Reisewarnungen für Wien, eine konstant hohe Zahl an Neuinfektionen, Einschränkungen im Kunst- und Kulturbetrieb, Registrierungspflicht in der Gastronomie – die Corona-Pandemie hat vielem, was ein Leben in der Stadt bisher auszeichnete, seinen Reiz genommen. Um der infektiösen Enge zu entgehen, entdecken viele das Landleben für sich. Schafft die Pandemie, worum sich die Politik jahrelang mit nur mäßigem Erfolg bemühte?
Als es Mitte März laut Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) nur noch vier Gründe gab, das Haus zu verlassen, gab es für den 27-jährigen Sebastian Brettl und seine Freundin keinen Grund mehr, in Wien zu bleiben. Die Koffer wurden gepackt, und es ging nach Podersdorf im Burgenland, dem Heimatort von Brettl. Wien ist für die beiden seither Geschichte, stattdessen bauen sie im Bezirk Neusiedl Haus.
Die Geschichte des jungen Paares ist kein Einzelfall. Zwar gibt es laut dem zuständigen Ministerium für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus noch keine validen Zahlen zur coronabedingten Bevölkerungsentwicklung, auf dem Immobilienmarkt zeichnet sich dergleichen aber bereits ab.
So zeigt eine Umfrage der Immobilienplattformen sReal und Wohnnet, dass Wien als Wohnort weniger gefragt ist als vor Corona, deutlich mehr Menschen würden gerne auf dem Land wohnen. Vor der Pandemie gaben 39 Prozent der Befragten an, aufs Land ziehen zu wollen, danach waren es 43 Prozent. Rechnet man die Bezirkshauptstädte dazu, wollen fast 60 Prozent der Befragten weg aus den größeren Städten. Das freut vor allem kleinere Gemeinden – durch den Finanzausgleich profitieren sie umso mehr, je mehr Einwohner sie haben.
Idylle für die Kinder
„Die Großstädte haben zumindest temporär an Attraktivität verloren“, bestätigt Martina Schorn, die an der Universität Wien zu Regionalentwicklung und Raumordnung forscht. „Ich glaube, dass Corona für viele nicht der eigentliche Grund ist, aufs Land zu ziehen, allerdings wurde die Entscheidung dafür wohl beschleunigt, weil alle Vorzüge der Stadt, wie Lokale oder kulturelles Leben, auf einmal weggefallen sind“, sagt sie. Gerade in der Phase der Familiengründung würde bei vielen jungen Menschen eine „Landsehnsucht“ aufkommen, vor allem wenn sie vom Land kommen und sich „ländliche Idylle“ auch für die eigenen Kinder wünschen. Im Gegensatz zum Stadtumland seien wirklich abgelegene Gebiete aber dennoch eher als Zweitwohnsitz attraktiv.
Für Sebastian Brettl ist die Nähe zur Hauptstadt (35 Minuten mit dem Zug) einer der Hauptgründe, eben diese zu verlassen und für die Arbeit immer wieder nach Wien zu pendeln. Hinzu kommt die Sehnsucht nach mehr Natur und der Wunsch, für die Zukunft geplante Kinder auf dem Land aufzuziehen. Angst, das kulturelle Leben in der Stadt zu versäumen, hat er nicht. Und: „Wir fahren hier ja auch nicht mit Kutschen“, sagt er und lacht, weil gerade ein Traktor vorbeifährt.
Ganz ähnlich sieht es Michael Huber. Der 29-Jährige, der für das Studium nach Wien kam, hat zusammen mit seiner Partnerin gerade einen Grund im Kärntner Lavanttal erworben und plant, dorthin zuziehen, per Telearbeit will er aber selbst aus Kärnten mit seinem Job in Wien verbunden bleiben. „Ich bin aus der Gegend, und ich fühle mich mit ihr verbunden“, begründet Huber die Entscheidung. Obwohl seine Freundin aus Wien stammt, sei es nicht schwierig gewesen, sie vom Umzug zu überzeugen. „Vieles spricht dafür. Und das Remote Working (Arbeiten zu Hause, Anm.), das sich während Corona etabliert hat, erleichtert die Zusammenarbeit mit der Stadt“, sagt Huber. Der im Bau befindliche Koralmtunnel und der Semmeringbasistunnel würden bald eine kürzere Fahrtzeit nach Wien ermöglichen.
Argumente wie diese zeigen, dass es nicht nur die Pandemie ist, die das Landleben für junge Menschen aus der Stadt wieder interessanter macht. Dennoch hat sie Entwicklungen – wie das Homeoffice – vorangetrieben, die ein Zusammenrücken von Stadt und Land nun möglich machen.
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