Zunehmende Verfolgung und "erschütternde Gewalt gegen Christen"
KURIER: Die Lage der Christen weltweit hat sich verschlechtert, hieß es auch heuer wieder anlässlich des Red Wednesday. Gefühlt ist es jedes Jahr dasselbe: Wird es wirklich immer schlimmer?
Thomas Heine-Geldern: Insgesamt wird es schlechter, ja. Warum ist das so? Es sind mehrere Faktoren, welche die Religionsfreiheit, ein fundamentales Menschenrecht, einengen. Zum einen sind es die totalitären Regime: China, Nordkorea, Nicaragua, das zunehmend kippt, oder Eritrea. Dann gibt es den ethnisch-nationalistischen Faktor – hier muss man Indien nennen oder Myanmar. Das Dritte sind die korrupten, zerfallenden Staaten, die sogenannten „failing states“, wo dann vielfach islamistische Hassprediger hineinstoßen, die dort ein perfektes Biotop für ihre Agenda vorfinden. Letzteres gilt insbesondere für die Sahelzone: Mali, Burkina Faso, Niger, Teile Nigerias. Dort finden gerade erschütternde Gewalttaten gegen Christen statt, die von der Weltöffentlichkeit nicht beachtet werden.
Dann gibt es noch die rein islamistischen Staaten, wie Saudi-Arabien oder den Iran, die keine Religionsfreiheit kennen. Im Gegensatz dazu gibt es Länder wie Pakistan und Ägypten, in denen zwar Religionsfreiheit gesetzlich vorgesehen ist, aber starke islamistische Bevölkerungsgruppen diese verhindern wollen. In all diesen Ländern gibt es vielfach Blasphemie- oder Apostasie-Gesetze, die die Grundlage für Verfolgung bilden.
Welche Rolle spielt generell der Islam beim Thema Christenverfolgung?
Man muss das sehr differenziert sehen. Aus einer übergeordneten Perspektive lässt sich sagen, dass die Verfolgung von Christen durch totalitäre Regime immer noch wesentlich härter und brutaler ist als jene in vielen islamischen Ländern. Wobei wir, wenn wir von islamischer Verfolgung reden, auch sehen müssen, dass das multikausal ist. Siehe, was ich zuerst zu „failing states“ gesagt habe. Oder es hängt auch mit dem Klimawandel zusammen: Muslimische Viehhirten fliehen etwa vor der Trockenheit im Norden Nigerias und dringen ins Gebiet christlicher sesshafter Bauern im Süden ein. Da kommt es dann irgendwann zu einem Clash, der dann religiös instrumentalisiert wird.
Wie soll man damit umgehen?
Es muss klar sein, dass es keine Alternative zum Gespräch mit jenen Muslimen gibt, die Gewalt verabscheuen, die sich gegen den Islamismus stellen. Und solche Muslime gibt es. Und noch etwas scheint mir wichtig: Nicht nur Angehörige anderer Religionen sind Bürger zweiter Klasse in vielen muslimischen Staaten, sondern auch Angehörige der jeweils anderen Ausprägung des Islams, also Sunniten und Schiiten. In manchen Ländern erinnert die Entwicklung des Islams an die Zeit des Dreißigjährigen Krieges bei uns.
Gibt es islamische Länder, wo die Christen Religionsfreiheit haben?
Jedenfalls die europäischen islamischen Länder Albanien und Bosnien-Herzegowina. Auch in Indonesien, immerhin einwohnermäßig das größte muslimische Land, besteht in weiten Bereichen ein friedliches Zusammenleben. Und es funktioniert auch in Syrien. Ich bin kein Verteidiger des Herrn Assad, aber das Überleben der Christen in Syrien ist nur in jenen Teilen des Landes möglich, wo Assad das Sagen hat – und das ist wieder der Großteil von Syrien.
Noch einmal zurück zur Eingangsfrage nach dem globalen Befund: Die Lage wird schlechter – aber: gibt es auch good news?
Im Irak stabilisiert sich die Situation. Vor allem in der Region Kurdistan mit der Hauptstadt Erbil können Christen weitgehend ungestört leben. Da ist die Lage wesentlich entspannter als 2014/15, als der IS noch im Nordirak auf dem Vormarsch war.
Wie sieht es generell mit dem vor einigen Jahren oft beklagten Exodus der Christen aus den biblischen Ländern aus?
Er hat sich verlangsamt. Wir sehen, dass Menschen zurückkehren – was von uns unterstützt wird; auch in den christlichen Dörfern in Syrien und im Irak wird aufgebaut, investiert. Heikel ist es im Libanon, da ist, so fürchte ich, die Talsohle der desaströsen wirtschaftlichen und politischen Entwicklung noch nicht erreicht. Großartig ist übrigens, was die Kirche hier leistet. Wenn alle Hilfsorganisationen weg sind, sind immer noch die örtlichen Ordensfrauen und Priester da, die die Menschen unterstützen.
In anderer Weise ist auch im ehemals „christlichen Europa“ die „Kirche in Not“. Wie sehen Sie das?
Wir müssen unterscheiden zwischen Christenheit und Christentum. Ersteres ist ein historischer Begriff, Letzteres aber gibt nach wie vor sehr kräftige Lebenszeichen. Aber ungeachtet dessen haben wir natürlich eine fortschreitende Säkularisierung, es gibt das Phänomen, welches der Heilige Vater als „freundliche Verfolgung“ bezeichnet hat – eine zunehmende Intoleranz gegenüber katholischen Positionen. Es wird die Gewissensfreiheit mehr und mehr eingeschränkt. Die ganze große Toleranz, die von Gläubigen gegenüber Nichtgläubigen gefordert wird, wird nicht in die Gegenrichtung gelebt.
Woran liegt das?
Unter anderem daran, dass das Christentum noch immer als Mainstream gilt, den man nicht schützen muss – die schützenswerten Minderheiten, das sind immer die anderen. Während man etwa jederzeit antimuslimische Tendenzen untersucht, findet das bei Christen in der Weise nicht statt.
Müsste sich die Kirche hier vielleicht stärker zur Wehr setzen?
Es kommt darauf an, wie man das macht. Wehleidigkeit ist nicht am Platz, und auch nicht eine Haltung, dass früher alles besser war. Aber dort, wo es darum geht, dass unsere katholische Lebensauffassung nicht toleriert wird, müssen wir fundiert dagegen aufstehen, jeder einzelne. Da würde es nicht schaden, wenn man sich klarer und präziser – nicht aggressiver – äußerte. Das Schwierige ist bei all dem, worüber wir gesprochen haben: Wir können als Christen nicht mit den gleichen Waffen zurückschlagen. Mit einem Aufschaukeln der Antagonismen kommen wir nicht weiter, aber wir müssen unsere Glaubensüberzeugungen entschiedener vertreten und leben. Mit Laxheit und religiöser Indifferenz geht das nicht. Wenn die Christen nicht selbst wissen, warum sie Christen sind, werden sie sich nicht behaupten können.
Thomas Heine-Geldern
geb. 1951, Dr. iur.; div. Führungsfunktionen in der Papierindustrie; 2013 bis 2018 Präsident von „Kirche in Not“ Österreich, seit 2018 gf. Präsident von „Kirche in Not“
international
Kirche in Not
(ACN – Aid to the Church in Need)
internat. katholisches Hilfswerk, seit 2011 päpstliche Stiftung, gegründet 1947
Red Wednesday
Weltweit wird rund um den 3. Mittwoch im November auf die Christenverfolgung aufmerksam gemacht, Gebäude werden rot angestrahlt
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