Entacher: "Systemerhalter unverzichtbar"

Edmund Entacher,Norbert Darabos
Kraftfahrer, Köche und Mechaniker würden "wertvolle Arbeit" leisten so Generalstabschef Entacher.

Österreich hat sich entschieden, die Politik noch lange nicht: Zur Frage, wie das Bundesheer reformiert werden soll und die Wehrpflicht für die Grundwehrdiener attraktiver gestaltet werden soll, kommt nun eine deutliche Kritik vom höchster Heeres-Stelle: Generalstabschef Edmund Entacher wundert sich über die ÖVP-Forderung, die „Systemerhalter“ (Mechaniker, Köche, Kellner) um 70 Prozent reduzieren zu wollen. Das sei „unrealistisch“, sagt Entacher, zudem würden diese „Funktionssoldaten“ ohnehin eine „wertvolle Arbeit“ erfüllen.

"Völlig illusorisch"

Entacher erklärt, dass es zusätzlich Geld brauche, wenn die Arbeit der Systemerhalter reduziert werden soll. Außerdem brauche jede Armee Funktionssoldaten, da sie in den meisten Fällen ohnehin militärische Aufgaben erfüllen. So brauche auch das Bundesheer „Kraftfahrer, Köche und Mechaniker“, auch Wachsoldaten könnten nicht zur Gänze ersetz werden, meint der ranghöchste Berufssoldat. Ihm gehe es jetzt vorrangig um die Frage, wie Leerläufe für Präsenzdiener verhindert und die Qualität der Ausbildung verbessert werden könnte. Das stehe im engen Zusammenhang mit der Qualität der Ausbildner, was bisher kaum thematisiert worden sei. Und würde man alle Aufgaben der Funktionssoldaten von zivilen Kräften durchführen lassen, bräuchte man 2000 bis 3000 zusätzliche bezahlte Arbeitskräfte. „Und das ist völlig illusorisch“, sagt Entacher.

Rückendeckung bekommt der Generalstabschef vom niederösterreichischen Militärkommandanten, Brigadier Rudolf Striedinger. Er erklärt, dass ihm etwa ein Küchenbetrieb ohne Rekruten lieber wäre. Kochen sei aber auch eine Einsatzaufgabe, nämlich im Gefechtsfeld. Das Bundesheer betreibe Feldküchen, in denen neben den Berufssoldaten Grundwehrdiener als Küchengehilfen eingesetzt werden – und auf diese könne die Armee nicht verzichten.

Zweite Verhandlungsrunde

Für die Volkspartei verhandeln Innenministerin Johanna Mikl-Leitner und Klubchef Karlheinz Kopf die Heeresreform. Aus dem Büro der Innenministerin heißt es zur Kritik Entachers gegenüber dem KURIER: „Natürlich ist die Expertise von Entacher unbestritten. Uns geht es darum, dass künftig kein Rekrut mehr seine Arbeit beim Bundesheer als sinnlose Tätigkeit erlebt. Es ist klar, dass man auch in Zukunft nicht alle Systemerhalter ersetzen wird können, sondern nur jene Tätigkeiten, die überflüssig sind.“

Diese Woche findet bereits die zweite Verhandlungsrunde von Kopf und Mikl-Leitner mit den Vertretern der SPÖ, Verteidigungsminister Norbert Darabos und Staatssekretär Josef Ostermayer, statt. Daran werden auch mehrere Experten teilnehmen.

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Pensionopolis wurde Graz in der Monarchie genannt. Weil es sich dort bei hohem Komfort wesentlich billiger leben ließ, verbrachten k.u.k. Offiziere und hohe Beamte dort gerne ihren Ruhestand. Mit dem entscheidenden Einfluss der Älteren auf den Ausgang der Volksbefragung wurde vielen endlich klar, dass sich ganz Österreich politisch auf direktem Weg in eine große Pensionopolis befindet.

Manch jüngerer Kritiker geriet in Gastkommentaren oder in Sozialen Medien gar auf demokratische Irrwege: Wieso dürften die Alten darüber entscheiden, ob die Jungen weiter ins Heer oder in den Zivildienst gezwungen werden, wurde da räsoniert. Als ob man zu einer neuen Art des Kurien-Wahlrechtes zurückwollte anstelle der modernen Demokratie mit dem gleichen Wahl- und Stimmrecht für alle und über alles.

Schlagartig wurde vielen jetzt erst klar, was sich in der Bevölkerungs- und damit unvermeidlich auch in der Wählerstruktur über die letzten 30 Jahre verändert hat. Aus der traditionellen Alterspyramide mit vielen Jungen unten und weniger Alten oben ist ein Pilz geworden. Nur noch 20 Prozent der Bevölkerung sind unter 30 Jahre, die über 65-Jährigen haben sie mit 23 Prozent überholt.

Alte dominieren Politik schon lange

Was jetzt zu theoretischen Aufgeregtheiten führte, ist in weiten Teilen der realen Politik und in der Strategie der Parteien längst Realität. Die Alten dominieren.

Sie sind ein meist stiller Machtfaktor, nicht nur wegen ihrer großen Zahl, sondern vor allem auch wegen ihrer weit größeren Beteiligung an Wahlen und der politischen Willensbildung.

Mit dem Schielen auf die wahlentscheidenden Stimmen der Älteren vermeiden die Parteien längst notwendige und schmerzhafte Reformen etwa im Pensionsbereich. Zusätzlich wird der Druck der Älteren für den Ausbau in Gesundheit und Pflege immer stärker.

Damit sind zunehmend die zukunftssichernden Investitionen in den Nachwuchs etwa im gesamten Bildungsbereich gefährdet. Parteien und Politiker denken nun einmal ungern über den nächsten Wahltag hinaus.

Der Trend zu einer immer älteren Gesellschaft ist auf Jahrzehnte nicht zu stoppen. Den jüngeren Wählern bleibt nur das sinn- und folgenlose Gejammer über die Herrschaft der Alten. Oder das wesentlich stärkere Engagement in der Politik und an den Wahlurnen.

Nur so können sie die Politiker dazu zwingen, sich um die Zukunft der Jungen mehr zu kümmern als um eine sichere Gegenwart der Älteren.

In Kooperation mit zukunftsorientierten Politikern muss Überzeugungsarbeit bei den Älteren ansetzen, dass es im Land nicht nur um sichere Pensionen und den altersgerechten Ausbau von Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen gehen kann.

Rational fehlt der nachhaltige Hinweis darauf, dass Wohlstand und Wohlbefinden der Älteren von den beruflich aktiven Jungen finanziert werden müssen. Und emotional muss klargemacht werden, dass es schließlich um ein gutes Leben für die lieben Enkerln geht.

1. SICHERHEITSDOKTRIN: Die ÖVP will, dass der Beschluss der eigentlich schon seit März 2011 vorliegenden Sicherheitsdoktrin nach der Entscheidung der Bevölkerung für die Wehrpflicht "so schnell wie möglich" parlamentarisch nachgeholt werden soll.

2. ARBEITSGRUPPE: Die Volkspartei will die Etablierung einer koalitionären Reformgruppe, die eine Neugestaltung des Präsenzdiensts begleiten soll. Die ÖVP hat dafür bereits gestern Innenministerin Johanna Mikl-Leitner und Klubobmann Karlheinz Kopf nominiert.

3. TALENTECHECK: Präsenzdiener sollen künftig eine "Potenzialanalyse" absolvieren. Diese soll Grundlage für den Einsatz der Rekruten nach der Grundausbildung sein.

4. SYSTEMERHALTER: Die Zahl der Systemerhalter soll gesenkt werden. Als Koch sollen nur noch gelernte Köche dienen, gleiches gilt für Kfz-Mechaniker, Elektriker etc. "Nach Möglichkeit soll sich der Präsenzdiener frei entscheiden können, in welcher Funktion er seinen Dienst beim Bundesheer ableistet", schreibt die ÖVP.

5. AUSBILDUNGSMODULE: Der Grundwehrdienst soll vor allem Spezialisierungen in den Bereichen Katastrophenschutz, Schutz kritischer Infrastruktur und Technik fördern. Ausbildungsmodule wie jene zu Erster Hilfe oder Schulungen an schwerem Gerät sollen so gestaltet werden, dass sie jedenfalls für Tätigkeiten im zivilen Leben angerechnet werden können.

6. BERUFSCHANCEN: Bestimmte Ausbildungsmodule sollen für den Polizeidienst und Sicherheitsdienste anrechenbar werden.

7. SPORT: Dass militärische Ausbildung "mit körperlicher Ertüchtigung einhergeht", will die ÖVP als Chance nützen, dem "latenten Bewegungsmangel in der Gesellschaft" entgegenzuwirken. Die Zeit nach der Grundausbildung soll daher für einen Sportschwerpunkt genützt werden - auch das Thema Ernährung soll Beachtung finden. Durch den Bund finanzierte Sportler (also im wesentlichen Heeres-und Polizeisportler) sollen mit Rekruten gemeinsam Sporteinheiten gestalten.

8. ERSTE HILFE: Alle Grundwehrdiener sollen umfassend in Erster Hilfe und Grundzügen der Katastrophenhilfe ausgebildet werden.

9. ÜBUNGEN: Gemeinsame Übungen mit zivilen Kräften wie Feuerwehr und Bergrettung sollen forciert werden.

10. PLANUNG: Rekruten sollen nach der Grundausbildung zumindest "in groben Zügen" über den Zeitplan der weiteren Tätigkeit beim Heer informiert werden, um private Terminplanung (z.B. Studium) besser zu ermöglichen.

11. SICHERHEITSSCHULE: Das Bundesheer soll nach Vorstellung der ÖVP eine schulische Aufgabe übernehmen. Die Bildungseinrichtungen des Militärs sollen auch nach Absolvierung des Präsenzdiensts zur Verfügung stehen. Bereits während des Präsenzdiensts soll es auf Basis der "Rot-Weiß-Rot-Fibel", die gerade in Ausarbeitung ist, einen Unterricht in Staatsbürgerkunde und politischer Bildung geben.

12. PILOTPROJEKTE: Die von Verteidigungsminister Darabos gestarteten Berufsheer-Pilotprojekte sollen nach Ansicht der ÖVP sofort beendet werden, da sie "nur unnütz Budgetmittel verschlingen". Die dadurch frei werdenden Gelder sollen in Ausbildung der Rekruten und Verbesserung der Infrastruktur, speziell der Unterkünfte der Präsenzdiener, investiert werden.

Reaktion

Er verstehe überhaupt nicht, welchen Zusammenhang diese zwölf Punkte mit der Gestaltung des Wehrdienstes, insbesondere mit der Notwendigkeit der personellen Ausstattung der Streitkräfte, hätten, kritisierte der oberösterreichische Militärkommandant Kurt Raffetseder die Forderungen der ÖVP. Zu einem Großteil seien sie schon Realität.

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