Reichen die Maßnahmen der Regierung? Das sagen Österreichs Top-Ökonomen

Es reicht noch nicht. Spätestens mit der Nachricht, dass die Inflationsrate im August auf 4,1 Prozent gestiegen ist, war allen Kräften in der Bundesregierung klar: Österreich muss noch mehr sparen als die für 2025/26 geplanten 15 Milliarden Euro.
Türkis-Rot-Pink will zudem die Inflation auf zwei Prozent drücken und ein Wachstum von einem Prozent erreichen. Von diesen Zielwerten ist sie, wie neue Schätzungen der Oesterreichischen Nationalbank zeigen, weit entfernt.
Seit Freitag steht fest: 350 Millionen Euro sollen 2026 zusätzlich bei den Pensionen gespart werden. Bezüge über 2.500 Euro brutto pro Monat werden nicht voll an die Inflationsrate von 2,7 Prozent angepasst. Auch den Gehaltsabschluss der Beamten will die Regierung nachverhandeln. Am Dienstag finden die ersten Gespräche mit den Gewerkschaften statt. Dem Vernehmen nach soll eine ähnliche Summe eingespart werden wie bei den Pensionen.
Ausgabenbremse, Preiseingriffe, Vermögensteuern?
Ist all das ambitioniert genug? Und setzt die Regierung mit Blick auf Budget- und Wirtschaftskrise die richtigen Akzente? Der KURIER hat Österreichs führenden Ökonomen schriftlich sechs idente Fragen gestellt.
So schätzen WIFO-Direkter Gabriel Felbermayr, der ÖGB-Bundesgeschäftsführerin und -Chefökonomin Helene Schuberth, Franz Schellhorn, Direktor des wirtschaftsliberale Thinktank Agenda Austria und Oliver Picek, Chefökonom des ökosozialen Momentum Instituts, die Situation und die politischen Maßnahmen ein:

Wifo-Chef Gabriel Felbermayr
Warum ist die Inflation in Österreich im EU-Vergleich nach wie vor so hoch?
Gabriel Felbermayr: Derzeit ist die Rücknahme der 2024 in Kraft getretenen Preissenkungsmaßnahmen im Energiesektor der wichtigste Faktor. Hinzu kommen die starken Steigerungen bei öffentlichen Gebühren. Doch bereits seit 2010 liegt unsere Inflation im Durchschnitt jährlich um 0,7 Prozentpunkte höher als im Euroraum, was hauptsächlich auf den Dienstleistungssektor zurückzuführen ist. Dort gibt es zu wenig Wettbewerb und ein zu langsam wachsendes Angebot.
Helene Schuberth: Wir wissen, wo derzeit bei den Verbraucherpreisen die Unterschiede zum Euroraum liegen: vor allem in den Bereichen Energie, Lebensmittel oder Tourismus. Bei den Lebensmitteln wissen wir aber beispielsweise nicht, woher die Preiserhöhung stammt. Dafür braucht es dringend eine Preisdatenbank, mit der die Preisgestaltung entlang der Wertschöpfungskette analysiert werden kann – begleitet von einer schlagkräftigen Anti-Teuerungskommission mit Sanktionsmöglichkeiten.
Franz Schellhorn: Weil der Staat die Nachfrage treibt. Die Staatsausgaben wurden von 49 Prozent auf 56 Prozent der Wirtschaftsleistung getrieben. Die hohe Nachfrage trifft auf ein eingeschränktes Angebot, deshalb steigen die Preise stärker als anderswo. Das führt zu überdurchschnittlich hohen Lohnabschlüssen, weshalb in den arbeitsintensiven Dienstleistungen die Preise durch die Decke gehen. Womit wieder die Löhne steigen, was wiederum die Preise treibt usw. (Lohn-Preis-Spirale).
Oliver Picek: Österreich beeinflusst die Preise kaum – im Gegensatz zur Schweiz: Sie reguliert dreimal so viel Preise staatlich wie wir. Vor allem die hohen Energiepreise machen uns zu schaffen. Preisbremsen können sie dauerhaft senken. Die Schweiz hat eine für Strom, Gas und Fernwärme. Dort dürfen Energiekonzerne keine überhöhten Rechnungen ausstellen. Sondern nur die Produktionskosten plus ein kleiner Aufschlag von ihren Kund:innen verlangen.
Sollte die Regierung als Akutmaßnahme doch auf Preiseingriffe setzen?
Felbermayr: Es gibt bereits Preiseingriffe, etwa bei Mieten. Im Strombereich sehen wir, was passiert, wenn man die Eingriffe wegen Unleistbarkeit wieder aufheben muss. Außerdem werden viele Konsumgüter aus dem Ausland importiert, da kann man den Preis kaum regulieren. Aus psychologischen und sozialpolitischen Gründen wäre es sinnvoll, den ermäßigten Mehrwertsteuersatz von 10 auf 5 % zu senken und den Normalsteuersatz budgetneutral anzuheben.
Schuberth: Vor allem bei den Mieten ist ein umfassender Eingriff dringend notwendig. Das erfordert eine Preisbremse, die alle Mieten umfasst, und auch langfristig sollen sie nicht mehr als zwei Prozent pro Jahr steigen dürfen und Befristungen weitgehend verboten werden. Neben mittelfristigen Maßnahmen im Lebensmittelbereich wie eine Preisdatenbank und eine Anti-Teuerungskommission, ist es nötig, dringend einen Krisenmechanismus bei den Energiepreisen zu etablieren. Steigen die Preise etwa bei Strom oder Gas stärker an, sind Preisobergrenzen unerlässlich, die nicht überschritten werden dürfen.
Schellhorn: Nein. Das löst keine Probleme, es verdeckt sie nur, wie auch die Strompreisbremse gezeigt hat. Oder Ungarn, das am stärksten in die Preise eingegriffen hat. Heute ist es das Land mit der höchsten Inflationsrate Europas. Irgendwann kommt die teure Stunde der Wahrheit. Preiseingriffe machen aus Knappheit Mangel. Immer und überall. Was wir brauchen, sind nicht staatlich festgesetzte Preise. Sondern weniger schnell wachsende Staatsausgaben.
Picek: Unbedingt. Die teuersten Mieten gibt es im privaten Neubau. Gerade den nimmt die heimische Mietpreisbremse bislang aus. Der gehört mit hinein. Wie der Supermarkt-Einkauf günstiger wird, zeigen andere Länder vor: Weniger Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel (Spanien, Portugal), festgelegte Preise für Milch und Brot (Kroatien), Verbot überhöhter Gewinnspannen (Rumänien, Griechenland). Die Preise sanken, die Regale blieben voll.

Helene Schuberth, ÖGB-Chefökonomin
Die Pensionserhöhung 2026 erfolgt unter der Inflationsrate und sozial gestaffelt. Richtig oder nicht?
Felbermayr: Das nominelle BIP, aus dem Pensionserhöhungen letztlich finanziert werden müssen, ist von 2019 bis 2024 um 22 % gestiegen, während das Preisniveau um 26 % und die durchschnittliche Pension um 32 % gestiegen sind. Außerdem nimmt die Anzahl der Pensionsbezieherinnen und -bezieher laufend zu. Um nach der Wirtschaftskrise wieder Spielräume zu schaffen, müssen von überall möglichst sozial ausgewogen Beiträge geleistet werden.
Schuberth: Eine volle Anpassung der Pensionen bis 2.500 Euro verhindert, dass ein großer Teil der Pensionist:innen reale Verluste hinnehmen muss. Ein genereller Teuerungsausgleich unter der Inflationsrate hätte die Pensionist:innen hart getroffen. Es ist aber absolut inakzeptabel, dass im Zuge der Budgetsanierung die breite Bevölkerung mehrfach zur Kasse gebeten wird, während wenige extrem Reiche weiterhin keinen Cent zur Budgetsanierung beitragen. Bei zukünftigen Sanierungsmaßnahmen ist eine Vermögensbesteuerung zu diskutieren.
Schellhorn: Ein gemäßigter Abschluss ist richtig, die soziale Staffelung falsch. Sie klingt fair, bestraft aber jene, die lange gearbeitet und mehr eingezahlt haben – und belohnt jene, die kürzer gearbeitet und weniger eingezahlt haben. An einer niedrigen Erhöhung führt kein Weg vorbei. Jeder vierte Budgeteuro geht in die Abdeckung des Finanzierungslochs im staatlichen Pensionssystem. Das ist verrückt, zumal immer mehr Menschen in Pension gehen und weniger Junge nachkommen.
Picek: Falsch. Pensionen bis 1.700 Euro müssten über der durchschnittlichen Teuerung erhöht werden, so wie bisher bei sozialer Staffelung üblich. Die Leute brauchen das Geld. Die Teuerung zieht stark an. Zudem: Pensionisten-Haushalte mussten im letzten Jahr eine höhere Teuerung verkraften als der Durchschnitt. Höhere Pensionen weniger zu erhöhen, ist solidarisch. Aber wenn Ärmere nichts davon haben, geht das Sparpaket auf Kosten der Pensionist:innen.
Die Beamtengehälter werden nachverhandelt. Gut so?
Felbermayr: Als vor einem Jahr verhandelt wurde, hat man die Budgetlage trotz verschiedener Warnungen missachtet. Jetzt haben wir ein Defizitverfahren und einen erheblichen Sparbedarf. Der Staat sollte auch bei sich und bei seinen Bediensteten sparen. Klar ist aber auch, dass die Gehälter im öffentlichen Sektor oft nicht üppig sind und es für manche offene Stellen nur wenige Bewerber gibt. Es wird Augenmaß gefragt sein.
Schuberth: Die diesbezüglichen Verhandlungen führen die Gewerkschaften younion und Gewerkschaft Öffentlicher Dienst (GÖD).
Schellhorn: Die Abschlüsse im öffentlichen Dienst müssten immer unter dem niedrigsten Abschluss der exportorientierten Wirtschaft liegen. Beamte haben einen der sichersten Jobs, die es gibt. Dennoch verdienen viele von Ihnen besser als in der freien Wirtschaft und haben deutlich höhere Pensionen. Es kann nicht sein, dass der Staat immer zuerst seine eigenen Schäfchen ins Trockene bringt und die zahlende Bevölkerung im Regen steht.
Picek: Die Regierung sollte sich an Gehaltsabschlüsse halten, die sie zugesagt hat. Dennoch: Wichtig für die Nachverhandlung ist eine soziale Staffelung. Gering- und Mittelverdienende, von der Kindergarten-Helferin bis zum Schulwart, brauchen einen vollen Ausgleich für die Teuerung. Sie leiden darunter. Außerdem geben sie fast jeden Euro wieder aus. Das kurbelt die Wirtschaft an. Bei topverdienenden Spitzenbeamt:innen liegt das Geld am Sparbuch.

Franz Schellhorn, Agenda Austria
Welche Maßnahme(n) zur Budgetkonsolidierung übersieht die Regierung?
Felbermayr: Das WIFO weist bereits seit Langem auf klimaschädliche Subventionen hin. Hier gibt der Staat Geld aus und erschwert gleichzeitig die Erreichung der vertraglich vereinbarten Klimaziele. Das könnte potenziell sogar den Zukauf teurer Emissionszertifikate aus dem Ausland erzwingen. Zudem gibt es eine ganze Reihe von Strukturreformen, etwa in der Arbeitslosenversicherung, mit denen sich Kosten reduzieren ließen.
Schuberth: Die Vermögen der Superreichen werden weiterhin nicht angetastet. Auch Österreichs Super-Reiche müssen zukünftig etwas beitragen: durch eine Vermögensteuer, aber auch durch eine Erbschaftsteuer – denn ein großer Teil ihres Reichtums entstand durch leistungslose Erbschaften. Außerdem muss die Senkung der Körperschaftsteuer rückgängig gemacht werden. Es geht nicht, dass bei Pensionist:innen gespart wird und gleichzeitig Großkonzerne entlastet werden.
Schellhorn: Fast alle. Sämtliche Ausgabentreiber bleiben unberührt. Österreich braucht dringend: höheres Pensionsantrittsalter, radikale Kürzung von Förderungen, Straffung des Staatsapparats, insgesamt schwächer wachsende Staatsausgaben. Wären alle Ausgaben seit 2019 nur um die Inflation erhöht worden, gäbe der Staat heute um 30 Milliarden Euro weniger als. Wir würden über die Verwendung des Budgetüberschusses diskutieren.
Picek: Wenn Pensionist:innen und öffentlich Bedienstete, wie Lehrer, Kindergärtner, und Polizisten, einen Beitrag zur Budgetsanierung leisten müssen, dann sollten das auch reiche Mitbürger:innen tun. Aber Erbschafts- und Vermögensteuer bleiben abgeschafft. Das gleiche gilt für große Konzerne. Sie dürfen ihr Steuergeschenk von der letzten Regierung behalten: Eine Milliarde Euro weniger Gewinnsteuern. Damit ginge sich eine Pensionserhöhung für alle aus.

Oliver Picek, Momentum Institut
Glauben Sie, dass der aktuelle Budgetpfad hält?
Felbermayr: Zum aktuellen Zeitpunkt bin ich optimistisch. Die nach Brüssel gemeldeten Sparpläne sind nicht übermäßig ambitioniert. Auch die Konjunktur entwickelt sich wie erwartet. Daher sollten wir den Budgetpfad mit einigem guten Willen einhalten können. Die Risiken für die kommenden Jahre sind jedoch erheblich. Falls Österreich mit der Budgetkonsolidierung scheitert, drohen deutliche Zinsaufschläge, wie sie aktuell in Frankreich zu beobachten sind.
Schuberth: Am wichtigsten ist, dass die Konjunktur schleunigst wieder anspringt – dann wird auch das Budget entlastet. Dafür muss aber die Kaufkraft der breiten Bevölkerung erhalten bleiben, denn der Konsum ist der heimische Motor des Wirtschaftswachstums. Zusätzlich muss die Regierung unsere strukturellen Probleme endlich angehen. Notwendig ist eine Industriestrategie, die diesen Namen verdient: eine umfassende Qualifizierungsoffensive gegen den Fachkräftemangel, leistbare Energiepreise und eine strategische Industriepolitik, die Arbeitsplätze sichert und den Ausbau der produzierenden Industrie samt Wertschöpfung in Österreich garantiert.
Schellhorn: Nein, aber es ist ja schon traurig genug, dass sich diese Frage überhaupt stellt. Vergessen wir nicht: Österreich hat die dritthöchsten Staatseinnahmen aller EU-Staaten! Und macht daraus das dritthöchste Defizit aller westeuropäischen Länder. Wir aber sind schon zufrieden, wenn wir nahe der Drei-Prozent-Marke des BIP kommen. Mich beschleicht ja der Verdacht, dass die SPÖ das Budget gar nicht sanieren will. Um endlich Vermögen- und Erbschaftsteuern einführen zu können.
Picek: Es ist noch zu früh, um das seriös zu sagen. Die Sparpakete beginnen erst (negativ) zu wirken. Die Gefahr für die Sparziele ist, dass die Wirtschaft nicht anspringt. Der Wohnungsbau kommt erst langsam in Bewegung, und die Leute kaufen wenig ein. Anstatt die Wirtschaft mit Investitionen zu stützen, schnürt die Regierung Sparpakete. Je mehr sie kürzt, umso mehr schwächt sie die Wirtschaft, umso mehr steigt die Arbeitslosigkeit. Ein Teufelskreis.
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