Der untypische Grüne: Schafft Kogler das große Comeback der Ökos?
Er muss sich fürs Foto erst die Hemdsärmel ordentlich aufkrempeln, die Haare sitzen nicht so richtig, und auch der Gürtel verrutscht ihm immer wieder. Der Tag war schon lang. „Schee bin i net, aber wenigstens authentisch“, sagt der Steirer.
Werner Koglers Selbstanalyse bringt es ziemlich auf den Punkt: Er, das 57-jährige Grünen-Urgestein verkörpert nicht unbedingt das, was eine Partei wie die Grünen für sich in Anspruch nimmt: jung, weiblich und progressiv zu sein. Aber er ist da und er rudert.
Noch immer. Eigentlich sollte er ja nach dem überraschenden Erfolg bei der EU-Wahl (14,1 Prozent) längst in Brüssel sein. Die Neuwahl hat die Grünen etwas überrumpelt – eine Alternative zu Kogler gab es nicht.
Also verzichtete der studierte Volkswirt auf sein Mandat und schmiss sich diesen Sommer direkt in den nächsten Wahlkampf. Er soll die Grünen wieder in den Nationalrat bringen – oder sogar in eine Regierung.
"Der Vater des Erfolgs"
Für die getreuen Ökos und jene, die jetzt wieder zurückkommen, ist er so etwas wie eine Ikone, jedenfalls aber „der Vater des Erfolgs“. Wie das kam?
„Alles bestens“? Ein Rückblick: Im Sommer 2017 schwante vielen politischen Beobachtern bereits Übles: Eva Glawischnig war überraschend als Parteichefin zurückgetreten, wenig später hatte sich mit Peter Pilz einer der zugkräftigsten grünen Polit-Akteure im Schlechten von der Partei getrennt. Und von der Parteijugend hatte man sich nach einem internen Zerwürfnis gelöst.
Spitzenkandidatin Ulrike Lunacek wirkte in Wahldebatten spröde, die Tiroler Landessprecherin Ingrid Felipe bildete mit ihr eine Doppelspitze – und niemand wusste so recht, was sie auf Bundesebene überhaupt will. Bei den Ökos ging man zur Tagesordnung über. „Alles bestens.“ War es nicht.
Werner Kogler stand da in der zweiten Reihe – an der Seite von anderen Grünen Aufdeckern wie Gabi Moser und Albert Steinhauser. Im Parlament hielt er flammende Reden über Budgets, Korruption, und was ihm sonst noch sauer aufstieß. Nur zum Wahlkampf, da hielt er sich zurück.
Als dann am Wahltag, dem 15. Oktober 2017, die ersten internen Prognosen eintrudelten, wischten Spitzenfunktionäre die Bedenken vom Tisch. „Das wird schon.“ Wurde es nicht.
3,8 Prozent lautete das Wahlergebnis. Weinen und Wehklagen, Fehleranalysen und Schuldeingeständnisse.
Einer stand auf
Lunacek zog sich zurück, Felipe ging wieder nach Tirol. Die Bundesgeschäftsführung und jene, die für den misslungenen Wahlkampf verantwortlich waren wie Dieter Brosz, verschwanden ebenfalls von der Bildfläche, die meisten Mandatare gingen in die Privatwirtschaft. Die Grünen flogen aus dem Nationalrat, bekamen keine Parteienförderungen mehr, auch der Klubstatus war futsch. Die Partei war am Boden, kurz vor der Pleite. Einer stand auf: Werner Kogler.
Bis Ende 2017 war der Konkurs der Bundespartei abgewendet, die starken Landesorganisationen halfen mit. Aber was den Neustart der Partei anbelangte, machte Kogler niemandem etwas vor: Die Grünen, so betonte er stets (mehr oder weniger durch die Blume) gehen so gar nicht mehr. Sie müssten verständlicher werden, näher am Menschen. Weniger Uni-Vorlesung, mehr Stammtisch. Sie müssten radikaler werden, auch heiklere Themen ansprechen. Kogler wollte die Breite. Raus aus der linken Nische.
Da kam ihm einer wie gerufen: Georg Willi wurde im Mai 2018 erster Grüner Bürgermeister. Den Innsbrucker kannte außerhalb der Tiroler Landeshauptstadt wohl kaum jemand, kurz vor der Wahl wurde er mit diesem Satz schlagartig bekannt: „So hart das klingen mag, aber die Frage, ob ich mir das Dach überm Kopf leisten kann, beschäftigt die Leute ganz einfach mehr als die Frage nach dem Binnen-I oder der Ehe für alle.“
Im feministischen Lager löste das Empörung aus, überall sonst hieß es plötzlich: „Wo ein Willi, da ein Weg.“
„Weiberwirtschaft“
Georg Willi und Werner Kogler sind vom gleichen Typus: ewig in der Partei, mehr graue Haare als pigmentierte, hemdsärmelig, eckig und kantig. Wieso die beiden so gut ziehen?„Gerade deswegen!“, sagt Wolfgang Bachmayer, Chef des Meinungsforschungsinstituts OGM. Unter der früheren Frontfrau Glawischnig seien die Ökos die Partei des erhobenen Zeigefingers gewesen – des: „du sollst, du sollst nicht“, erklärt Bachmayer. Kurzum: spaßbefreit. Peter Pilz sprach einst von einer „Grünen Weiberwirtschaft“, und so despektierlich das klingt – viele stimmten zu.
Das Wählersegment der Grünen wurde irgendwann recht eng: jung, urban, umweltbewusst, links. Klischeehaft ausgedrückt: es waren die laktoseintoleranten, veganen Feministinnen in Birkenstock-Sandalen aus dem 7. Wiener Gemeindebezirk. So war zumindest die Wahrnehmung.
Mit Parteichef Kogler wurde das Segment deutlich breiter, sagt Meinungsforscher Bachmayer: „Aus Sicht der gereifteren Bevölkerung sind die Grünen ein Stück normaler geworden. Sie sind in die mittleren Altersgruppen und generell mehr in die Mitte der Gesellschaft hineingewachsen.“
Ein Blick auf die Sonntagsfrage des OGM-Instituts Mitte August macht das deutlich: Bei den Unter-30-Jährigen würden 13 Prozent die Grünen mit Kogler an der Spitze wählen, bei den 30- bis 50-Jährigen sind es zehn, bei den Plus-50-Jährigen sieben Prozent. 2017 lag der Anteil des mittleren Alterssegments noch bei vier Prozent, also weniger als der Hälfte. Noch immer sind die linken Grün-Wähler aber eher im städtischen Bereich zu Hause, die eher bürgerlichen im Westen, etwa in Tirol und Salzburg, wo es Regierungsbeteiligungen gibt. Apropos.
ÖVP: Feind oder Freund?
Mit bis zu zwölf Prozent, die ihnen in Umfragen derzeit zugetraut werden, qualifizieren sich die Grünen als Koalitionspartner. Bloß: Mit wem können oder wollen sie zusammenarbeiten?
Mit Sebastian Kurz, ÖVP-Chef und Ex-Kanzler, will Kogler jedenfalls nicht, das stellte er schon mehrfach klar. Türkis-Blau bezeichnete er als „Schurkenregierung“. Mit der einen „Schurken“-Hälfte eine Partnerschaft einzugehen, würde die Parteibasis, vor allem der linke Flügel in Wien, wohl nicht zulassen.
Etwas lockerer sieht man das im Westen. Die Tiroler Landeshauptmann-Stellvertreterin und Landessprecherin Ingrid Felipe meinte kürzlich als erste Grüne, dass man auf jeden Fall Koalitionsgespräche führen werde, sofern man durch ein gutes Wahlergebnis in die glückliche Lage komme. Felipe schloss auch Kurz nicht aus: „Ich mache eine Regierungsbeteiligung nicht von Personen abhängig, sondern von Inhalten.“
Bürgerliche und Linke Die Prämisse – und das ist eine wichtige, wenn nicht sogar überlebenswichtige: Für eine Fortsetzung des türkis-blauen Kurses stehe man nicht zur Verfügung. Will man mit den Grünen koalieren, müsse diese Regierung eine „klare ökosoziale und menschenrechtsbasierte Handschrift“ haben. Man will nicht absorbiert werden.
KURIER Talk zur Wahl mit Werner Kogler
Und Felipe meint zu beobachten, dass die Bundes-ÖVP dabei sei, „grüner zu werden“. Womöglich ist sie da etwas zu optimistisch – oder geprägt vom eigenen Land, wo sie mit ÖVP-Chef Günther Platter regiert. Der Punkt ist aber, und das zeigen auch bzw. gerade die früheren Erfolge in den Ländern: Schaffen es die Grünen, das bürgerliche und das linke Lager zu vereinen bzw. beide zu bedienen und dabei glaubwürdig zu bleiben, ist eine Regierungsbeteiligung im Bund nur der nächste logische Schritt.
Außerdem: Das Nein von Kogler sei alles andere als definitiv, sagt Meinungsforscher Wolfgang Bachmayer: „Vor der Wahl wird aus taktischen Gründen vieles gesagt. Aber wenn es nach der Wahl um Teilhabe an der Macht geht, dann werden die Karten neu gemischt.“
Und wie geht es mit Kogler weiter? Er meinte stets, er werde sich von der Parteispitze verabschieden, sobald die Grünen wieder auf Kurs sind, und Platz für eine neue Generation machen. Betrachtet man die Erfolge, die ausgerechnet er, der alte Haudegen, und Artgenosse Willi in Tirol eingefahren haben, ist aber fraglich, ob die Wähler einen Parteichef wollen, der noch grün hinter den Ohren ist.
Auch diese Ansage relativiert Meinungsforscher und Politik-Beobachter Bachmayer: „Wenn Kogler die Grünen wieder in den Nationalrat bringt, sitzt er fest im Sattel. Bis er den wiederrichteten Hof dann an einen Nachfolger übergibt, wird es dauern.“
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