SPÖ/ÖVP: Gemeinsames Gedenken an 1934

Die Vertreter der Opferverbände Gerhard Kastelic und Johannes Schwantner, sowie Bundeskanzler Werner Faymann und Vizekanzler Michael Spindelegger bei der Kranzniederlegung.
Erstmals seit 50 Jahren: Faymann und Spindelegger legten einen Kranz beim Mahnmal am Zentralfriedhof nieder.

Am Dienstag haben SPÖ und ÖVP gemeinsam des Bürgerkriegsbeginns am 12. Februar 1934 in Österreich gedacht: Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) und Vizekanzler Michael Spindelegger (ÖVP) haben dazu einen Kranz beim Mahnmal der Opfer für ein freies Österreich am Wiener Zentralfriedhof niedergelegt. Opferverbände hatten diesen Akt im Vorfeld als historischen Schritt mit symbolischer Kraft gewürdigt.

SPÖ/ÖVP: Gemeinsames Gedenken an 1934
2014 lassen Faymann und Spindelegger wiederaufleben, was auch vor 50 Jahren für Aufsehen sorgte. 1964 kam es unter Bundeskanzler Alfons Gorbach (ÖVP) und Vizekanzler Bruno Pittermann (SPÖ) zu einem historischen Handschlag und einer Gedenkveranstaltung am Zentralfriedhof vor den Gräbern der Opfer des Bürgerkrieges 1934 und des Faschismus (siehe Faksimile des KURIER-Covers vom 13. 02. 1964).

Regierungsmitglieder wie Rudolf Hundstorfer, Johanna Mikl-Leitner, Andrä Rupprechter, Alois Stöger und Sophie Karmasin waren bei der Kranzniederlegung anwesend. Ebenso Vertreter von Opferverbänden und Religionsgemeinschaften haben sich am Zentralfriedhof eingefunden, um der gewaltsamen Auseinandersetzung zwischen sozialdemokratischem Schutzbund und dem Verband aus Bundesheer, Polizei und den teils faschistischen, regierungstreuen Heimwehren zu gedenken.

Dollfuß-Porträt bleibt

SPÖ/ÖVP: Gemeinsames Gedenken an 1934
APA16911022-2 - 11022014 - WIEN - ÖSTERREICH: ZU APA-TEXT II - (v.L.n.R.) - Die Vertreter der Opferverbände Gerhard Kastelic, Johannes Schwantner, Vizekanzler Michael Spindelegger und Bundeskanzler Werner Faymann bei der Kranzniederlegung anlässlich des 80. Gedenktages zur Erinnerung an die Ereignisse des 12. Februar 1934 am Mahnmal der Stadt Wien am Zentralfriedhof. APA-FOTO: HERBERT NEUBAUER

Inhaltlicher Streitpunkt ist nach wie vor das Porträt des ehemaligen Bundeskanzlers und Begründers des austrofaschistischen Ständestaats, Engelbert Dollfuß, im Parlamentsklub der ÖVP. Spindelegger plädierte für eine differenzierte Sichtweise, sei Dollfuß doch auch eines der "ersten Opfer" der Nationalsozialisten gewesen. "Man muss ihn als das sehen, was er ist. Das alles gehört mit einem nüchternen Blick aufgearbeitet, ohne dass man irgendetwas beschönigt."

Spindelegger kann sich, wie vom Parlamentsklub schon angekündigt, auch persönlich vorstellen, das umstrittene Porträt etwa mit einem von Historikern erarbeiteten Text zu versehen, denn: "Mit dem Abhängen eines Bildes ändert man die Geschichte nicht."

"Bemerkenswerter" Schritt

SPÖ/ÖVP: Gemeinsames Gedenken an 1934
APA16910834-2 - 11022014 - WIEN - ÖSTERREICH: ZU APA-TEXT II - (v.L.n.R.) - Die Vertreter der Opferverbände Gerhard Kastelic, Johannes Schwantner, Bundeskanzler Werner Faymann und Vizekanzler Michael Spindelegger bei der Kranzniederlegung anlässlich des 80. Gedenktages zur Erinnerung an die Ereignisse des 12. Februar 1934 am Mahnmal der Stadt Wien am Zentralfriedhof. APA-FOTO: HERBERT NEUBAUER
Der Historiker Wolfgang Maderthaner findet das gemeinsame Gedenken "bemerkenswert", denn über 1934 gibt es unter Wissenschaftern und Politikern bis heute "keine gemeinsame Lesart. Die Symbolik kann man nicht hoch genug einschätzen".

Ministerrat: Damen-Premiere

Danach hat wie geplant der Ministerrat stattgefunden, bei dem diesmal Familienministerin Karmasin und Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek das Pressefoyer bestritten.

Vier Wochen nach Hitlers Machtergreifung in Deutschland installierte Kanzler Dollfuß in Wien die Diktatur.

Am 4. März 1933 löste er nach einer Abstimmungspanne den Nationalrat auf, die Pressezensur wurde eingeführt und der Verfassungsgerichtshof aufgelöst. Unter dem Einfluss seines Mentors Benito Mussolini verkündete Dollfuß beim Katholikentag am 12. September 1933, einen „sozialen, christlichen, deutschen Staat auf ständischer Grundlage mit starker autoritärer Führung“ errichten zu wollen.

Danach ging es schnell: Schikanöse Hausdurchsuchungen bei Sozialdemokraten und Schutzbundführern sowie Anschläge nahmen zu, die Führer der Heimwehr (paramilitärische Verbände der christlich-sozialen bis bürgerlich-nationalen Heimwehr) warteten auf den Befehl, gegen Sozialdemokraten und Republikanischen Schutzbund (paramilitärischer Verband der Sozialdemokraten) vorzugehen. Am 11. Februar 1934 erklärte Heimwehrführer und Vizekanzler Emil Fey, am 12. Februar „ganze Arbeit zu leisten“.

Artillerie-Beschuss

Noch in der Nacht kommt es zu blutigen Kämpfen. In Linz stürmte die Polizei das Parteibüro der Sozialdemokraten. Dollfuß lässt die Partei auflösen. In der Nacht vom 12. auf den 13. Februar wurde mit schwerer Artillerie der Karl- Marx-Hof, der Inbegriff des roten Wien, von der Hohen Warte in Döbling aus beschossen. Die Ausschreitungen griffen bald auf andere Städte über, innerhalb weniger Tage gab es mehrere Hundert Tote, neun Sozialdemokraten wurden standrechtlich hingerichtet.

Seit den Bürgerkriegstagen im Februar 1934 sind in Österreich noch viele Fragen offen: Wer war Dollfuß? Der autoritär herrschende Kanzler, der die Demokratie ausschaltete, oder das Opfer eines fanatischen Nationalsozialisten, der ins Bundeskanzleramt drang und Dollfuß erschoss?

Für die ÖVP ist Engelbert Dollfuß ein Patriot, ein Bild von ihm hängt heute noch im ÖVP-Parlamentsklub. Nicht nur im Klub wird Dollfuß verehrt, sondern auch an mehreren anderen Stätten der Republik Österreich.

1998 wurde im Geburtshaus von Dollfuß im niederösterreichischen Rexing ein Dollfuß-Museum eröffnet.

Im Osttiroler Innervilgraten widmeten Ständestaat-Verehrer Engelbert Dollfuß 1995 eine Hauskapelle.

Ein Dollfuß-Relief schmückt die Michaeler-Kirche in Wien.

2010 sagte Bundeskanzler Werner Faymann die am Todestag von Dollfuß bis dahin jedes Jahr gelesene Gedenkmesse in der Kapelle des Kanzleramtes ab.

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