Erster Prozesstag: Strasser fühlt sich verfolgt

Ex-Innenminister Ernst Strasser stand wegen der Lobbygate-Affäre vor Gericht. Sein Standpunkt: Er fühlte sich "von Geheimdiensten" verfolgt.

Und jetzt? So tritt Ernst Strasser vor Gericht, mit dem Anflug eines kühlen Lächelns, mit trotzig nach vorne gerecktem Kinn: Und jetzt? Was wollt ihr alle von mir?

Das minutenlange Blitzlichtgewitter müsste er als ehemaliges Regierungsmitglied gewohnt sein. Aber hier auf der Anklagebank im Großen Schwurgerichtssaal des Grauen Hauses, auf der bei mehr Publikumsandrang schon Lucona-Versenker Udo Proksch, die Lainzer Mordschwestern und erst vorige Woche Estibaliz Carranza – die zwei Männer erschossen und zerstückelt hatte – gesessen sind, ist das doch etwas anderes. Wie es ihm geht, will ein ORF-Reporter von dem wegen Bestechlichkeit angeklagten einstigen ÖVP-Politiker wissen. „Wir reden nicht über Befindlichkeiten, wir sind in einem Gerichtssaal“, kanzelt ihn Strasser ab.

Reden wir lieber über Geld. 5000 Euro brutto verdient Strasser als Selbstständiger. Sein Vermögen sei von 120.000 auf 30.000 Euro gesunken, beklagt er. Dazu kommen je 50.000 Schilling im Jahr für Beratungen des Lobbyisten Peter Hochegger und des Investors Rene Benko. Schilling? „Euro“, korrigiert ihn Richter Georg Olschak. „Ach so“, wachelt der 56-Jährige ab. Peanuts.

Verkauft

Der Angeklagte sei Geschäftsmann geblieben, als er Abgeordneter im EU-Parlament wurde, sagt Oberstaatsanwältin Alexandra Maruna. Geld sei ihm „wichtiger gewesen als die Glaubwürdigkeit als Volksvertreter“. Gegenüber zwei als Lobbyisten getarnten britischen Journalisten habe er die Bereitschaft gezeigt, gegen Geld Einfluss auf EU-Gesetze zu nehmen und sich damit „ohne Skrupel an den Meistbietenden verkauft“.

„Also meine Klienten zahlen mir im Jahr 100.000 Euro“, sagte Strasser in einem der fünf Treffen, welche die Journalisten heimlich filmten. Und eine seiner Mitarbeiterinnen soll angesichts der neuen Klienten schon freudiger Erwartung gewesen sein, „dass das viel Geld bringen würde“, wie der
Richter mit einem Zitat aus dem Akt aufhorchen lässt.

Konkret ging es um Interventionen bei EU-Richtlinien bezüglich Rücknahme von Elektroschrott und Anlegerschutz. Strasser leitete die nicht konsumentenfreundlichen Wünsche der Unternehmen, welche die angeblichen Lobbyisten zu vertreten vorgaben, an andere EU-Abgeordnete weiter.

Er habe den Braten gleich gerochen, behauptet Strasser: „Das waren Gauner.“ Und vermutet, dass ein ausländischer Geheimdienst dahinter steckt, der ihn erpressbar machen will. Strasser will „eine ganze Reihe von Fallen gestellt“ haben, um das aufzudecken. Und er habe seine Mitarbeiter gleich gewarnt. Zwei von ihnen bestätigen das in einer abgeänderten Aussage und wandeln damit am Rande der Falschaussage. In der ersten Version hatten sie noch zu Protokoll gegeben, von der Geheimdienstversion erst nach Auffliegen der Lobbygate-Affäre erfahren zu haben.

Warum er nicht das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) alarmiert hat, statt selbst under cover zu spielen, will der Richter von Strasser wissen. Weil ihn die „ausgelacht“ hätten, wie schon 2002. Da hätten sie den eigenen Innenminister, nämlich ihn, ausgelacht. Strasser fühlte sich damals von russischen Geheimagenten verfolgt. Der BVT habe ihm gesagt, nur wenn seine Frau den Lockvogel spiele, könne man einschreiten. Seit damals wolle er nicht mehr anstreifen, das bringe einen „in Teufels Küche, bis hierher“.

Amtsgeschäft

Verteidiger Thomas Kralik setzt auf Plan B. Selbst wenn man annehme, Strasser sei auf den Deal nicht bloß zum Schein eingestiegen, dann habe er kein Amtsgeschäft getätigt. Jeder Bürger könne Wünsche im EU-Parlament einbringen.

Das sieht der CDU-Europaabgeordnete Karl-Heinz Florenz anders. Er schenkte Strasser als erster Zeuge gleich ordentlich ein: Dieser habe sehr wohl versucht, bei ihm einen „Eingriff zu bewirken“, jedoch auf Granit gebissen.

Befragung per Video mit Tücken

Mikrofon ein, Mikrofon aus, Mikrofon ein – die Befragung des deutschen EU-Abgeordneten Karl Heinz Florenz, der per Videokonferenz vom Landgericht Kleve zugeschaltet wurde, war ein schwieriges Unterfangen. Ständig fiel das Mikro aus. „Ich weiß jetzt, warum ich ein Leben lang für Elektroschrott zuständig war“, merkte der CDU-Parlamentarier süffisant an.

Um Elektroschrott ging es auch, als Florenz von Ernst Strasser kontaktiert wurde. Strasser habe ihn einst auf dem Gang angesprochen und ihm danach ein Mail geschickt. Eine EU-Richtlinie, die damals vorbereitet worden war, sah vor, dass Elektrohändler Altgeräte zurücknehmen müssen. Strasser habe sich dafür eingesetzt, dass die Regelung entschärft werde, schildert Florenz. Diesen Wunsch hatten die als Lobbyisten getarnten Journalisten an Strasser herangetragen. Die Intervention blieb erfolglos. Florenz habe den Vorschlag „versenkt“, weil er „genau das Gegenteil von dem war, was wir wollten“. Kontakt zu Strasser habe er danach keinen mehr gehabt. Florenz: „Er hat das Parlament dann ja schnell verlassen und – wenn Sie mir erlauben – das war gut so.“

Seit Montag sitzt Ernst Strasser mindestens acht Tage lang wegen Bestechlichkeit auf der Anklagebank im Wiener Straflandesgericht – es drohen ihm bis zu zehn Jahre Gefängnis. Der studierte Jurist, einstige Innenminister und ehemalige Delegationsleiter der ÖVP im Europäischen Parlament soll im November 2010 zwei als Lobbyisten getarnten britischen Journalisten bei einem Abendessen angeboten haben, für ein Honorar von 100.000 Euro die Gesetzgebung im EU-Parlament zu beeinflussen.

Im Mittelpunkt des Prozesses stehen die Videobänder, welche die als Mitarbeiter der angeblichen Lobbyingagentur Bergman & Lynch getarnten Journalisten bei den Treffen mit Strasser heimlich mitlaufen ließen. Strasser sagt dort: „Mir ist es lieber, wir haben einen Vertrag auf, sagen wir, jährlicher Basis ... ich bin nicht wirklich ein Fan davon, Stunden zu zählen ... also meine Klienten zahlen mir im Jahr 100.000 Euro, ja.“

Dafür könne er wunschgemäß jedes von den „Gutmenschen“ im EU-Parlament behandelte Thema beeinflussen, seien es der Anlegerschutz oder gentechnisch veränderte Nutzpflanzen. Alles nur Provokation, um die Journalisten, die er für Geheimdienstler gehalten habe, aus der Reserve zu locken, sagt Strasser jetzt.

Im Zuge der Lobbygate-Affäre wurden auch unmoralische Angebite anderer EU-Politiker publik - darunter Adrian Severin (Rumänien), Zoran Thaler (Slowenien) und Pablo Zalba Bidegain (Spanien). Thaler trat nach dem Skandal zurück, die anderen beiden Mandatare sind nach wie vor im EU-Parlament tätig.

Strasser musste nach der Veröffentlichung der Videos Ende März 2011auf Drängen der VP zurücktreten. Das Urteil soll am 13. Dezember fallen.

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