat, um nicht allein in Innsbruck zu sein.
Ich lebe ja trotz allem fünf bis sechs Monate hier.
Trotzdem in Schottland
Pandemie und Brexit konnten Laura Posch nicht aufhalten: Die 22-Jährige zieht ihr Auslandssemester im schottischen Edinburgh durch. Warum? „Ich bin froh, dass ich diese Chance überhaupt bekommen habe“, sagt sie. Vielen Freundinnen sei das Auslandssemester gestrichen worden – ohne Chance auf Ersatz.
Seit 7. Jänner wohnt die Studentin für Internationale Betriebswirtschaftslehre im Studentenheim, die ersten zehn Tage verbrachte sie in Quarantäne, bis Juni will sie bleiben. Gute Nachricht: Die Virus-Mutation grassiert nicht auf der gesamten Insel gleich stark: „Die Lage in Schottland ist nicht so angespannt wie in England.“ Dennoch herrscht Lockdown, Partys sind verboten, Kurse finden online statt: „Klar, man würde lieber auf der Universität sein und Leute kennenlernen.“ Das gehe aber auch bei Spaziergängen – in der Stadt, am Strand. Posch ist zufrieden: „Ich lebe fünf bis sechs Monate hier, das ist trotz allem eine Erfahrung fürs Leben.“ Und der Lockdown sei ja hoffentlich bald vorbei.
Die Qualität des Studiums hat darunter gelitten.
Unpraktische FH
Für ein FH-Studium charakteristisch ist die Praxisnähe – Berufsausbildung im Studium und verpflichtende Praktika. Aber: „Bei uns wurde im ersten Lockdown der Lehrplan umgestellt. Theoretische Inhalte wurden vorgezogen“, erzählt der angehende Physiotherapeut Mathias Gerdenich, aktuell im fünften Semester an der FH Campus Wien. „Das Praktische folgte gestrafft nach den Sommerferien. Das war nicht optimal, die Qualität des Studiums hat darunter gelitten.“
Exkursionen, Arbeit mit realen Patienten: Vieles wurde ersatzlos gestrichen. Dennoch sei er für seinen Beruf gerüstet, sagt der 24-Jährige: „Meine Praktika haben bedingt normal stattfinden können.“ Das heißt: Sie seien nicht „einen Tag vor Beginn abgesagt“ worden, wie es einigen Kollegen passiert ist. Nur mit Müh’ und Not hätten sie Ersatz-Praktika gefunden, um in Mindeststudienzeit abschließen zu können. Gerdenich hat aber nicht nur studienbedingt genug von der Pandemie: „Ich bin nicht der Typ für Online-Partys. Ich treffe die Leute gerne im echten Leben.“
Es hat keiner was davon, wenn wir trotzdem feiern.
Die Partylaune ist im Keller
Legendären Ruf genießen die Partys in den Wiener Studentenheimen – etwa in jenem in der Pfeilgasse. Dort wohnt Michael Lederer. Als Heimsprecher ist der 24-Jährige nicht nur Schnittstelle zwischen Bewohnern und Betreibern, „wir bemühen uns auch darum, das Studentenleben für die Bewohner noch besser zu machen“, sagt er. Dazu gibt es gemeinsame Aktivitäten, diverse Veranstaltungen und natürlich Partys im sagenumwobenen „Klub“ im Keller des Heimes.
„Gefeiert haben wir dort zuletzt vor einem Jahr. Dann haben wir alle Veranstaltungen abgesagt, schon bevor wir es mussten“, erzählt der BWL-Student. Die Sorge, einen Cluster im Heim zu haben, war zu groß. Auch, weil die meisten Bewohner im Lockdown zu ihren Familien nach Hause gefahren sind, hätte keiner etwas davon gehabt, trotz Pandemie zu feiern. Schade sei das vor allem für die Erstsemestrigen, die man diesmal im Garten mit Masken und Sicherheitsabstand willkommen heißen musste.
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