"Diesen Frauen wird jahrelang gesagt, dass sie nichts wert sind"
Als sie nach Hause kommt, steht ein dunkler Sarg mitten im Zimmer. Sie erstarrt. Er wollte an diesem Tag ein Zeichen setzen, ihr Angst machen. Wenn sie nicht aufpasst, wird sie selbst bald darin liegen. Wenn sie ihr Verhalten nicht rasch ändert und gefälligst nach seiner Pfeife tanzt, wird er sie töten.
Solche Szenen spielen sich mitten in Österreich ab, genauer gesagt in Oberösterreich. Die Frau, um die es geht, ist eine Klientin von Eva Schuh, die das Gewaltschutzzentrum vor Ort leitet. „Das ist einer der Fälle, die mir nicht mehr aus dem Kopf gehen“, sagt die Juristin, die mittlerweile seit 16 Jahren im Opferschutz tätig ist. Es sei vor allem diese perfide psychische Gewalt, die betroffene Frauen einschüchtern soll.
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Männer, die das Handy und die Unterwäsche kontrollieren. Männer, die bis zu zehnmal am Tag im Büro der Frau anrufen, um bei Dienstschluss davor zu warten. Männer, die Frauen nicht alleine einkaufen gehen lassen. Männer, die Frauen ständig abwerten und vor allem: Männer, die Frauen drohen und ihnen Todesangst machen. Banale Alltagssituationen eskalieren in körperlicher Gewalt. „Die Kinder sind zu laut, oder das Glas steht auf der falschen Seite des Tisches. Solch gewalttätige Männer brauchen nicht viel, um zu explodieren“, sagt Schuh.
Von 2010 bis 2020 zählte man in Österreich 793 weibliche Opfer von Morden oder Mordversuchen mit 767 Tatverdächtigen. Das zeigt eine Studie des Instituts für Konfliktforschung (IKF). Zwei Drittel dieser Fälle werden als Femizid klassifiziert, als Tötung oder Tötungsversuch einer Frau aufgrund ihres Geschlechts. Heuer wurden bereits 26 Frauen umgebracht, meistens von Partnern oder Ex-Partnern.
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„Vor fast jedem Femizid steht eine längere Gewaltgeschichte, insbesondere diese manipulierende psychische Gewalt“, sagt Schuh. Ein bedeutendes Problem in der Gesellschaft sei die Täter-Opfer-Umkehr, die sich bereits in dieser Frage zu erkennen gibt: Warum geht die Frau nicht einfach? Man müsse verstehen, dass diese Gewalttäter nicht ständig böse sind, sondern auch liebenswerte Seiten haben, erklärt Schuh.
Hinzu käme, dass die Gewalt schleichend kommt. Ständig begleitet von der Hoffnung der Frau, dass er sich bessert. Schließlich verspricht er das doch immer wieder. „Diesen Frauen wird jahrelang gesagt, dass sie nichts wert sind. Dass sie unfähig sind, ein selbstständiges Leben zu führen, daher fehlt oft der Mut, zu gehen.“
Abhängigkeit und Angst
Isolation vom sozialen Umfeld und finanzielle Abhängigkeiten sowie Sorgen um die Kinder verstärken die Angst, ihn zu verlassen. Schuh betont, dass diese Frauen „keine armen Hascherln“ sind. „Sie sind sehr stark, weil sie viel ertragen können.“ Von der Hilfsarbeiterin bis zur Akademikerin, sie alle seien von Männergewalt betroffen. Doch warum erleben wir so viel von dieser Gewalt in Österreich? „Sehr patriarchale Strukturen, großes Machtungleichgewicht der Geschlechter, Besitzdenken der Männer über Frauen“, sagt Schuh über die Wurzeln des Problems.
Das Ausmaß schlägt sich auch in der Anzahl der Gefährder nieder, die nach einem Betretungs- und Annäherungsverbot dem Verein Neustart zugewiesen wurden, um dort eine verpflichtende sechsstündige Beratung zu absolvieren. „Wir haben in den letzten zwei Jahren 20.000 Zuweisungen von der Polizei erhalten, 90 Prozent davon sind Männer“, sagt Dina Nachbaur, die bei Neustart für die Beratungsstelle für Gewaltprävention zuständig ist.
"Sehr normale Männer"
Der Verein führt diese im Herbst 2021 eingeleitete Maßnahme in fünf Bundesländern durch. In den restlichen vier wird dies von anderen Organisationen übernommen. Nachbaur zieht Resümee: „Die größte Überraschung für uns war, dass es sehr normale Männer sind.“
Die Klienten hätten nicht viel gemeinsam, da sie – wie auch die Opfer – aus allen Schichten, unterschiedlichen Kulturen und Berufen kämen. Es gibt aber zwei Dinge, die bemerkenswert seien. „Eigentlich müsste meine Frau hier sitzen“, sei der erste Satz, den auffallend viele der Gefährder zu Beginn der Beratung sagen. „Also eine klassische Täterstrategie. Er meint, sie hätte ihn provoziert“, sagt Nachbaur.
Viele Gefährder hätten darüber hinaus gemein, dass sie zuvor noch nie in einem professionellen Beratungssetting über ihre Probleme geredet oder reflektiert haben. „Auch ein Ausdruck des Patriarchats und von toxischer Männlichkeit“, sagt Nachbaur. Männer würden von sich aus selten Beratung oder Therapie in Anspruch nehmen, weil es bei vielen noch verpönt sei.
Sprachlosigkeit
Daher erlebe das Team von Neustart oft Sprachlosigkeit bei den Gefährdern. Mit Konsequenzen. „Sie können ihre Gefühle nicht beschreiben. Viele haben das Problem, dass sie in ihrer Impulsivität nicht rechtzeitig wahrnehmen, wann sie wütend werden. Sie wissen nicht, wie sie die Notbremse ziehen, bevor eine Situation eskaliert.“
Ungefähr fünf Prozent der Gefährder seien Hochrisikofälle. „Die müssen wir in diesen sechs Stunden erkennen und versuchen – gemeinsam mit Opferschutz, Polizei und Gericht – die Sicherheit der Frau zu gewährleisten.“ Nachbaur spricht oft mit den Beratern und Beraterinnen, die diese heiklen Gespräche führen. „Es ist immer die Entscheidung einer Person, eine andere zu töten. Wir sind nicht dazu imstande, in die Köpfe hineinzuschauen.“
Ihre Mitarbeiter und auch die Kolleginnen im Opferschutz stünden unter großem Druck. „Wir können nur alles Menschenmögliche tun und unseren Beitrag leisten.“ Nachbaur sagt, bisher waren es nur eine Handvoll Männer, die zuerst in der Beratung waren und dann einen Femizid begangen haben.
Intensive Beratung und gerichtsfeste Dokumentation
Von 25. November bis 10. Dezember werden jedes Jahr die internationalen 16 Tage gegen Gewalt an Frauen begangen. Eine Zeit, in der sich jedes Land intensiv mit den eigenen Maßnahmen zur Gewaltbekämpfung beschäftigt. Frauenministerin Susanne Raab betont, dass „leider nur die wenigsten Frauen, die ermordet wurden, vorher Kontakt zu einer Hilfseinrichtung hatten.“ Das Thema häusliche Gewalt sei mit viel Scham verbunden.
„Ich möchte jeder Frau sagen: ,Sie sind niemals schuld. Nehmen Sie die Beratungsstellen, die es flächendeckend und gratis in Österreich gibt, beim ersten Anzeichen der Gewalt wahr!’“, sagt Raab. Man werde neue strategische Leuchttürme setzen, so etwa in der Verbesserung der Erkennung und Dokumentation von Gewalt. „Hier arbeiten wir gemeinsam mit der Justizministerin an der Umsetzung von Gewaltambulanzen, mehr Budget dafür wurde fixiert“, erklärt Raab weiter.
Verurteilungsquote erhöhen
In diesen Gewaltambulanzen sollen sich Betroffene körperlicher und/oder sexueller Gewalt rund um die Uhr verfahrensunabhängig und kostenlos untersuchen lassen können. Dort werden die Verletzungen gerichtsfest dokumentiert, sodass sie bei einem möglichen späteren Gerichtsverfahren als Beweismittel verwendet werden können. Damit soll u. a. die Verurteilungsquote bei Fällen häuslicher Gewalt erhöht werden. In Belgien konnte die Verurteilungsquote durch die Einführung von Gewaltambulanzen in etwa verdoppelt werden, heißt es dazu aus dem Justizministerium.
"Selbstbestimmt leben"
Derzeit laufen dazu die Vertragsunterzeichnungen und die ersten Starts der Pilotprojekte. Bis Ende 2024 soll es bundesweite Roll-outs geben. Sowohl die Frauenministerin als auch die Justizministerin betonen, wie wichtig aber die Prävention und gesellschaftliche Veränderung ist. „Wir müssen so früh wie möglich ansetzen. Deshalb brauchen wir eine bundesweite Gesamtstrategie, die im Kindesalter beginnt, alle Lebensbereiche abdeckt und echte Gleichstellung fördert“, sagt Justizministerin Alma Zadić. Raab: „Die Beratungsstellen werden ihre Arbeit zur ökonomischen Unabhängigkeit intensivieren, etwa durch die Einführung von Pensionssprechtagen in den Regionen. Und zur fairen und gerechten Rollenverteilung in Paarbeziehungen, um Frauen und Mädchen zu ermächtigen, ein selbstbestimmtes Leben führen zu können. “
Frauenhelpline
0800 222 555
Österreichweit und 365 Tage im Jahr erreichbar. Der Anruf ist kostenlos, anonym und mehrsprachig möglich. Man erhält hier Erst- und Krisenberatung sowie rasche Hilfe in Akutsituationen.
Onlineberatung „HelpChat“
Steht täglich von 18-22 Uhr und jeden Freitag von 9-23 Uhr für gewaltbetroffene Frauen und Mädchen zur Verfügung. www.haltdergewalt.at
Männernotruf
0800 246 247
Anlaufstelle bei Beziehungsproblemen, Gewalterfahrung, Betretungsverbot, psychischen Problemen oder Suizidgedanken
Notruf der Polizei
Bei unmittelbarer Gefahr unbedingt 133 anrufen. Gehörlose können per SMS rund um die Uhr unter 0800 133 133 polizeiliche Hilfe rufen
Vom 25. November bis zum 10. Dezember werden nationale und regionale Hilfsangebote sowie Helplines für Betroffene am Ende des Spar Kassabons – sowohl in gedruckter Form als auch auf der digitalen Rechnung in der SPAR-App - abgedruckt.
Femizide aus fünf Jahren ausgewertet
Laut einer Studie des Instituts für Konfliktforschung (IKF), die heimische Femizide zwischen 2016 und 2020 unter die Lupe genommen hat, waren die Partner in 74 Prozent der Fälle auch die Täter. Bei rund 30 Prozent dieser Morde war eine Trennung ausschlaggebend. In etwa 30 Prozent der Fälle von Frauenmorden und -mordversuchen gab es eine jahrelange Gewaltvorgeschichte, die aktenkundig war.
Etwa ein Viertel der Opfer hatte den gewalttätigen (Ex-)Partner bereits angezeigt. Rund zehn Prozent der Täter waren bereits einmal wegen Gewalttaten gegenüber der (Ex-)Partnerin verurteilt worden. Auch Hochrisikoindikatoren für spätere Femizide wurden im Rahmen dieser Studie ausgewertet. Bei rund 47 Prozent der Täter lagen psychische Erkrankungen vor.
Auch „traumatische Erfahrungen“ sind aufgeführt. Darunter fällt etwa der Arbeitsplatzverlust, der bei rund einem Drittel der Täter aufscheint. Ebenso viele hatten bereits körperliche und sexualisierte Gewalt ausgeübt, mehr als ein Viertel psychische Gewalt. Weitere Risikofaktoren seien Waffenbesitz und patriarchales Denken. Zudem wurden Morddrohung, ökonomische Abhängigkeit, Suiziddrohung und Substanzenmissbrauch genannt.
Aufgeschlüsselt nach Nationalitäten hatten 72 Prozent der Täter in den untersuchten Fällen die österreichische Staatsbürgerschaft, davon 57 Prozent als autochthone Österreicher. Fünf Prozent waren EU-Bürger, 19 Prozent Bürger von Drittstaaten, zwei Prozent staatenlos, bei einem Prozent lagen keine Angaben vor.
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