Die Szenarien: Lockdown für alle oder nur für Krisen-Bundesländer?
Die Zeichen stehen auf Sturm: Nachdem die Landeshauptleute von Salzburg und Oberösterreich am Donnerstag verkünden mussten, dass ihre Länder ab Montag in einen kompletten Lockdown gehen, ist das L-Wort auch in der Bundespolitik wieder zu einem möglichen Szenario geworden.
Die Regierungsspitze verbrachte de facto den gesamten Donnerstag durchgehend in Krisensitzungen.
Bei einem Treffen mit den Sozialpartnern loteten der Kanzler, sein Stellvertreter, der Gesundheitsminister sowie der Arbeits- und die Tourismusministerin aus, wie mit den exorbitanten Infektionszahlen (am Donnerstag stiegen die Neu-Ansteckungen auf den neuen Rekordwert von 15.145 Fällen) sowie der dramatischen Lage in einzelnen Spitälern umzugehen sei.
„Die virologische Situation ist dramatisch“, sagte nach dem Treffen ÖGB-Chef Wolfgang Katzian. Und der Chef der Wirtschaftskammer, Harald Mahrer, wollte sich erst gar nicht festlegen, ob ein bundesweiter, kurzer, harter Lockdown nötig wird. „Das muss die Politik entscheiden“, so Mahrer.
In einem scheinen sich alle Verantwortungsträger mittlerweile einig: Im Westen, vor allem in Oberösterreich und Salzburg, gilt gesundheitspolitisch ein „Land unter“ – die Infektionszahlen sind zu hoch, die Intensivstationen heillos überlastet, eine Notbremsung unausweichlich. „Wir hoffen, dass wir zu Weihnachten wieder aus dem strengen Lockdown herauskommen“, sagte Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer. „Die jüngsten Entwicklungen haben uns keine andere Wahl mehr gelassen.“
Was den Rest der Republik angeht, war die Lage Donnerstagabend noch nicht ganz so klar.
Denn abgesehen davon, dass Teile der Bundesregierung fürchten, dass ein Lockdown für Geimpfte die Motivation zur Booster- bzw. Drittstich-Impfung völlig zerstören könnte, sah man am Donnerstag zwei andere, gröbere Probleme:
Das eine ist die Frage der Verhältnismäßigkeit – und zwar im Vergleich zwischen den Bundesländern.
Im Osten, also in Wien, dem Burgenland und Niederösterreich, sind die Intensivstationen noch nicht so stark belastet wie in den Bundesländern mit schwächeren Impfquoten. Im Burgenland etwa waren nur 16 Prozent der Intensivbetten mit Covid-19-Patienten belegt, auch in Wien hielt man mit 21 Prozent Covid-Patienten klar unter der selbst gesetzten Gefahren-Marke von 33 Prozent.
„Manche Bundesländer würden bei einem generellen Lockdown für alle einfach nicht mitgehen“, sagt ein Berater von Kanzler Schallenberg. „Wien war bei den Maßnahmen immer viel strenger als die anderen und steht jetzt besser da, im Burgenland hat man eine besonders hohe Impfquote geschafft.“
Mindestens ebenso bedeutsam ist für die türkis-grüne Regierung ein anderes Argument: Mit regionalen oder österreichweiten Lockdowns lassen sich die Infektionszahlen zwar kurzfristig senken. „Das grundsätzliche Problem wird dadurch aber noch lange nicht gelöst“, sagt ein Stratege. „Bei einer zu geringen Anzahl an Geimpften stolpern wir von Welle zu Welle und von Lockdown zu Lockdown.“ Genau das sei auf Dauer wirtschaftlich wie sozial aber nicht verkraftbar – jeder Lockdown koste viele Milliarden Euro.
Beschämend
Ein Ausweg wäre eine generelle Impfverpflichtung. Und die wird in der Bundesregierung nun stark diskutiert.
Nicht ganz zufällig stellte Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck am Donnerstag fest, dass sie nicht für Lockdowns, sehr wohl aber für eine verpflichtende Schutzimpfung für alle sei; ähnlich ÖVP-Europaministerin Karoline Edtstadler. Und auch der steirische Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer hat laut Kleiner Zeitung in der Vorbesprechung zur heute, Freitag, stattfindenden Landeshauptleutekonferenz in Tirol angekündigt, dass er sich für eine allgemeine Covid-19-Impfpflicht starkmachen will. An der Konferenz nehmen der Kanzler und der Gesundheitsminister teil – auch das zeigt den Ernst der Lage.
Experten haben mit einer Impfpflicht kein Problem.
Österreichs Ärztevertreter richteten sich mit einem einhelligen Appell an die Politik, die Covid-Schutzimpfung flächendeckend verpflichtend zu machen. „Es braucht jetzt ein klares Zeichen der Republik, dass die Gemeinschaft die aktuelle Situation nicht länger hinnehmen kann“, sagte der Präsident der österreichischen Ärztekammer, Thomas Szekeres. Und auch der die Regierung beratende Komplexitätsforscher Peter Klimek (Uni Wien) hält eine Impfpflicht für wichtiger als Lockdowns. „In die Richtung muss man Entscheidungen treffen“, so Klimek.
Was bedeutet all das für die nähere Zukunft?
West-Lockdown
Donnerstagabend kursierte eine „Zwischenvariante“ zum österreichweiten Lockdown, nämlich: ein „West-Lockdown“, an dem neben Oberösterreich und Salzburg Tirol und allenfalls Vorarlberg teilnehmen. Dieser wäre ein Signal an die Winter-Touristen, hieß es. Und österreichweit? Da waren zuletzt „sanftere Maßnahmen“ wie eine FFP2-Maskenpflicht in allen geschlossenen Räumen in Diskussion. Wie lange? So lange, bis die Zahlen eben sinken.
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