Die einen wollen das Bundesland abschotten, die anderen orten „Tirol-Bashing“. Was die Virusmutation mit Andreas Hofer und den griechischen Inseln zu tun hat, oder: der Versuch einer Annäherung an die Tiroler Seele.
Es ist das Land, dem sie die Treue halten. Was die Tiroler in ihrer inoffiziellen Landeshymne „Dem Land Tirol die Treue“ Abertausende Male gesungen haben, wollen viele nun beweisen. In den sozialen Medien haben sie in den vergangenen Tagen Tirol-Logo-Schriftzug in großen roten Lettern in ihr Profilbild integriert, es kursiert das Bild einer Österreich-Karte, in dem anstelle Tirols ein großes rotes Herz eingezeichnet ist.
Aber warum gibt es überhaupt etwas zu beweisen?
Grund für das nachdrückliche Zurschaustellen ausgeprägter Heimatliebe sind die Geschehnisse der vergangenen Tage: Wegen der Ausbreitung der südafrikanischen Mutationsform des Coronavirus in Tirol diskutierten Landes- und Bundesregierung, das Bundesland vom Rest Österreichs abzuschotten. Dagegen protestierten Landesfunktionäre aufs Heftigste. Man einigte sich auf eine Reisewarnung für Tirol und darauf, dass die Landesgrenze seit Freitag nur mit negativem Testergebnis überschritten werden darf.
Das Ausland reagierte schnell auf die Entwicklung: Deutschland ernannte Tirol zum Mutationsgebiet, es gilt ein Beförderungsverbot, die Einreise ist nur in Ausnahmefällen gestattet. Irland hat gleich ganz Österreich zur „roten Zone“ erklärt.
Das alles lässt die Tiroler Verantwortlichen beleidigt zurück. Sie fühlen sich missverstanden und vom Rest Österreichs, vor allem von Wien, „gebasht“. Die Bedrohung durch die Virusmutation sei gering und die Ausbreitung in Tirol nicht stärker als anderswo, erklärte Tirols Wirtschaftskammerpräsident Christoph Walser . Auch Landeshauptmann Günther Platter zweifelte öffentlich an der Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen.
Eine explosive Dynamik, für die die Frankfurter Allgemeine klare Worte fand. „Im Stellenprofil eines Tiroler Landeshauptmanns ist Trotz eine wichtige Eigenschaft“, war darin zu lesen.
Stimmt das? Und woher kommt die Tendenz der Tiroler, härteren Maßnahmen zur Virusbekämpfung so skeptisch gegenüberzustehen?
Sollten sie ein Jahr nach dem Ischgl-Skandal nicht eher übervorsichtig sein?
„Doch“, sagt die ehemalige Skirennläuferin und Tirolerin Nicola Werdenigg. Heimatliebe zeige sich ja gerade in Zeiten der Pandemie nicht durch Trotz, sondern durch Solidarität. Allerdings sei Tirol nun einmal eine Monokultur. Fast alles hänge am Fremdenverkehr. Der Tourismus schaffe Arbeitsplätze und bringe Wohlstand. Das – und damit ihre Wählerstimmen – würden die politisch Verantwortlichen mit aller Kraft verteidigen wollen. Bezeichnend sei laut Werdenigg auch, dass oftmals, wenn in Tirol der Satz „Wir haben eine Krise“ falle, nicht die Gesundheitskrise gemeint sei – sondern die Tourismuskrise.
Der Politologe Anton Pelinka, der seit vielen Jahren in Tirol lebt, bestätigt Werdeniggs These. „Hier haben einfach andere Faktoren mehr Gewicht“, sagt er. Und der stärkste Faktor sei nun einmal der Tourismus.
Alles für den Tourismus?
Der ehemalige Tiroler Landtagsabgeordnete und Gründer des Transitforum Austria, Fritz Gurgiser, ortet beim Vorgehen der Tiroler Politik und Wirtschaft einen „Kniefall vor der eigenen Klientel“. Über Jahre habe man die Prämisse „größer, schneller, weiter“ vertreten. Das sei durch die Pandemie gestoppt worden. Nun versuche man es getreu einem Satz, den der ehemalige Tiroler Landeshauptmann Eduard Wallnöfer einmal gesagt haben soll: „Gewisse Dinge muss man einfach heranschlampen lassen – dann erledigen sie sich von selber.“
Das Problem: Diese „österreichische Lösung“ funktioniert derzeit nicht. „Ein Virus kann man nicht bekämpfen, wenn man es unter den Teppich kehrt und es sich ausbreiten lässt“, sagt Gurgiser. „Je länger man zögert, umso länger dauert es, bis man wieder aufsperren kann.“
Dass man versuche, unter dem Stichwort „Tirol-Bashing“ Stimmung gegen die Bundesregierung zu machen, liege laut Gurgiser daran, dass „einige meinen, heute noch mit der Andreas-Hofer-Mentalität punkten zu können“. Dabei sei das doch schon 1810 in Mantua nicht gut ausgegangen.
Abseits der Bedeutung des Tourismus und der (wie die Zahlen zeigen) durchaus berechtigten Angst vor einem weiteren Ausfall, glauben weder Werdenigg noch Gurgiser, dass sich die Gründe für die angespannte Situation im Wesen der Tiroler finden lassen. „Tirol ist nicht Tirol“, sagt Werdenigg, man könne nichts verallgemeinern, jedes Tal habe seine Besonderheiten. Zum Teil könne man das Bundesland mit griechischen Inseln vergleichen: „Man lebt dort, wo andere Urlaub machen“, sagt Werdenigg. Auch hinsichtlich der starken familiären Strukturen bestehe eine Ähnlichkeit.
Eigentlich ist Tirol gar nicht so anders als der Rest Österreichs
von Anton Pelinka
Supermacht ÖVP
Was es auf den griechischen Inseln nicht gibt, in Tirol dafür umso stärker, ist die ÖVP. Seit 1945 hat sie alle Landeshauptmänner gestellt, bei der letzten Landtagswahl im Jahr 2018 landete sie mit 44,3 Prozent auf Platz eins.
Bei der Wahl zum EU-Parlament siegte die ÖVP 2019 in allen Tiroler Gemeinden. Naheliegend also, dass Landeshauptmann Günther Platter mit viel Selbstbewusstsein gegen die Bundesregierung auftreten kann. Dabei habe laut Politologen Pelinka in den vergangenen Jahren auch in Tirol ein „Normalisierungsprozess“ eingesetzt. Es seien Parteien wie die Grünen zunehmend stärker geworden – auch weil der Einfluss der katholischen Kirche massiv zurückgegangen ist.
Und Pelinka sagt noch etwas, das in der aufgeheizten Stimmung der vergangenen Tage etwas untergegangen ist: „Eigentlich ist Tirol gar nicht so anders als der Rest Österreichs.“
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