Dollfuß-Diktatur: Ist "Austrofaschismus" der richtige Begriff?

Dollfuß-Diktatur: Ist "Austrofaschismus" der richtige Begriff?
Historiker Ernst Langthaler erklärt, was für und gegen den Begriff "Austrofaschismus" spricht.

Engelbert Dollfuß war rund zwei Jahre Bundeskanzler der Ersten Republik, ehe er im Juli 1934 ermordet wurde. Dass Dollfuß autoritär regierte, nachdem er 1933 das Parlament ausgeschaltet hatte, ist unumstritten. Aber war er auch ein Faschist wie etwa Italiens Diktator Benito Mussolini? Wie Ernst Langthaler, Professor für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte an der Johannes-Kepler-Universität Linz, diese Debatte einordnet.

Wäre es Mitte der 1930er aufgrund der Spannungen zwischen Heimwehr, Schutzbund und Nationalsozialisten und den Entwicklungen in Deutschland sowie Italien realpolitisch möglich gewesen, in Österreich noch länger demokratisch zu regieren? 

Ernst Langthaler: Dieses Argument ist Teil des Dollfuß-Mythos. Die Ausschaltung des Parlaments war nicht alternativlos, sondern erfolgte im Sinn des autoritären Kurses. Die Alternative wäre die Zusammenarbeit mit der Sozialdemokratie gewesen, der aber politisch-ideologische Vorbehalte entgegenstanden.

Umstritten ist der Begriff "Austrofaschismus". Ist er treffsicher für Dollfuß‘ Amtszeit?

Ob die Dollfuß-Diktatur als „Austrofaschismus“ bezeichnet werden kann, wird in der Forschung noch immer diskutiert. Zweifellos orientierte sich Dollfuß an Elementen faschistischer Herrschaft – Antimarxismus, Antiliberalismus, Militarismus und so fort. Sein Regime erreichte jedoch nicht die Vollausprägung faschistischer Herrschaft wie in Italien und Deutschland. Vor allem fehlte der radikalisierte Nationalismus und Rassismus. Die Österreichideologie des „Ständestaats“ – wir sind die besseren, weil katholischen Deutschen – war eine Kopfgeburt und hatte keine Massenbasis. Seine Einstellung zum Judentum entsprach im Grunde dem christlichsozialen Antisemitismus seit dem späten 19. Jahrhundert. Letztlich hängt es davon ab, ab man den Anspruch oder die Wirklichkeit als Maßstab nimmt. Im ersteren Fall kann man von „Austrofaschismus“ sprechen, im letzteren Fall war es nur eine unvollständige – oder auf gut Österreichisch: „hatscherte“ – Kopie von Faschismus.

Warum fällt es ÖVP und SPÖ schwer, sich auf eine einheitliche Erzählung zum "Austrofaschismus" zu einigen?

Weil die Kernmythen der beiden Parteien – der christlichsoziale Opfermythos mit dem Nazi-Putsch 1934 als Schlüsselereignis und der sozialdemokratische Opfermythos mit dem Februaraufstand 1934 als Schlüsselereignis – die Gruppenidentitäten noch immer prägen. In der Generationenfolge wird es aber einfacher, die Kraft dieser Mythen zu brechen und aufgeklärtere Geschichtsbilder zu entwickeln. Aus wissenschaftlicher Sicht ist klar, dass die Initiative zur Zerstörung der Demokratie und Errichtung der Diktatur von Dollfuß und seinen halb- bis vollfaschistischen Bündnispartnern ausging. Klar ist aber auch, dass die Sozialdemokratie mit ihrer Phrase von der „Diktatur des Proletariats“ der Gegenseite Munition lieferte.

Im Zusammenhang mit Engelbert Dollfuß verweisen dessen Fürsprecher auf agrarpolitische Reformen. Gab es unter Engelbert Dollfuß grundsätzlich Reformen in einem erheblicheren Ausmaß als unter anderen Bundeskanzlern der Ersten Republik? 

Dollfuß begann als Landwirtschaftsminister ab 1931, eine staatliche Agrarmarktordnung einzuführen. Damit sollte der unter dem Druck der Weltwirtschaftskrise stehende Agrarsektor von der ausländischen Konkurrenz abgeschottet werden. Ähnliche Agrarpolitiken gab es zu selben Zeit in anderen europäischen Staaten. Dollfuß war ein Agrarpolitiker, der ein konservatives Ziel – die Absicherung des „Bauernstandes“ als Gegengewicht zur wachsenden Industriearbeiterschaft – mit modernen Mitteln anstrebte. Seine agrarwirtschaftlichen Initiativen sind mit dieser politisch-ideologischen Vision untrennbar verbunden.

Dollfuß war rund zwei Jahre Bundeskanzler. Erhält er zu viel Aufmerksamkeit?

Immerhin hat er in diesen zwei Jahren die Demokratie beseitigt und eine Diktatur errichtet. Das macht ihn zu einer zentralen Figur der Zeitgeschichte.

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