Der Kurz-Prozess: Highnoon im Schwurgerichtssaal

Zur Verhandlung stehen zwar nur Falschaussagen, dennoch geht in der kommenden Woche ab dem 18. Oktober im Großen Schwurgerichtssaal im Wiener Landesgericht der Prozess des Jahres über die Bühne. Das liegt an einem der Angeklagten: Ex-Kanzler Sebastian Kurz (37). Dem ehemaligen Chef der ÖVP wird vorgeworfen, dass er im U-Ausschuss nicht die Wahrheit gesagt habe, als er zur Bestellung von Thomas Schmid zum Vorstand der Beteiligungsholding des Bundes, kurz ÖBAG, gefragt wurde.
Im Frühjahr 2021 hatten ihn die Abgeordneten Stephanie Krisper (Neos) und Kai Jan Krainer (SPÖ) angezeigt, weil dieser im Juni 2020 mutmaßlich falsch ausgesagt habe, als es darum ging, wie er in die Thomas-Schmid-Entscheidung eingebunden war.

Stephanie Krisper und Kai Jan Krainer
Es sind gleich mehrere Vorwürfe, die dem ehemaligen Regierungschef diesbezüglich von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) gemacht worden sind.

Ex-ÖBAG-Vorstand Thomas Schmid
24. Juni 2020 Sebastian Kurz sagt vor dem Untersuchungsausschuss betreffend mutmaßliche Käuflichkeit der türkis-blauen Bundesregierung (Ibiza-Untersuchungsausschuss) aus. Es ging darum, in welcher Weise bzw. wie intensiv Kurz in die Umwandlung der Staatsholding ÖBIB in die ÖBAG und die Bestellung des BMF-Generalsekretärs Thomas Schmid zum Alleinvorstand sowie in die Auswahl des Aufsichtsrates eingebunden war
März 2021 Chats zwischen Schmid und Kurz werden publik, die – entgegen den Aussagen von Kurz – eine unmittelbare Involvierung von Kurz nahe zu legen scheinen. Neos-Abgeordnete Stephanie Krisper zeigt Kurz daraufhin wegen des Verdachts der Falschaussage an
Mai 2021 WKStA leitet Ermittlungen ein
3. September 2021 Kurz wird von Richter Stephan Faulhammer im Beisein von WKStA-Oberstaatsanwalt Gregor Adamovic über sechs Stunden lang befragt. Das Gespräch verläuft streckenweise durchaus emotional. Kurz weist alle Vorwürfe von sich
Ende 2022/Anfang 2023 Die Ermittlungen der WKStA sind abgeschlossen, diese schickt einen Vorhabensbericht an die zuständige Oberstaatsanwaltschaft, danach wandert der Akt ins Justizministerium und von dort an den Weisungsrat
Anfang Juli 2023 Der Weisungsrat gibt seine Stellungnahme zum Vorhabensbericht ab
18. August 2023 Es wird bekannt, dass die WKStA gegen Kurz Anklage erhebt
Wichtig erscheint der WKStA dabei auch eine Chatnachricht vom ehemaligen Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) und von Ex-Finanzminister Hartwig Löger (ÖVP) über ein vereinbartes Personalpaket.
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Sebastian Kurz hat immer abgestritten, dass er mit Vorsatz falsch ausgesagt habe. In seiner "verantwortlichen Äußerung“ zum 108 Seiten starken Strafantrag der WKStA schreibt er:
"Ich war schon zum Zeitpunkt der Einvernahme im Untersuchungsausschuss in Kenntnis darüber, dass insbesondere die elektronische Nachrichtenkommunikation von Mag. Schmid umfänglich von der WKStA sichergestellt war, weshalb mir von vornherein klar war, dass jegliches bewusstes Abweichen von meiner konkreten Erinnerung, soweit sie damals vorhanden war, völlig sinnlos und kontraproduktiv wäre und mir selbst nur Schaden bringen würde.“
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Deswegen habe er nicht den geringsten Vorsatz oder auch den geringsten Anlass gehabt, unrichtige Aussagen abzugeben, „die nicht meinen damaligen Erinnerungen entsprechen würden“.

ÖVP-Bundesparteitag 2017: Bettina Glatz-Kremsner und Sebastian Kurz
Ob er mit dieser Argumentation durchkommen wird, hängt von Richter Michael Radasztics ab. Vor ihm muss sich Sebastian Kurz verantworten. Wobei er am 18. Oktober, dem ersten Prozesstag, noch nicht an der Reihe sein wird. Da wird Bettina Glatz-Kremsner, die ehemalige Direktorin der Casinos Austria, befragt. Ihr werden ebenfalls Falschaussagen vorgeworfen, genauso wie dem ehemaligen Kabinettschef von Kurz, Bernhard Bonelli. Der muss genauso auf der Anklagebank Platz nehmen.
Vorerst keine Zeugen
Sebastian Kurz wird erst am 20. Oktober vom Richter befragt werden, Bernhard Bonelli soll dann am 23. Oktober an der Reihe sein. Sicher ist, dass es nach diesen drei Tagen kein Urteil geben wird. Im Gegenteil. Es wird danach noch etliche Verhandlungstage geben müssen. Immerhin hat die WKStA im Strafantrag mehr als 20 Zeugen genannt. Darunter auch Ex-ÖBAG-Vorstand Thomas Schmid oder Ex-Vizekanzler Heinz Christian Strache.
Sicher ist, dass der Schwurgerichtssaal in der kommenden Woche bis auf den letzten Platz gefüllt sein wird. 83 Medienschaffende aus dem In- und Ausland haben sich angemeldet, weitere 38 Sitzplätze stehen für private Prozessbeobachter zur Verfügung. Gerichtssprecherin Christina Salzborn warnt jedenfalls davor, auf gut Glück zum Landesgericht zu kommen und dort auf einen freien Platz zu hoffen. „Es macht keinen Sinn, ohne Reservierung zur Verhandlung zu kommen. Wir haben nicht die Kapazitäten, Leute, die kurzfristig kommen wollen, im Saal unterzubringen.“

2020: Anwalt Werner Suppan und Kanzler Sebastian Kurz beim Untersuchungsausschuss
Mögliche Urteile
Im Vorfeld haben sich alle drei Angeklagten „nicht schuldig“ bekannt. Sebastian Kurz ist sogar felsenfest davon überzeugt, dass er am Ende der Verhandlungen mit einem Freispruch aus dem Gerichtssaal spazieren wird.
Weitere mögliche Urteile abseits eines Freispruchs, die im Vorfeld in Justizkreisen diskutiert worden sind:
- Schuldspruch Falls der ehemalige Bundeskanzler vom Richter schuldig gesprochen wird, werden seine Anwälte sicherlich Berufung anmelden. Man verweist da auf einige Verfahren, bei denen es zuletzt in erster Instanz einen Schuldspruch gegeben hat, der danach vom Oberlandesgericht aufgehoben worden ist. Etwa im Fall von Oberstaatsanwalt Johann Fuchs.
- Diversion Es könnte vom Richter auch das Angebot für eine Diversion kommen. Dann gibt es zwar keinen Schuldspruch, so eine Lösung wird dennoch meist als Schuldeingeständnis gesehen. Womit sie für Sebastian Kurz wohl nicht infrage kommen dürfte.
- Aussagenotstand Oberstaatsanwalt Fuchs hatte sich in seinem Verfahren, bei dem es auch um eine Falschaussage im U-Ausschuss gegangen war, auf einen Aussagenotstand berufen. Da geht es um eine falsche Beweisaussage, die nicht bestraft wird, weil man „sich oder einem Angehörigen Schande oder die Gefahr strafrechtlicher Verfolgung“ ersparen will. Auch diese Variante dürfte für Kurz nach Einschätzung von Beobachtern nicht zum Tragen kommen. Er will und setzt auf einen glatten Freispruch.
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