Sechs Lehren aus der Wahl

Der designierte Bundespräsident Alexander Van der Bellen
Alexander Van der Bellen ist Bundespräsident. Was heißt das für die Zukunft des Landes?

Überraschend deutlich – und für viele insgesamt überraschend - hat Alexander Van der Bellen die verschobene Wiederholung der Stichwahl mit fast 54 Prozent der Stimmen gewonnen. Was heißt das nun, international und für Österreich?

1. Österreich stellt sich gegen den Trend

Damit hat kaum jemand gerechnet: Gerade Österreich, jenes Land, auf das regelmäßig ganz Europa blickt, wenn es um Rechtspopulismus geht, das wegen der Regierungsbeteiligung der FPÖ im Jahr 2000 von der EU sanktioniert wurde, wählt einen ehemaligen Grünen zum Staatsoberhaupt. Keinen Rechtspopulisten. Obwohl zwischen erster und zweiter Stichwahl Großbritannien für den Brexit gestimmt hat, obwohl der nächste US-Präsident Donald Trump heißt. Warum, darüber gibt es nur Mutmaßungen: Vielleicht war es die Ernüchterung vieler Briten nach dem Brexit, vielleicht ist Donald Trump für das österreichische Gemüt einen Tick zu verrückt, um den Wählern als Vorbild für Hofer zu fungieren, der ihm zum Wahlsieg gratulierte. Vielleicht konnte die FPÖ auch einfach ihre Wähler nicht motivieren, noch einmal zur Urne zu schreiten, um ihren Protest auszudrücken. Vielleicht hat es Van der Bellen geholfen, dass sich dieses Establishment, auf das gerade alle schimpfen, nahezu geschlossen für ihn ausgesprochen hat.

2. Van der Bellen ist international allen egal

Ein bisschen enttäuscht waren die paar hundert Vertreter internationaler Medien schon, für diesen Ausgang waren sie nicht extra angereist. Das Rennen um den Bundespräsident in Österreich sei normalerweise „ein verschlafener Wahlkampf um einen hauptsächlich repräsentativen Posten“, schrieb die New York Times (NYT). Und ein Bundespräsident Alexander Van der Bellen ist keine internationale Schlagzeile wert, am Wahlabend schrieb die NYT: „Austria Rejects Far-Right“; die Headlines in den meisten anderen internationalen Medien waren ähnlich. Es ging um die Ablehnung Hofers, nicht um die Wahl Van der Bellens. Ein Österreich, das dem Narrativ einer rechtspopulistischen Welle folgt, dafür wären wir wichtig genug gewesen. Ein gemäßigter Bundespräsident, der zum ersten Mal seit 1945 nicht von SPÖ oder ÖVP gestellt wird, das ist eine innerösterreichische Sensation, aber eine weltpolitische Randnotiz.

3. Die innenpolitische Krise ist aufgeschoben

Kurz nachdem der Innenminister die Wahl nach dem Wahlkartendebakel verschoben hatte, machte eine Verschwörungstheorie die Runde: Die Regierungsparteien wollen FPÖ und Grüne mit einem nochmal verlängerten Wahlkampf finanziell ausbluten und im Frühjahr den Nationalrat neu wählen lassen, wenn die beiden Oppositionsparteien pleite sind. Auch wenn das vermutlich Unsinn ist, die Gerüchte um eine baldige Neuwahl verstummen weiterhin nicht, so sehr auch alle dementieren. Die Grünen hätten dabei trotz Van der Bellen die schlechtesten Karten. Der Wahlkampf wäre wohl ein Dreikampf zwischen Kanzler Christian Kern, Außenminister Sebastian Kurz und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache. Für die Grünen, die sich noch dazu im vergangenen Jahr auffällig zurückhielten, um Van der Bellens Chancen nicht zu gefährden, wird da kein Platz sein.

4. Eine Regierung ohne FPÖ ist fast nicht vorstellbar

Egal wann gewählt wird, egal ob sich rot-schwarz noch einmal ausgeht oder nicht (es ist aktuell sowieso unwahrscheinlich): Noch eine Auflage von rot-schwarz wäre Todesstoß für beide Parteien, die in der Konstellation sowieso nur noch dahinsiechen. Die FPÖ wird nach den nächsten Wahlen vermutlich die stärkste Partei sein, zumindest wird sie ziemlich gleichauf mit SPÖ und ÖVP sein. Es wird nicht mehr möglich sein, sie aus der Regierung auszuschließen – und umgekehrt hat eine Partei, die rund 30 Prozent erreicht, auch die Pflicht, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Dagegen sein ist einfach, umsetzen schwieriger; das musste die FPÖ unter Haider spüren und die Strache-FPÖ muss nun beweisen, dass sie sich weiterentwickelt hat, dass sie regieren kann.

5. Die Experten sind weniger Experten denn je

Die Meinungsforscher in Österreich hatten nach Brexit und Trump dazugelernt und keinen Favoriten prognostiziert (wobei viele halböffentlich auf Hofer tippten). Aber das, was sie vorhersagten, hat auch nicht gestimmt. Etwa dass die Wahlbeteiligung sinken werde, was mehrere Meinungsforscher prognostizierten. Sie lagen alle falsch: Die Wahlbeteiligung ist auf rund 74 Prozent gestiegen, ein Prozent mehr als am 22. Mai.

6. Die sozialen Medien sind ein Unsicherheitsfaktor

Schon vorab wurden die ersten Analysen angestellt: Norbert Hofer habe in den sozialen Medien mehr Interaktionen und mehr Fans; er werde deshalb die Wahl gewinnen. Nach der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten mutmaßten viele, die kursierenden Fake-News auf Facebook hätten ihm zum Sieg verholfen. Der Algorithmus, der zwischen „echten“ und „falschen“ Nachrichten nicht unterscheiden könne, wurde zum Problem für die Demokratie hochstilisiert. Vielleicht stimmt das, vielleicht auch nicht; empirische Untersuchungen dazu gibt es schlicht nicht. Die österreichischen Wähler trotzten jedenfalls auch den Facebook-Analysten. Aber ein Muster fällt auf: Für jene, die in traditionellen Medien arbeiten, sind Facebook und Co. ein beliebter Sündenbock, auch um das eigene Versagen im Umgang mit den neuen Medien zu kaschieren. Die anderen, die in und mit diesen digitalen Medien und Plattformen arbeiten, neigen umgekehrt dazu, alle Probleme zu leugnen, die mit den sozialen Medien einhergehen.

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