Der suspendierte Sektionschef ist vor knapp eineinhalb Jahren gestorben, zur Ruhe kommt er nicht. In zwei neuen Büchern werden die Umstände rund um seinen Tod ausgeleuchtet – mit denkbar unterschiedlichem Tenor.
Christian Pilnacek wurde in den frühen Morgenstunden des 20. Oktober 2023 tot in einem Seitenarm der Donau gefunden. Der langjährige Sektionschef im Justizministerium hinterlässt eine Ehefrau, drei Kinder und zwei Stiefkinder.
Die Geschichte könnte an dieser Stelle enden, aber das Gegenteil ist der Fall. Geschehnisse rund um seinen Tod – in den Stunden davor und Wochen danach – geben bis heute Rätsel auf. Dem widmen sich aktuell gleich zwei Bücher. Eines hat Presse-Journalist Gernot Rohrhofer geschrieben, das andere der ehemalige Nationalratsabgeordnete Peter Pilz, der vorab bereits Ausschnitte auf zackzack.at veröffentlicht hat.
Auf den ersten paar Seiten erzählen die Bücher noch in etwa dieselbe Geschichte: Pilnacek war an seinem letzten Abend, dem 19. Oktober, bei einem Empfang der ungarischen Botschaft in Wien, besuchte dann mehrere Lokale, traf mehrere Menschen, wirkte auf diese recht aufgeräumt. „Für mich ist das Glas halb voll“, soll er da gesagt haben. Pilnacek war zum damaligen Zeitpunkt seit fast drei Jahren suspendiert und rechnete offenbar damit, dass die Suspendierung bald aufgehoben wird.
Gegen 21 Uhr fährt er los in Richtung Rossatz, wo seine Freundin Karin W. mit Freundin Anna P. wohnte, wird als Geisterfahrer und mit 1,44 Promille Alkohol im Blut angehalten, von Anna P. abgeholt und nach Rossatz gebracht. Dort ist er recht schweigsam, tippt auf seinem Handy herum, trinkt eine halbe Flasche Prosecco, zieht sich um und geht gegen ein Uhr morgens noch einmal aus dem Haus. Ohne Handy, Schlüssel oder Geldbörse. Nur ein Packerl Zigaretten und ein Feuerzeug nimmt er mit.
Jetzt beginnen die Bücher, sich in entgegengesetzte Richtungen zu entwickeln.
Während sich Rohrhofer in seinem Buch „Er muss weg!“ weitgehend an Fakten entlanghantelt, aus Akten und Gesprächen mit Freunden, Wegbegleitern und politischen Akteuren zitiert und seriös ausschildert, wenn sich etwas nicht recherchieren oder belegen ließ, macht Pilz in „Der Tod des Sektionschefs“ offene Fragen zum Hauptthema – und jongliert mit Theorien, die bis hin zu einem Mordkomplott reichen.
Aus Sicht der Kremser Staatsanwaltschaft sei die Causa „von Anfang an eine runde Sache“ gewesen, schreibt Rohrhofer. Pilnacek dürfte allein zu einem Nebenarm der Donau gegangen sein, sich auf dem Weg zum Wasser bei einem Sturz verletzt haben und ertrunken sein.
Auch das Vorgehen der Kriminalpolizisten, die – wie berichtet – kurz nach Auffinden des Leichnams bei Pilnaceks Freundin Handy, Schlüssel und Geldbörse abgeholt und der Witwe ausgehändigt haben, wird im Buch als üblicher Vorgang im Rahmen der „kriminalpolizeilichen Leichenbeschau“ beschrieben.
Die These, es sei versucht worden, etwas zu vertuschen, teilt Rohrhofer nicht. Was denn auch? Dass es einen USB-Stick gebe, auf dem Pilnacek belastendes Material über ÖVP-Leute gespeichert haben soll, ist nicht erwiesen. Daten von seinem privaten Laptop wurden mittlerweile von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA), einer Kommission im Justizministerium, von mehreren Journalisten und auch von Peter Pilz ausgewertet. Die große Enthüllung blieb bis dato aus.
Der Tenor: Pilnacek ist durch Unfall oder Suizid gestorben. Ein Motiv für etwas anderes drängt sich nicht auf.
Christian Pilnacek
Der Wiener studiert Jus, wird Richter, 2001 Oberstaatsanwalt, 2010 Leiter der Strafrechtssektion im Justizressort, 2018 zudem Generalsekretär, 2021 wird Pilnacek suspendiert
Bücher
Peter Pilz: „Pilnacek. Der Tod des Sektionschefs“, Zackzack-Verlag, 25 €
Gernot Rohrhofer: „Er muss weg! Der Fall Pilnacek“, Seifert-Verlag, 22 €
Ganz anders ist der Tenor im Buch von Pilz: Seine Hauptquelle ist das, was im Strafakt steht – bzw. nicht steht. Die Leerstellen füllt er mit seinem eigenen Narrativ. Das beginnt damit, dass Pilnacek laut Angaben der Freundinnen W. und P. „wie wild am Handy geschrieben“ habe. Waren es Nachrichten? An wen denn?
Pilz glaubt, dass der politisch bestens vernetzte Spitzenbeamte „Hilfe gebraucht“ hat – nämlich dabei, seine Geisterfahrt zu vertuschen. „Er wusste, er hat nur eine Nacht Zeit, bevor das Landesverkehrsamt seine Anzeige weiterleitet und gegen ihn wegen Gemeingefährdung ermittelt wird“, schilderte der Autor bei seiner Buchpräsentation am Dienstag in der „Kulisse“ in Wien.
Auf dieser These baut Pilz die weitere Geschichte auf. Der Sektionschef könnte sich in der Nacht noch mit jemandem getroffen haben, es könnte zu einem Streit oder gar zu einem Kampf gekommen sein, woraufhin Pilnacek dann – auf welche Weise auch immer – ins Wasser gekommen und ertrunken sei. „Es ist möglich. Aber wir wissen es nicht“, so Pilz.
Daran seien die Ermittler schuld, die den Fall vor Ort als Suizid abhaken hätten wollen und dann „nur“ wegen fahrlässiger Tötung ermittelt hätten. Pilz zitiert aus dem Akt, die Gemeindeärztin habe nur gegen massiven Druck durchgesetzt, dass eine Obduktion durchgeführt wird, weil sie – wie sie vor Ort handschriftlich festhielt – „ein Fremdverschulden nicht ausschließen“ konnte.
Tatort
Wenn ein Fremdverschulden im Raum steht, müssten nach kriminalistischen Standards beispielsweise der Tatort abgeriegelt und Spuren gesichert werden, um zu klären, ob noch eine andere Person da war; das Handy hätte sichergestellt werden sollen, um zu klären, mit wem er kommuniziert hat, bevor er das Haus verließ, so Pilz. „Jeder, der schon einmal den ‚Tatort‘ gesehen hat, weiß das.“
Das alles sei nicht passiert und daher ungeklärt. Aber auch das Geklärte zweifelt Pilz an – etwa das offizielle Obduktionsgutachten des gerichtsmedizinischen Sachverständigen (der KURIER berichtete).
Demnach könnten die 20 verschiedenen Verletzungen am ganzen Körper von einem Sturz über eine zwei Meter hohe Böschung stammen. „Eindeutige Hinweise auf eine grobe Gewalteinwirkung durch fremde Hand ergaben sich nicht“, heißt es weiter.
Ein gerichtsmedizinischer Gutachter aus Berlin, den Pilz bei seinen Recherchen beauftragt hat, meint aber, es könnten Abwehrverletzungen dabei sein.
WKStA ermittelt
Bei seiner Buchpräsentation agiert Pilz auf der Bühne stellenweise wie ein Entertainer, ein Magier. Er erzählt dem Publikum eine Geschichte, lenkt dessen Aufmerksamkeit auf spannende Details (die sich vielleicht auch ganz banal erklären ließen); und lässt es am Ende ebenso fasziniert wie ratlos zurück.
Letzteres spricht Pilz offen an: „Ich sammle Gründe für berechtigte Zweifel. Eine Staatsanwaltschaft, die Antworten finden will, wird sie finden.“
Damit spielt er den Ball weiter an die WKStA. Diese ermittelt gegen mehrere Beamte des Landeskriminalamts Niederösterreich wegen ihres „Verhaltens“ nach dem Ableben des Sektionschefs. Die angeblichen Versäumnisse, die Pilz in seinem Buch schildert, kann ein Sprecher auf KURIER-Nachfrage „in diesem Detailgrad nicht kommentieren“. Das Verfahren sei noch am Laufen.
Für Mordermittlungen ist die WKStA allerdings nicht zuständig.
(kurier.at, lin)
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Aktualisiert am 19.02.2025, 18:38
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