Corona: Semesterzeugnis diesmal als Zwickmühle für Lehrer

Nicht alle Klassenzimmer sind kommende Woche ganz leer
Bildungsforscher Hemetsberger sieht problematische Wahlmöglichkeit zwischen Negieren der Ausnahmesituation und "grade inflation". Warnung vor "Notenbasar".

Ein Drittel der Schultage in diesem Semester wurde im Fernunterricht gelernt, an Oberstufen sogar die Hälfte. Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) hat wegen dieser schwierigen Voraussetzungen für "Milde" beim Semesterzeugnis plädiert. Gleichzeitig wurden die Lehrer aber vom Ministerium angewiesen, für eine "sichere Beurteilung" zu sorgen. "Das simuliert Normalität, wo keine ist", kritisiert Bildungsforscher Bernhard Hemetsberger. Die Lehrer gerieten dadurch in die Zwickmühle.

Die Pädagogen hätten in dieser Situation laut Hemetsberger, zu dessen Forschungsschwerpunkten die Notengebung gehört und der zuletzt von der Uni Wien an die UniBw München gewechselt ist, zwei gleichermaßen problematische Möglichkeiten: Entweder sie würden die nicht vorhandene Normalität aufrechterhalten, die Noten nach bisher üblichen Kriterien vergeben und den enormen Einfluss negieren, den die unterschiedlichen Lernbedingungen und die Unterstützung der Schüler durch die Familien im Distance Learning haben. "Dann habe ich einen schlechteren Notenschnitt und produziere genau die 'verlorene Generation', die wir verhindern wollen", so der Forscher im Gespräch mit der APA. Oder aber die Lehrer könnten sogenannte "grade inflation" betreiben, indem sie über ihren professionellen Schatten springen, einfach bessere Noten verteilen und die Entscheidung über das Qualifikationsniveau an andere Institutionen oder die Lehrstellen weiterreichen.

Befeuert durch die "zweischneidige Darstellung" des Bildungsministeriums müsse man so oder so mit vielen Beschwerden und Einsprüchen von Eltern rechnen, die sich schützend vor ihre Kinder stellen - entweder weil sie den Eindruck haben, dass das Kind dem "Normalbewertungsraster" unterworfen und dadurch zu schlecht bewertet wurde oder weil ein anderer Schüler vielleicht besser bewertet wurde und Eltern dann Spielraum sehen, mit einem gewissen Nachdruck bei die Notengebung mitzureden.

"Notenbasar"

"Damit öffne ich Tür und Tor für einen 'Notenbasar'", warnt er. Schon jetzt werde Lehrern in "haarsträubenden" Mails mit Dienstaufsichtsbeschwerden und Noteneinsprüchen gedroht, um in der aktuellen Sondersituation das (angeblich) Beste für ihre Kinder herauszuholen. Zumindest der Rechtsweg ist bei der Schulnachricht allerdings ausgeschlossen. Anders als das Jahreszeugnis ist diese lediglich eine Information über den Leistungsstand der Schüler, Rechtsmittel sind dagegen nicht möglich.

"Vor allem in Übergangssituationen noch härter ausgefochten"

"Mit der ministeriellen Wohltätigkeits-Attitüde wurde ja insgesamt die Diskussionsbereitschaft angeregt, was man denn wie bewerten soll", so Hemetsberger, der durch die öffentlichen Wortmeldungen aus dem Ministerium die Rolle der Lehrer bei der Bewertung der Schüler untergraben sieht. Junglehrer werde das besonders treffen. Und: "Vor allem in Übergangssituationen (vor dem Wechsel in eine andere Schulform, Anm.) wird das noch härter ausgefochten". In Übergangsklassen wird die Schulnachricht nämlich bei einem Wechsel in eine andere Schule oder auch bei der Vorstellung für eine Lehrstelle in den kommenden Wochen oft gebraucht.

Hemetsberger hielte es für sinnvoller, diesmal anstelle der standardisierten Form der Schulnachricht eine schul- und lehrerautonome Rückmeldung zuzulassen. In der Schulnachricht sollte stattdessen sehr wertschätzend stehen, wie die Schüler in dieser speziellen Lehr- und Lernsituation zurechtgekommen sind, wo es noch Verbesserungsbedarf gibt und wo die Schüler im nächsten Semester anschließen könnten. Die Chancen für diese Alternativlösung sind aus Hemetsbergers Sicht allerdings gering - nicht nur wegen der bisherigen Haltung des Ministeriums, sondern auch weil diese kurzfristige Variante für die Lehrer mit sehr viel Aufwand verbunden wäre.

Kommentare