Busek: "Ich glaube, es ist zu früh, über eine Koalition mit der SPÖ zu reden"
KURIER: Sind Sie schon geimpft?
Erhard Busek: Erste Impfung – ja. Die zweite demnächst.
Mit Astra Zeneca?
Nein, Biontech/Pfizer.
Was denken Sie sich, wenn Sie die derzeitigen Debatten rund ums Impfen und um Corona beobachten?
Also ich zähle nicht zu jenen, die mit dem Weltuntergang rechnen – und ich lehne diese Phrase von der „schrecklichsten Zeit seit dem Zweiten Weltkrieg“ ab. Denn ich habe die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg erlebt und habe entsprechende Erinnerungen, und ich kann nur sagen: es geht uns immer noch wunderbar. Wir können die gegenwärtige Krise durchaus bewältigen, wenn wir ein bisschen disziplinierter sind und uns vernünftig verhalten. Das müssen wir entsprechend lernen. Ich halte es für eine wichtige Erfahrung. Ich bin ein altmodischer Mensch und habe Alt-Griechisch gelernt. Da weiß man, dass das Wort Krise von krínein kommt; und das heißt beurteilen, entscheiden. Es geht also bei einer Krise darum, Dinge zu lösen und sich etwas einfallen zu lassen. Wenn wir unsere Phantasie mobilisieren, werden wir auch aus dieser Krise etwas gewinnen.
Sie feiern demnächst Ihren 80. Geburtstag: Wenn Sie zurückblicken, was war Ihre beruflich schönste Zeit – jene in der Kommunalpolitik, als VP-Obmann, Minister und Vizekanzler oder die Zeit danach als Alpbach-Präsident und elder statesman?
Entgegen der allgemeinen Einschätzung der Politik – die ich auch verstehen kann – muss ich sagen, ich war gerne in der Politik, und ich bereue es nicht und habe viel gelernt und erfahren, was mir auch heute noch hilft. Schön ist nicht der richtige Ausdruck, aber meine spannendste Zeit war die in der Wiener Kommunalpolitik, weil sie mir die meisten Möglichkeiten gegeben hat, innovativ zu sein – obwohl ich Oppositionsführer war. Mir gehen immer die Oppositionsführer auf die Nerven, die über ihre Lage klagen. Das ist ein Mangel an Phantasie, wenn sie nicht etwas daraus machen. Wir hatten durchaus mit der Stadtbelebung und mit der ganzen Wien-Philosophie eine Chance, Dinge zu tun, die – und das sage ich jetzt ein bisschen eingebildet – heute noch eine Rolle spielen. Es war nicht umsonst.
Das Zweite, was mir sehr wichtig ist aus meiner Zeit in der Bundespolitik, ist der Beitritt zur Europäischen Union. Ich habe das für eine wirklich historische Sache gehalten und freue mich, dass uns das gelungen ist. Kritisch muss ich vermerken: Wir haben nachher viel zu wenig intensiv nachgedacht, was Österreich in der Europäischen Union soll. Wofür stehen wir und was sind unsere Ziele hier? Aber das betrifft die Zeit, als ich schon ausgeschieden war oder ausgeschieden worden war.
Im Unterschied zu anderen ehemaligen VP-Obmännern haben Sie immer wieder die österreichische Innenpolitik kommentiert, auch und gerade die Vorgänge in der eigenen Partei. Das hat Ihnen auch oft Kritik eingetragen, Stichwort „Muppet Show“ …
Zunächst zur Muppet-Show: Ich bin österreichischer Staatsbürger und habe das Recht, mich zu äußern. Ich sehe überhaupt nicht ein, warum jemand, der in der Politik einige Erfahrung gesammelt und auch eine Meinung hat, plötzlich verstummen soll. Soll man hier als versteinerte Figur herumstehen? Was mein Verhältnis zur ÖVP betrifft, möchte ich eines vorausschicken: Ich war nie der Meinung, dass eine Partei eine alleinseligmachende Funktion hat. Ich tue mir manchmal schon bei meiner Mutter Kirche schwer, das zu sehen …
… dazu kommen wir noch …
… das hoffe ich. Es ist einfach so, dass eine Partei auch irren kann und dass man das offen diskutieren muss. Das habe ich gemacht in dem Bestreben, dass es besser werden soll. Ich halte politische Parteien für ungeheuer wichtig in einer Zeit wie heute, in der die Art und Weise, wie wir Demokratie ausüben, zunehmend gefährdet ist. Aber genau deswegen ist auch Kritik notwendig – und die muss zunächst eine innerparteiliche sein, um den eigenen Verein besser zu machen. Da bereue ich also nichts. Vielleicht war ich manchmal etwas zu scharf, aber meistens geht es ja darum, dass es überhaupt keine Kritik geben soll.
KURIER Talk mit Erhard Busek
Wie beurteilen Sie heute die Performance der ÖVP? Ist die Umfärbung von schwarz auf türkis tatsächlich mit einer inhaltlichen Neupositionierung einhergegangen?
Das ist eine gute Frage, und das ist allgemein vermutet worden. Ich sehe das ein bisschen anders. Das, was die Österreichische Volkspartei und auch ich dem Sebastian Kurz verdanken, ist, dass wir wieder den Bundeskanzler stellen. Es hat nicht so ausgesehen, dass das unter anderen Vorzeichen möglich gewesen wäre. Meine Kritik, die ich auch geäußert habe, bezieht sich auf gewisse inhaltliche Mängel. Man muss allerdings sagen, dass die anderen Parteien hier auch nicht besser sind. Aber vielleicht ist das auch ein Zug der Zeit, dass wir statt auf Inhalte auf die Verpackung schauen. Wir leben in einem Verpackungszeitalter, wobei die Corona-Geschichte dazu beiträgt, dass die Verpackungen schäbiger werden.
Die ÖVP sei, so lautet einer der zentralen, immer wiederkehrenden Vorwürfe, nicht mehr christlich-sozial. Das hat es allerdings auch schon bei Wolfgang Schüssel geheißen, der ja bekanntlich noch schwarz und nicht türkis war. Was würden Sie diesem Vorwurf entgegnen?
Ich halte das nicht für einen Vorwurf, sondern für eine Analyse. Und ich gebe zu – und das zu meinem Schmerz – dass die Analyse richtig ist. Das liegt aber auch daran, dass diese Dinge von Seiten der Christen weniger eine Rolle spielen. Und es ist auch die Kirche auf eine gewisse Weise weniger politisch geworden. Es ist gut, dass sie nicht im alten Sinne politisch ist: Politischer Katholizismus, das ist völlig überholt und war auch in vielen Fällen falsch. Aber die Gestaltung der uns anvertrauten Welt, die Weltverantwortung des Christen, so wie ich das noch rund um das Zweite Vatikanum gelernt, gehört und auch verstanden habe – das ist geringer geworden. Die Kirche verschweigt sich zunehmend, und zwar nicht nur die Bischöfe, sondern generell. Ich würde mir manche ernste Auseinandersetzung wünschen mit den Dingen, die hier passieren, nicht nur in puncto soziale Gerechtigkeit, auch bei Bildung und Kultur. Wir verlieren da gerade etwas. Die Überschrift vom katholischen Österreich und auch von der christlich-sozialen ÖVP, das ist Geschichte. Aber vielleicht wird es wieder einmal was, wenn wir uns anstrengen.
Jetzt regiert die ÖVP erstmals mit den Grünen zusammen. Wie funktioniert „das Beste aus beiden Welten“ bzw. wie würde es ohne Pandemie funktionieren?
Ich war schon bei der zweiten Regierung, die Wolfgang Schüssel zu bilden hatte, dafür, es nicht wieder mit den Freiheitlichen sondern mit den Grünen zu versuchen. Weil ich – da spielt sogar das Christliche herein – etwa schon vom Alten Testament her relativ viel Grünes auch in der christlichen Weltauffassung sehe. Da beginnen aber schon meine Schwierigkeiten. Die Grünen haben noch immer keine Weltauffassung entwickelt. Sie stecken noch immer in der Zeit von Bürgeraktivitäten und NGOs: jede Plastikflasche muss weg und ähnliches mehr. Das ist zu eng. Ich glaube, wir brauchen eine Änderung der Lebenshaltung, um das ökologische Problem zu bewältigen. Aber das 1-2-3-Ticket alleine ist es nicht, und da könnte ich Ihnen weitere beliebige Beispiele nennen. Wir bräuchten eine andere Grundeinstellung. Ich gebe zu, damit kann man keine Wahlen gewinnen. Aber wir sollten in einer gewissen Weise bescheidener werden, in dem Sinne, dass wir uns zurücknehmen. Im Moment verkonsumieren wir nicht nur zu viel, sondern versuchen auch zu viel zu gestalten. Wir haben die Gesetzlichkeiten nicht nur der Natur, sondern auch dieser Welt noch immer nicht richtig begriffen. Die Aufforderung, mit der ich aufgewachsen bin, diese uns anvertraute Erde weiterzugeben an die nächsten Generationen: das ist noch immer nicht bewältigt.
Sie waren eigentlich immer ein Großkoalitionär – sollte die ÖVP es wieder mit der SPÖ (unter umgekehrten Vorzeichen – das gab es zuletzt nach den Wahlen 1962) probieren?
Ich glaube, es ist zu früh, darüber zu reden. Denn es sind die Möglichkeiten zwischen Türkis und Grün noch nicht ausgeschöpft. Da gibt es Lernvorgänge auf beiden Seiten, und da sind noch viele Ergebnisse notwendig, die wir auch brauchen. Ansonsten geht mir die im Wesentlichen von den Medien betriebene Diskussion über eine Koalition mit der SPÖ eher auf die Nerven. Ich beobachte aber mit Interesse das Verhalten des Bürgermeisters von Wien, da habe ich den Eindruck, der bewegt sich in eine gewisse Richtung. Inwieweit das strategisch, taktisch oder sonst irgendetwas ist, kann ich nicht beurteilen. Aber es ist an sich eine gute Entwicklung, und die Frau Parteivorsitzende Rendi-Wagner wirkt auch schon mehr zurückgenommen. Die SPÖ betreibt jedenfalls die vernünftigere Opposition – was sie vielleicht zu einem künftigen interessanten Partner macht. Ich habe ja eine gewisse Nähe zu den Neos gehabt, leugne aber nicht, dass ich gegenwärtig völlig unzufrieden bin. Diese Oppositionspartei agiert nach dem Motto: es g’hört dringend a Leich‘ her. Mindestens ein Minister, aber am besten der Bundeskanzler. Das ist ein unwürdiges Verhalten. Die Demokratie ist im Moment in Gefahr, ein wenig zu zerbröseln: durch die Aggressivität, das Ausweichen vor den wirklichen Fragen und einen Mangel an Überzeugung. Die Tatsache, dass demonstriert wird, ist nicht schrecklich wegen der Demonstrationen, sondern wegen der Inhaltslosigkeit, die aber daraus resultiert, dass man mit der Politik nicht zufrieden ist und auch dort nicht die Antworten findet. Es ist aber ein Irrtum der FPÖ, wenn sie glaubt, dass sie davon profitieren wird, denn auch sie hat keinen Inhalt. Aber das schon seit langem.
Sie haben den Bürgermeister von Wien lobend erwähnt. Hätten Sie sich in Wien eine SPÖ-ÖVP-Regierung gewünscht?
Klare Antwort: Nein, das wäre für die Wiener ÖVP falsch gewesen. Die hat sich jetzt gerade ein bisschen erholt. Sie gestatten, dass ich ein bisschen nostalgisch werde: Von den Ergebnissen, die ich hatte, nämlich 37 von 100 Mandaten, ist man weit weg. Natürlich wurde das Ergebnis als Wahlsieg gefeiert, und ich gönne das dem Herrn Blümel und der Wiener ÖVP von Herzen. Aber es fehlt noch einiges, um eine richtige Alternative zu sein. Da ist es besser, man ist in Opposition, weil man herausgefordert ist, auch von sich aus etwas zu bieten.
Wie sieht es auf europäischer Ebene aus? Der Streit um die Zugehörigkeit der ungarischen Regierungspartei Fidesz zur EVP war auch einer um die inhaltliche Ausrichtung der EVP – ist der nun mit der Trennung von Fidesz entschieden? Sind Sie froh darüber – und was sagen Sie zum Abstimmungsverhalten der Österreicher, abgesehen von Karas?
Die Strategie gegenüber Orbán war falsch, die Mitgliedsparteien der EVP hätten nach Ungarn fahren müssen, um eine breitere Diskussion mit der Basis von Fidesz zu führen. Orbán ist nicht der ganze Fidesz und schon gar nicht ganz Ungarn. Karas wollte seine Treue zur EU und zur Kommission dokumentieren, er vertritt ja auch nicht immer die türkise Linie, was ich auch verstehen kann.
Sie haben sich auch immer als Katholik bekannt und innerkirchliche Entwicklungen kommentiert. Franziskus hat bei Reformern viele Hoffnungen geweckt – und doch viele dieser Hoffnungen enttäuscht …
Für mich ist Papst Franziskus nach wie vor eine Hoffnungsfigur, denn seiner Sprache und den Themen, die er anschneidet, kann man folgen. Ich habe in meiner Zeit als Minister ein bisschen mit der Kurie in Rom zu tun gehabt bei Universitäts- und Bildungsfragen. Dort liegt das eigentliche Problem. Man muss aber noch etwas einkalkulieren, was selten erwähnt wird: Franziskus ist Jesuit, und die Jesuiten sind keine großen Kirchenreformer. Für einen Jesuiten geht der Papst also ohnedies relativ weit. Die wirklich interessante Frage ist: Wie wird der nächste Papst aussehen?
Wie kann es in der österreichischen Kirche nach Kardinal Schönborn weitergehen?
Das ist eine ganz entscheidende Frage. Vor allem: Wer kann überhaupt Nachfolger sein? Aber es geht nicht nur darum, wer Erzbischof von Wien oder in der Folge Kardinal wird. Entscheidend ist die Basis. Und es ist ein Glück für die Kirche, dass sie doch noch funktionierende Gemeinden hat. Nicht mehr das, was wir einmal hatten, aber noch immer recht lebendig. Das gibt schon Hoffnung. Ein weiterer Faktor ist die Theologie. Wir waren theologisch schon einmal lebendiger. Ich bin aufgewachsen in der Zeit des Karl Rahner und des Johann Baptist Metz: Das war spannende Theologie! Heute ist das ein wenig ermüdend. Ich ertappe mich immer dabei, dass mir ein evangelischer Theologe an der Fakultät in Wien, der Herr Professor Körtner, am besten gefällt. So etwas würde ich mir auch für Katholiken wünschen.
Kommentare