Alois Mock: Der Erfinder des EU-Beitritts ist tot

"Monsieur l'Europe" mit der damaligen EU-Staatssekretärin Brigitte Ederer
Der ÖVP-Politiker verpasste zwar das Kanzleramt, erreichte aber mehr als so mancher Regierungschef.

Wir saßen in den Amtsräumen des Vizekanzlers auf dem Ballhausplatz und warteten auf den Beginn einer Pressekonferenz von Alois Mock. Beim Hervorkramen des Schreibblocks fiel der damaligen Wien-Korrespondentin der Vorarlberger Nachrichten, Ute Sassadek, ein Liebesbrieflein aus ihrer Handtasche und segelte vor dem Rednerpult auf den Boden. "Ui, schnell weg damit", scherzten wir, "wenn Mock den findet, beantwortet er ihn Dir noch."

Dafür war Alois Mock nämlich bekannt – dass er Briefe nicht an Mitarbeiter delegierte, sondern ab frühmorgens im Büro saß, um jede Anregung, Bitte und Beschwerde, die seine Amtsräume erreichte, persönlich zu retournieren.

Gewissenhaft

Alois Mock war der Inbegriff des gewissenhaften und integren Beamten, der das Wort Staatsdiener in seinem eigentlichen Sinn verstand.

Am Donnerstag ist er im 83. Lebensjahr nach langer, schwerer Parkinson-Erkrankung in Wien gestorben.

Sein großes Ziel, Bundeskanzler der Republik zu werden, blieb Alois Mock verwehrt. Dennoch hat der ÖVP-Politiker mehr erreicht und Österreich mehr geprägt als alle Bundeskanzler nach Franz Vranitzky.

Im Juni 1989, drei Monate bevor der Eiserne Vorhang sukzessive von Ostblockland zu Ostblockland fallen sollte, stand Alois Mock mit dem ungarischen Außenminister Gyula Horn am österreich-ungarischen Grenzzaun, und die beiden Politiker schnitten gemeinsam den Stacheldraht durch.

Während dieses historische Foto an der österreichisch-ungarischen Grenze mehr aus einem Glücksfall als durch eigenes Zutun zustande kam, war Mock für Österreichs EU-Beitritt eine bestimmende Kraft.

Es war Mock, der in der damaligen großen Koalition die SPÖ zum "Brief nach Brüssel" drängte. Zwar war SPÖ-Chef und Kanzler Franz Vranitzky ebenfalls ein Beitrittsbefürworter, aber die Widerstände in der SPÖ, vor allem in Wien, waren groß.

1989 hatte Mock mit viel Beharrlichkeit ertrotzt, dass Österreich ein Beitrittsansuchen an die damalige EG abschickte. Der "Brief nach Brüssel" war von Regierung und Parlament gebilligt worden, Alois Mock als Außenmister unterzeichnete ihn und schickte ihn ab. Der Text lautete: "Im Namen der Republik Österreich habe ich die Ehre, unter Bezugnahme auf Artikel 237 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft den Antrag auf Mitgliedschaft Österreichs in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zu stellen."

Der Beitrittsprozess sollte zu Mocks größtem politischen Erfolg werden. Dem Ansuchen folgten jahrelange Verhandlungen, die 1994 in tage- und nächtelangen Marathonsitzungen ihren Abschluss fanden. Alois Mock, damals schon von seiner Krankheit gezeichnet, verhandelte bis zur Erschöpfung. In der Pressekonferenz, in der das österreichische Verhandlerteam 1994 vom erfolgreichen Abschluss berichtete, drückte Mock der SPÖ-Verhandlerin und damaligen EU-Staatssekretärin Brigitte Ederer ein Busserl auf die Wange.

Kanzleramt verpasst

Erste Anzeichen seiner Krankheit bekam die Öffentlichkeit bereits 1986 live im Fernsehen mit. Nach sechzehn Jahren ununterbrochener SPÖ-Kanzlerschaft (zuerst Bruno Kreisky, dann Fred Sinowatz) hatte ÖVP-Spitzenkandidat Mock fix damit gerechnet, aus der Nationalratswahl 1986 als Sieger hervor zu gehen.

Als am Wahlabend jedoch Platz 1 für die SPÖ verkündet wurde, stand Mock stocksteif und starren Blickes auf der TV-Bühne und wurde – auch das wurde zum Symbolbild – von Jörg Haider an die dramaturgisch richtige Stelle geschoben.

Mock versuchte, als Zweiter mithilfe der FPÖ Kanzler zu werden. Doch der Wirtschaftsflügel in seiner Partei drängte auf eine große Koalition, "um die großen Probleme des Landes zu lösen". Einige dieser großen Probleme harren zwar bis heute einer Lösung, aber der EU-Beitritt wäre in einer schwarzblauen Koalition wohl kaum möglich gewesen. So hat Mock zwar das Kanzleramt verpasst, geht aber als "Monsieur l’Europe" in die österreichische Geschichte ein.

Er hat den wichtigsten Brief der jüngeren Geschichte Österreichs geschrieben.

Wichtige Lebensdaten

Frühe Jahre Alois Mock wird am 10. Juni 1934 in Euratsfeld in Niederösterreich geboren. Jus-Studium, Cartellverband, Arbeit im Kabinett von ÖVP-Kanzler Josef Klaus, 1969 für ein Jahr Unterrichtsminister. Nach dem SPÖ-Sieg 1970 wird er ÖAAB-Chef und Abgeordneter. 1979 wird Mock ÖVP-Chef.

Außenminister 1987 wird Mock Außenminister und bleibt dies bis 1995, obwohl er 1989 als ÖVP-Chef gestürzt wird. Wichtige Daten: 1989 Brief nach Brüssel, 1994/95 Abschluss der EU-Beitrittsverhandlungen, Volksabstimmung, EU-Beitritt.

Späte Jahre Mock ist von Parkinson schwer gezeichnet, seine Frau Edith pflegt ihn hingebungsvoll.

Alois Mock ist ein Vater des EU-Beitritts und ein großer Europäer.“
Alexander Van der Bellen Bundespräsident

Alois Mock war ein begeisterter Österreicher und großer Europäer.“
Doris Bures Nationalratspräsidentin

Mock hat sich bedeutende Verdienste um Österreich erworben.“
Christian Kern Bundeskanzler

Alois Mock ist der Bevölkerung als besonders integrer Politiker in Erinnerung, der den Dienst an der Republik stets über alles stellte.“
Sebastian Kurz Außenminister

Mock war ein Politiker alter Schule, stand zu seinen Idealen und hatte Handschlagqualität.“
Heinz Christian Strache FPÖ-Obmann

„Ich zolle Mock großen Respekt für seinen europäischen Horizont, seine Weitsicht, Durchsetzungskraft und Beharrungsvermögen.“
Ulrike Lunacek Vizepräsidentin des EU-Parlaments, grüne Spitzenkandidatin

„Wie kaum ein anderer hat Alois Mock das vereinte Europa vorangetrieben, Zäune durchschnitten und Brücken gebaut.“
Matthias Strolz Neos-Chef

Mocks unermüdlicher Einsatz, seine politische Hingabe und seine Liebe zu Österreich und Europa werden unvergesslich bleiben.“
Johanna Mikl-Leitner Landeshauptfrau in Mocks Heimat

Alois Mock war seiner Zeit voraus, sein Engagement für Bildung, Soziales und Europa wird noch lange über sein Ableben hinaus Spuren hinterlassen.“
Wolfgang Sobotka aus Mocks politischer Heimat,
dem ÖAAB-Niederösterreich

Kommentare