Wie kann es sein, dass die Bundeswehr noch immer so marode ist, wo doch der Kanzler kurz nach dem Überfall der Russen eine „Zeitenwende“ ausgerufen hat, sogar 100 Milliarden dafür ausgeben wollte? Die Antwort darauf ist so komplex wie typisch deutsch: Ein Grund liegt darin, dass diese Milliarden auch zum Löcherstopfen im regulären Haushalt herhalten müssen. Daneben müssen auch jene Waffen, die an die Ukraine abgegeben werden, aus dem Topf finanziert werden. Und die Fehlbestände in den Arsenalen, die durch den Krieg immer weiter wachsen, lassen sich wegen der hohen Nachfrage und den Kostensteigerungen auch nicht schnell beheben – auch wenn es an der Zeit wäre: Laut Spiegel verfügt die Bundeswehr über gerade mal 20.000 Artilleriegranaten. So viel, wie Russland täglich in der Ukraine verschießt.
➤ Mehr lesen: Deutschland startet in die Zeitenwende – aber ohne das nötige Geld
Imageproblem
Dazu kommt ein noch gravierenderes Problem: Auch wenn die Truppe ihre Nachschubprobleme lösen könnte, hätte sie derzeit gar nicht das Personal, um die Waffen zu bedienen. Etwa 180.000 aktive Soldaten gibt es derzeit, bis 2030 müssten es laut NATO 203.000 sein.
Das wird kaum bis gar nicht schaffbar, sagen Experten. Nach Jahren des „Downsizing“ stehen viele Soldaten vor dem Ruhestand, bis 2027 in Summe 64.000. Jährlich bräuchte es 20.000 Neueinstellungen, um die Lücke zu füllen – das zusätzlich nötige Personal für die NATO-Kriterien noch nicht eingerechnet.
Woher die also nehmen? Eine Wiedereinführung der Wehrpflicht, deren Abschaffung 2011 für Pistorius „ein Fehler“ war, hat ihm Kanzler Scholz rasch abgeräumt, politisch würde die Ampel das wohl nicht durchbringen. Diverse Ideen geistern daher herum, etwa Besuche von „Jugendoffizieren“ in der 9. Schulstufe, bei 15-Jährigen.
➤ Podcast: Wie marod ist die deutsche Bundeswehr?
Sie sollen helfen, die Bundeswehr bei der Jugend bekannt und beliebt zu machen, da sie – anders als zu Wehrpflichtzeiten – ja keine Berührungspunkte mehr mit dem Militär habe. Nur: Das Imageproblem wird auch das nicht lösen. Nicht erst seit den Skandalen um Rechtsextreme in den eigenen Reihen kämpft die Bundeswehr mit ihrem Ruf, unattraktiv ist sie aber auch wegen der teils miserablen Arbeitsbedingungen.
Nicht nur die schwierige Vereinbarkeit von Arbeit und Familie oder lange Dienstzeiten und Überstunden machen den Militärdienst nicht gerade erstrebenswert, sondern ganz essenzielle Dinge. Im jüngsten Wehrbericht sind massenhaft Schimmelprobleme in desolaten Kasernen aufgelistet. Teils gibt es für knapp 100 Bedienstete nur zwei Toiletten, sie wohnen zuhauf in Sechserzimmern, WLAN gibt es oft nicht. Wenig Wunder, dass fast ein Viertel der Rekruten bald wieder das Handtuch wirft. Vor allem Fachkräfte fehlen so, sie zieht es in den oft besser bezahlten Tech-Sektor.
Vorbild Schweden
Putins Krieg hat daran auch wenig geändert. 2022, im Jahr der russischen Invasion, sank die Zahl der Bewerbungen sogar noch um elf Prozent. Das Verteidigungsministerium prüft daher nun eine Idee aus dem NATO-Neumitglied Schweden: Dort gilt die „Dienstpflicht“; alle 18-Jährigen werden zwar gemustert, aber nur fünf Prozent davon leisten auch den Grundwehrdienst.
Im Schweden gilt die Wahl als Auszeichnung. – ob das die Deutschen auch schaffen, muss sich erst zeigen.
Kommentare