Corona-Plan von Türkis-Grün: Sinn der Massentests in der Slowakei umstritten

Corona-Plan von Türkis-Grün: Sinn der Massentests in der Slowakei umstritten
Experten stellen Antigen-Tests bei landesweitem Einsatz in Frage. Kanzler Kurz trifft Sozialpartner, um Vorbereitungen für Österreich zu treffen.

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) will seinen Plan von Massentests in bestimmten Bereichen zum Ende des Lockdowns und in der breiten Bevölkerung vor Weihnachten vorantreiben: Der Regierungschef lädt für den morgigen Mittwochvormittag zu einem Treffen mit den Sozialpartnern, der Ärztekammer und der MedUni Wien, auch Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) soll dabei sein.

Das Treffen mit Arbeiterkammer-Präsidentin Renate Anderl, ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian, Wirtschaftskammer-Präsident Harald Mahrer, Ärztekammer-Präsident Thomas Szekeres, Industriellenvereinigung-Präsident Georg Knill und MedUni Wien-Rektor Markus Müller findet um 11.00 Uhr im Kanzleramt statt.

Es geht dabei um Vorbereitungen für breit angelegte Corona-Tests in der Bevölkerung, ähnlich wie sie in der Slowakei bereits stattgefunden haben. Man wolle einen Schulterschluss und eine breite Einbindung von Sozialpartnern, Ärzten und Wissenschaft, hieß es aus dem Kanzleramt zur APA. Weitere Gespräche sollen folgen.

"Ungeeignet für Patienten ohne Symptome"

In der Slowakei lässt Ministerpräsident Igor Matovic keinerlei Zweifel am Erfolg seiner landesweiten Corona-Massentests zu. In den zwei Testrunden hätten tausende Infizierte gefunden, die weitere Ausbreitung der Pandemie abgebremst und damit tausende Menschenleben gerettet werden. Tatsächlich sind sie aber umstritten.

"Mit flächendeckender Anwendung der Antigen-Tests können wir die Epidemie systematisch unter Kontrolle bekommen", so der Gründer und Vorsitzende der populistisch-konservativen Bewegung Gewöhnliche Menschen und unabhängige Persönlichkeiten (OLaNO). Tatsächlich sind die Corona-Massentests in der Slowakei alles andere als unumstritten.

Allerdings hatten zahlreiche medizinische Experten noch vor dem Start gewarnt, dass die verwendeten Antigen-Schnelltests für derartige Zwecke nicht gedacht seien. Sie seien ungeeignet für Patienten ohne Symptome, in Vergleich mit den klassischen PCR-Tests, die inzwischen als goldener Standard gelten, wesentlich ungenauer. Mindestens drei von zehn Infizierten werden von ihnen nicht erfasst, zudem sind auch falsch positive Ergebnisse möglich, so Experten.

Der Premier ließ sich davon nicht beirren: "In einer Situation, wenn ihnen das Haus brennt, schauen sie doch nicht, ob der Topf zum Suppenkochen gekauft wurde. Sie werden einfach damit löschen." Die Art der Tests ist aber längst nicht der einzige Streitpunkt des Massen-Projekts.

Das Ganze war faktisch eine Blitz-Aktion von Matovic. Nachdem alle Corona-Auflagen samt dem Anfang Oktober ausgerufenen Notstand und dem nachfolgenden Versammlungsverbot keinerlei Wirkung zeigten und die Zahl täglicher Neuinfektionen Mitte Oktober auf über 2.000 stieg, startete der Premier seine Gegenoffensive. Matovic hat das Megaprojekt mit dem Namen "Gemeinsame Verantwortung" am 17. Oktober angekündigt, erste Einzelheiten wurden zwei Tage danach bekannt gegeben und noch am selben Tag stimmte auch das Kabinett zu.

Nicht ganz freiwillig

Rund vier Millionen Slowaken, alle Einwohner über zehn Jahre, sollten auf Corona getestet werden, mindestens zwei Mal. Organisatorisch werde das Projekt die Armee betreuen. Nicht einmal Präsidentin Zuzana Caputova, eigentliche Oberbefehlshaberin der Armee, wurde von Matovic in voraus unterrichtet, was für Diskrepanzen zwischen den zwei höchsten Verfassungsträgern des Landes sorgte.

Zudem stellte sich heraus, dass die Regierung bereits 13 Millionen Antigen-Tests für knapp 60 Millionen Euro - ohne öffentliche Beschaffung - eingekauft hatte. Ein Pilot-Test sollte in nur vier Tagen in der Nordslowakei stattfinden, verkündete Matovic.

Öffentlichkeit, viele Experten und Politiker zeigten sich geschockt. Vor allem, nachdem sich sehr bald zeigte, dass die "freiwillige" Beteiligung am Massentesten nicht so ganz freiwillig sein wird. Denn nicht nur Personen mit einem positiven Testergebnis sollten für zehn Tage in Quarantäne, auch alle, die sich dem Test nicht unterzogen haben.

3,6 Millionen Slowaken getestet

Das Pilot-Testen in vier nordslowakischen Bezirken mit besonders vielen Infizierten wurde mit enormem Einsatz der Verteidigungskräfte, Selbstverwaltungen und Mediziner in vier Tagen auf die Beine gestellt. Zwischen 23. und 25. Oktober wurden dabei knapp 141.000 Bewohner durchgetestet, 91 Prozent der Zielgruppe. Bei nahezu 5.600, also 3,97 Prozent, haben dabei die Antigen-Tests eine Covid-19-Infektion nachgewiesen.

Ermutigt vom ersten Erfolg, setzte Matovic seinen Plan fort. Eine Woche darauf wurde schon die ganze Slowakei getestet. Trotz heftiger Proteste der Ärztekammer, dass die Mediziner, die als einzige berechtigt wären in den knapp 5.000 Testlokalen die Abstriche zu machen, dem angeschlagenen Gesundheitswesen extrem fehlen würden.

Schließlich wurden am 31. Oktober und 1. November rund 3,6 Millionen Menschen in der ersten landesweiten Runde durchgetestet. Über 38.000 waren positiv, also 1,06 Prozent. Eine Woche darauf waren über zwei Millionen Slowaken getestet, 13.500 davon positiv, was rund 0,66 Prozent bedeutet. Das Nachtesten gab es allerdings nur noch in 45 Bezirken, in denen die Infektionsrate eine Woche zuvor bei über 0,7 Prozent lag.

Zweite Testrunde am 22. November

Premier Matovic und seine Regierung feierten den sichtbaren Rückgang der Infektionen ebenso wie die hohe "freiwillige" Beteiligung der Bürger als enormen Erfolg. Wie viele Slowaken aber zu den Tests gekommen waren, nur weil sie am folgenden Montag zur Arbeit oder einkaufen wollten, was nur mit einem negativen Ergebnis möglich war, bleibt unbekannt.

Ein weiteres landesweites Nachtesten dürfte es aber nicht mehr geben. Angekündigt ist noch eine Testrunde am 21. und 22. November, allerdings nur noch in rund 500 konkreten Gemeinden, in denen in der vorherigen Runde über ein Prozent Erkrankter festgestellt wurde. Betreffen sollte dies rund 400.000 Menschen.

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