Was folgte, war ein föderalistischer Albtraum: In einigen Bundesländern wurden Abstandssünder weiterhin gestraft, in Oberösterreich und Wien nicht mehr, in anderen Ländern nur noch verwarnt.
Eine Woche später verkündete Gesundheitsminister Anschober nun, dass die entsprechende Verordnung außer Kraft gesetzt wird – damit ist jetzt klar, dass österreichweit nicht mehr gestraft wird. Laufende Verfahren werden eingestellt. Ob die bereits bezahlten Strafen rückerstattet werden, ist aber noch offen.
Bestehen bleibt allerdings die Pflicht zum Mund-Nasen-Schutz im Lebensmittelhandel, in Apotheken, Spitälern und in den öffentlichen Verkehrsmitteln. Die Wiener Polizei, die wegen der Unklarheiten zuletzt von Strafen abgesehen hat, kontrolliert die Maskenpflicht jetzt wieder.
Gesetzlich mag der Babyelefant darniederliegen, gesundheitlich sei der Mindestabstand aber weiterhin gefragt, betonte Anschober. Es ist freilich nur ein Appell an die Vernunft – bis der Babyelefant reanimiert ist. Aus seinem Büro heißt es, dass die Abstandsregel spätestens bis zum Herbst gesetzlich auf neue Beine gestellt werden solle.
Das ist aber nur ein Teil des Chaos, das Anschober nun ordnen will – oder vielmehr: muss. Das gestand der Minister am Dienstag aus aktuellem Anlass auch öffentlich ein: „Die Einreiseverordnung war schlechte Arbeit. Und Punkt“, sagte er. Es seien „eine Reihe von Fehlern passiert“, so Anschober – und sah eine „Holschuld“ in seinem Ministerium, die nicht erfüllt worden sei.
Die Verordnung wurde am Freitag in der Nacht kundgemacht und sorgte übers Wochenende – spätestens nach der dritten Klarstellung über die Medien – für Verwirrung auf allen Ebenen. Experten, mit denen der KURIER sprach, urteilen, sie sei „unverständlich und für die Behörden nicht vollziehbar“, außerdem „in sich nicht schlüssig und sprachlich voller Fehler“. Diese Peinlichkeit hätte man sich ersparen können, heißt es gleichzeitig, wenn man auf Experten gehört bzw. sie überhaupt gefragt hätte.
Die Ressourcen wären ja da: Einerseits stehen jedem Ministerium die Juristen des Verfassungsdienstes im Bundeskanzleramt zur Verfügung – das ist die „Holschuld“, von der Anschober sprach. Der Verfassungsdienst wird üblicherweise im Zuge von parlamentarischen Begutachtungsverfahren konsultiert. Dieses Standardprozedere ersparte man sich in der Corona-Hochphase aus Zeitgründen.
Im Mai aber entspannte sich die Lage etwas. Zeit, die man für die weitere Planung nutzen konnte. Und dass im Sommer mehr Menschen reisen und das Virus einschleppen, dürfte vorhersehbar gewesen sein. Dennoch wurde bei der aktuellen Einreiseverordnung, die zum Beispiel PCR-Tests für Einreisende aus Risikoländern vorschreibt, der Verfassungsdienst wieder nicht befasst.
Übrigens auch nicht der Expertenbeirat, den Anschober nach dem Debakel mit seinem Oster-Erlass im April einberufen hatte. In diesem Gremium saßen unter anderem die Linzer Uni-Professoren Andreas Janko und Michael Mayrhofer. Beide bestätigen gegenüber dem KURIER, dass sie auch nach April „gerne“ ihre Expertise zur Verfügung gestellt hätten.
Mayrhofer plädiert dafür, nicht nur Juristen, sondern auch die vollziehenden Behörden in den Ländern einzubinden und – für die Zukunft – mit der Verordnung eine Erläuterung mitzuschicken.
Minister Anschober steht nach dem VfGH-Urteil (das übrigens auch schon einige Juristen prophezeit hatten) jetzt unter Zugzwang: Das Covid-19-Maßnahmengesetz soll samt Abstandsregel bis September novelliert werden. Kommendes Jahr will er zudem das aus dem Jahr 1913 stammende Epidemiegesetz angehen.
Anschober will dafür die juristische Expertise in seinem Haus aufstocken – er geht von fünf bis sechs zusätzlichen Mitarbeitern aus.
Und: „Es darf künftig kein Rechtsmittel hinausgehen, das nicht vom Verfassungsdienst überprüft wurde.“ Die Einsicht kam spät, aber sie kam. Immerhin.
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