Corona-Verbote: "Später Schwenk war für viele irritierend"
Andreas Janko ist einer jener Top-Juristen, die Gesundheitsminister Rudolf Anschober seit der Debatte zum Oster-Erlass beraten. Mit einem klaren Kurs zu den Ausgangsverboten hätte man sich viel Ärger erspart, sagt er.
KURIER: Ein kurzer Rückblick: Wie ist es Ihnen mit den Beschränkungen in der Corona-Krise gegangen?
Andreas Janko: Ich war überrascht. Dass alles heruntergefahren und die Bewegungsfreiheit so stark eingeschränkt wird – mit so einem rigiden Schritt hätte ich nicht gerechnet. Ich persönlich habe gut damit leben können und die Maßnahmen auch als sinnvoll empfunden.
Und Ihre juristische Sicht?
Wenn – und solange – die Regierung und das Parlament aufgrund der jeweils verfügbaren Informationen davon ausgehen konnten, dass ein Kollaps des Gesundheitssystems droht, waren die Eingriffe wohl grundrechtskonform.
Sie sind im Beratungsgremium des Gesundheitsministers. Wie läuft das ab?
Wir waren nach Ostern bei den Vorbereitungen zum 6. Covid-Gesetzespaket eingebunden. Bei den Lockerungsmaßnahmen haben wir dann einen sehr frühen Entwurf vorgelegt bekommen und konnten Stellungnahmen abgeben.
Und finden Sie Gehör?
Wir haben Vertraulichkeit vereinbart, aber es ist wohl kein Geheimnis, dass man als Experte immer viele Punkte einbringt, die einem wichtig erscheinen. Manches wird berücksichtigt, anderes nicht.
Am Oster-Erlass, als bei Familienfeiern Polizeikontrollen befürchtet wurden, waren Sie nicht beteiligt?
Ich mutmaße, dass vor allem dieser Erlass bzw. die etwas unglückliche Diskussion darüber der Grund war, diese Runde einzuberufen. Da ist nach einer sehr stringenten Kommunikation der Regierung erstmals ein kleiner Bruch aufgetreten.
Einen größeren Bruch gab es, als bekannt wurde, dass es die Ausgangsbeschränkungen so, wie sie die Regierung kommuniziert hat („Nur vier Gründe, um das Haus zu verlassen ...“) gar nicht gab.
Von dieser Lesart bin ich nicht überzeugt. Wenn man die Verordnung feinsinnig liest, hätte man da schon ein Verbot für den Weg zu Freunden und Verwandten erkennen können. Alles andere bedeutet ja auch einen enormen Wertungswiderspruch zu den anderen Beschränkungen, insbesondere zu den flächendeckenden Betriebssperren. Das wirft Fragen nach der Vereinbarkeit mit dem Gleichheitssatz auf. Der späte Schwenk des Gesundheitsministeriums zu einem: „Es war ohnehin alles erlaubt“ war jedenfalls für viele irritierend.
Wie erklären Sie sich das?
Ich glaube nicht, dass die Regierung zunächst bewusst etwas Falsches gesagt hat, sondern eher, dass man sehr wohl diese sehr strikten Verkehrsbeschränkungen wollte, das aber durch eine etwas ungeschickte Formulierung im Verordnungstext nicht klar genug zum Ausdruck gebracht hat.
Also sind die Juristen im Ministerium schuld?
Ich habe Verständnis dafür, dass in der Hektik Fehler passieren können. In diesem Fall war es aber besonders schade. Man hätte sich einiges an Ärger erspart, wenn man in diesem zentralen Punkt klarer formuliert hätte.
Darf sich die Regierung solche Fehler erlauben?
Es ist die Frage, ob die Bevölkerung solche Beschränkungen noch akzeptiert, falls eine zweite Welle kommt. Das bereitet mir Sorge.
Aber beim ersten Mal hat es zumindest funktioniert ...
Das Ziel wurde erreicht – und das ging nur mit dieser Rigidität. Es ist ein Phänomen, dass sich alle leichter an Verbote halten, wenn sie darauf vertrauen können, dass andere das auch tun.
Gingen die Maßnahmen noch strenger, als wir sie im März und April hatten?
Flächendeckend kann ich mir das nicht vorstellen. Strenger ginge es aber sicherlich in einzelnen Clustern – in Tirol waren sie ja auch schon beim ersten Mal restriktiver als im Rest von Österreich.
Könnte es zum Beispiel passieren, dass einzelne Bezirke in Wien abgeriegelt werden?
Theoretisch würden die Gesetze das unter bestimmten Umständen hergeben.
Es gibt einige Beschwerden am Verfassungsgerichtshof. Wie schätzen Sie das ein?
Da die Beschränkungen in Verordnungsform verhängt wurden, wird der VfGH nicht nur messen, ob sie grundrechtskonform sind, sondern auch, ob der Minister die engeren Grenzen des Covid-19-Maßnahmengesetzes eingehalten hat. Da stellt sich durchaus die eine oder andere spannende Frage. Es ist aber schwer, vorherzusagen, wie er urteilen wird.
Wir sind in der Phase der Lockerungen. Ihr Zwischenfazit?
Die Strategie, schrittweise zu lockern, und begleitend zu evaluieren, halte ich für richtig. Die spannende Frage ist: Wie mache ich das, ohne einzelne Gruppen auf unsachliche Weise zu benachteiligen? Es braucht mutige politische Entscheidungen, die Grenzen zu ziehen.
Gäbe es andere Konzepte?
Das Konzept mit grundsätzlichen Verboten und generell formulierten Ausnahmen erweist sich mit fortschreitender Öffnung zunehmend als suboptimal. Jetzt wäre die Zeit für individuelle Lösungen. Jene, die ein brauchbares Sicherheitskonzept haben, könnten aufsperren, andere nicht. Das wäre vor allem für den Bereich der Veranstaltungen wichtig.
Eine Sonderregelung für die Gastronomie scheint schwer nachvollziehbar: Wie kommt es, dass in einem Lokal vier beliebige Leute an einem Tisch sitzen dürfen, draußen muss man aber einen Meter Abstand halten?
Es ist der Versuch eines Kompromisses, um den Gastronomen das Überleben zu erleichtern. Sonst wäre das Aufsperren ja kaum wirtschaftlich sinnvoll.
Die Opposition fordert, dass auch im Parlament wieder Normalität eingekehrt und Gesetze nicht mehr ohne Begutachtung durchgepeitscht werden. Wie stehen Sie dazu?
Rein rechtlich gesehen braucht es diese Begutachtung gar nicht, wenn eine Fraktion Gesetze per Initiativantrag einbringt. Ein generelles Umstellen auf Initiativanträge wäre aber ein Bruch mit der politischen Kultur. Grundsätzlich sollte die Regierung wieder zum normalen Prozedere zurückkehren. Bei dringendem Regelungsbedarf spricht aber auch weiter nichts gegen Initiativanträge. Das wurde auch früher schon so gemacht.
Geboren 1965 in Linz, Vize-Dekan an der Johannes-Kepler-Universität und Professor für Öffentliches Recht. Er ist zudem stellvertretender Vorstand des Instituts für Staatsrecht und Politische Wissenschaften. Die juristischen Experten, die Minister Rudolf Anschober bei den Covid-Maßnahmen beraten, sind neben Janko u. a. Ex-Justizminister Clemens Jabloner, Ex-Innenminister und Präsident der Finanzprokuratur Wolfgang Peschorn sowie Verfassungsrechtler Heinz Mayer
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