Die Reizfigur: Warum Kickl den Blauen so wichtig ist
Er sei ein scharfsinniger Gesprächspartner, gebildet und wortgewandt, hieß es über Herbert Kickl zur Blütezeit der türkis-blauen Koalition.
Schwierig, nicht ministrabel bis gefährlich, heißt es jetzt. Dazwischen liegen 18 Monate, eine BVT-Razzia und ein Ibiza-Video.
Kickl war nicht auf Ibiza, aus der BVT-Affäre wusste er sich herauszuwinden – ein Provokateur war er in der Regierung aber immer. Weil die FPÖ ihn nicht gehen lassen wollte, platzte Türkis-Blau.
Und Kickl bleibt eine Reizfigur: Eine Neuauflage von Türkis-Blau gehe sich mit ihm nicht aus – „wurscht, auf welchem Sessel“, machte Ex-ÖVP-Minister Gernot Blümel erst am Sonntag im KURIER-Interview klar.
Der Effekt: Die Blauen schließen ihre Reihen. „Herbert Kickl ist der beste Innenminister aller Zeiten.“
"Die freiheitliche Familie hältzusammen", heißt es beim KURIER-Rundruf von Vorarlberg bis ins Burgenland. Das scheinen mehr als nur Wahlkampf-Slogans zu sein. Es geht auch nicht nur um Kickl. Es geht ums Prinzip.
„Ibiza war ein einschneidendes Ereignis“, sagt der Tiroler Landesparteichef Markus Abwerzger. „Zuerst war da Schock, dann Selbstmitleid, schließlich Wut. Aber wir haben erkannt: Nur, wenn wir an einem Strang ziehen, überstehen wir das.“
Nach dem Post-Ibiza-Slogan „Jetzt erst recht“ trommeln die Freiheitlichen auf allen Kanälen den schon bei Jörg Haider und Heinz-Christian Strache erprobten Spruch: „Sie sind gegen ihn, weil er für Euch ist.“ Ihr neue Märtyrer heißt Herbert Kickl.
Ein Redenschreiber ...
Aber was – ganz nüchtern betrachtet – ist aus blauer Sicht an ihm so besonders?
Kickl begann im Jahr 1995 als 27-Jähriger in der Wahlkampforganisation bei der FPÖ-Parteiakademie. Sein Studium der Philosophie und Geschichte schloss er nie ab, stattdessen arbeitete er sich zum Redenschreiber von Jörg Haider hoch. 2005 holte ihn Heinz-Christian Strache nach Wien und machte ihn zum Mastermind hinter jeder FPÖ-Kampagne.
„Die Richtung, in die sich die Freiheitliche Partei entwickelt hat, ist sicher zu einem großen Teil ihm zuzuschreiben“, sagt ein hochrangiger Parteifunktionär und kommt ins Schwärmen: „Wenn er in Sitzungen das Wort ergreift, sind alle still. Im Nachhinein hat sich immer herausgestellt, dass er recht hatte mit dem, was er sagte.“
In der ÖVP hat man Kickl offenbar falsch eingeschätzt. Als er 2017 als Innenminister im Gespräch war, wurde er belächelt: Der Kärntner, der Asket, der maximal unter Zwang ein Bierzelt betritt und lieber in den Bergen herumkraxelt, soll oberster Chef der Polizei werden? Man gab ihm das Innenministerium, ein schwarz dominiertes Haus, und Sebastian Kurz schenkte ihm das Migrationsthema. Kickl war viel radikaler, er war unverhohlen rechts. Rufe der Empörung prallten an ihm ab. In den sozialen Netzwerken inszenierte er sich im Kreise von Polizeibeamten, mit Polizeihunden und -pferden, und überhaupt überall, wo man ihn vorher nicht vermutet hätte. „Er hat seinen Job zu gut gemacht“, sagt man in der FPÖ mit verschwörerischer Stimme – freilich ein sehr subjektiver Eindruck. „Deshalb will ihn die ÖVP weg haben.“
Blümel, die rechte Hand von ÖVP-Parteichef Sebastian Kurz, sperrt ihn mit dem „Wurscht, auf welchem Sessel“-Sager auch für sämtliche andere Ministerposten. Fragt sich: Pokert die ÖVP – die Landeshauptleute im Westen als treibende Kraft – zu hoch? Würden die Freiheitlichen Kickl opfern, um wieder regieren zu können? Daran denkt (jetzt) niemand (laut) nach. „Die Personalauswahl machen wir immer noch selber“, winkt Wiens FPÖ-Chef Dominik Nepp ab.
Es sei absurd, wenn andere Parteien beginnen, sich Personen auszusuchen, meint auch Christof Bitschi aus Vorarlberg: „Die ÖVP sollte lieber über Inhalte nachdenken – da haben wir viel gemeinsam, wie man am Regierungsprogramm sieht.“
Die FPÖ-Steiermark, für die Ex-Minister Mario Kunasek als Spitzenkandidat antritt, blockt klar ab: „Kickl steht nicht zur Diskussion.“
1995 bis 2001: Herbert Kickl arbeitet in der Parteiakademie als Wahlkampforganisator, wird später Geschäftsführer.
2000: Schwarz-Blau I mit Kanzler Wolfgang Schüssel und Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer. FPÖ-Chef Jörg Haider verhandelte zwar die Koalition, bleibt aber in Kärnten.
2001: Kickl tritt erstmals als Redenschreiber für Haider in Erscheinung, aus seiner Feder stammt etwa: „Wie kann einer, der Ariel heißt, so viel Dreck am Stecken haben?“
2003: Schüssel wagt Schwarz-Blau II und bleibt Kanzler, Hubert Gorbach wird Vizekanzler und FPÖ-Chef.
2005: Heinz-Christian Strache übernimmt nach der BZÖ-Abspaltung die FPÖ und setzt Kickl als Generalsekretär ein.
2006: Im Nationalratswahlkampf wird plakatiert: „Daham statt Islam“. Kickl zieht als Abgeordneter ins Parlament ein.
2010: Wieder regt ein Reim aus Kickls Feder auf: „Mehr Mut für unser Wiener Blut. Zu viel Fremdes tut niemandem gut.“
2017: Türkis-Blau I: Sebastian Kurz wird Kanzler und Strache Vizekanzler, Kickl wird Innenminister.
2019: Die türkis-blaue Koalition zerbricht, die Regierung wird abgewählt. Kickl ist seither FPÖ-Klubchef im Parlament.
... und Stratege
Tirols Landeschef Abwerzger appelliert derweil an die „Vernunft“ der Türkisen: „Ihnen müsste klar sein, dass sie das Programm, das ihnen wichtig ist, nur mit der FPÖ in die Tat umsetzen können. Wenn sie sich das eingestehen, sind wir offen dafür.“
Andreas Mölzer, blaues Urgestein, sieht die Situation recht entspannt: „Wir sind im Wahlkampf, das ist doch nur Geplänkel.“ Die ÖVP, so glaubt er, wolle eine „möglichst billige FPÖ“, einen „willfährigen Vizekanzler“ wie damals, im Jahr 2002, nach Schwarz-Blau I und vor Schwarz-Blau II. „Aber das wird’s nicht spielen“, winkt er ab. In letzter Konsequenz, so glaubt Mölzer, könnte Kickl selbst derjenige sein, der sich opfert: „Er ist ein kühler, rationaler Stratege. Er wird noch andere Wirkungsbereiche für sich sehen.“
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