Corona-Krisenstab: Anschobers Auskenner
Die Ärmel aufgekrempelt, das Sakko am Sessel, so sitzt Rudolf Anschober in einem lichtdurchfluteten Raum im Dachgeschoß des Ministeriums und erklärt, warum dieses Treffen hier wichtig ist.
Die vier Monate im Amt fühlen sich für ihn an wie vier Jahre. Auch heute ist das Thema Covid-19. Seit Monaten, ja eigentlich seit dem Amtsantritt, gibt es nichts anderes. Und obwohl die Statistiken wunderbar sind – die Zahl der täglichen Neuerkrankungen ist unter 100, die Intensivstationen sind längst nicht ausgelastet – gibt es plötzlich viele kritische Fragen: Wer sind die Experten, die alles entscheiden? Warum treten in Wien nicht ständig Virologen vor die Kameras, wie es in Berlin oder Washington D.C. passiert?
Um Klarheit zu schaffen hat Anschober eine Handvoll Journalisten zu einer Art Sesselkreis geladen. Mit dabei: der Arzt Bernhard Benka, die Juristin Meinhild Hausreither, dazu Veterinär Ulrich Herzog und Kommunikationsexpertin Ingrid Kiefer.
„Wer managt eigentlich die Krise?“, fragt Anschober – um selbst Antwort zu geben. Es sind Menschen wie diese vier hier. Sie stehen stellvertretend für den Krisenstab.
Worin besteht nun die größte Herausforderung?
„Unter anderem darin, dass unsere Tage nur 24 Stunden haben“, sagt Meinhild Hausreither. Sie ist Juristin und vereinfacht gesagt für die Verordnungen zuständig, die hinter den drastischen Beschränkungen stehen.
Denksportaufgaben
Hausreither hat manches erlebt: Tschernobyl, andere Epidemien. Etwas wie Covid-19 gab es noch nie. „Die Juristerei ist eine Denksportaufgabe“, sagt sie. Was man dafür braucht, nämlich Zeit, war kaum vorhanden. Hausreither spricht von „Turbo-Legistik“.
Allein was die Menge an Verordnungen und Erlässen angeht, hatten die Ministeriumsjuristen in zwei Monaten zu stemmen, was sonst im Jahresrhythmus passiert.
Das heißt nicht, dass man sonst Däumchen dreht. Es heißt nur: Der Apparat steht unter gewaltigem Druck. Und da können Fehler passieren.
Wie schnell das Arbeitspensum zugenommen hat, zeigen die Zahlen von Ingrid Kiefer. Zu ihren Aufgaben gehört die Risikokommunikation – sie muss die Bürger informieren. „Zu Jahresbeginn haben wir eine Informationskampagne für die Schweinepest vorbereitet“, erzählt sie. „Mitte Jänner war unklar, ob wir eine Hotline für Corona brauchen.“
Zurückschauend klingt das bizarr, aber zurück zu den Zahlen: Bei der Schweinepest hatte man 5.000 Anrufer im Monat. „Bei Corona waren es bald 5.000 am Tag.“ Und dann hat sich die Zahl noch einmal verzwanzigfacht.
500 Telefonisten zählt das Callcenter heute. Für Kiefer gibt es eine Erkenntnis: „Die Österreicher wollen nicht alles im Internet lesen. Sie wollen mit echten Menschen reden.“
Maskenprobleme
Reden? Ulrich Herzog hat über Wochen nichts anderes getan. Er ist der Mann, der die Schutzkleidung zu besorgen hatte. Seine Erfahrungen haben viel mit menschlichen Untiefen zu tun. „Im Februar brach weltweit der Markt zusammen.“ Gleichzeitig schlossen die Grenzen. „In Europa gibt es nur zwei Firmen, die Schutzmasken herstellen“, sagt er. Die Folge: Nach den Shutdowns sei man überschwemmt worden mit Angeboten für Schutzmasken. Darunter viele gierige Geschäftemacher und Betrüger.
„Das Rote Kreuz hat die Angebote geprüft, es hat große Erfahrung in der Logistik, ist international vernetzt.“
Rückblickend hat Herzog den Steuerzahlern möglicherweise Millionen erspart. „Im Unterschied zu anderen Ländern haben wir nie Ware bestellt, die nicht gekommen ist. Wir haben nie gegen Vorauskasse gehandelt.“ Mittlerweile hat sich die Lage entspannt, es gibt Material, fünf Jets fliegen pro Woche nach Asien.
Bleibt noch Bernhard Benka: Der Arzt ist Abteilungsleiter für Seuchenbekämpfung und wirkt, als brächte ihn die Pandemie nicht aus der Ruhe.
Vielleicht liegt es daran, dass er früher, bei „Ärzte ohne Grenzen“, verdammt viel gesehen hat. Wer als Arzt damit klarkommen muss, dass Kinder hilflos in seinen Armen sterben, ist belastbar.
Vielleicht liegt es aber auch daran, dass Benka sagen kann: „Die Pandemie ist bisher genau so abgelaufen wie wir das gedacht haben.“ Weltweite Daten hätten viel geholfen. Kinder erkranken seltener, das Social Distancing funktioniert, all das wusste man vorab. „Und wir wussten, dass Verdachtsfälle nicht in die Spitäler dürfen.“ Benka weiß also zumindest, wie man das Virus in Schach halten kann. Das gibt eine gewisse Sicherheit, denn: Es könnte auch anders sein – und viel schlimmer.
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