Budgetloch schrumpft in Richtung 25 Milliarden

Das Budgetloch empört die Opposition. Indes dürften sich Kanzler Faymann und Vize Spindelegger über den Sparbedarf geeinigt haben.
Reformbedarf bleibt trotz kleinerem Defizit hoch: Landeshauptmann Niessl hält an Steuerreform fest – Experten kritisieren Schönrechnen der Zahlen

Die von Wirtschaftsforschern zunächst bestätigte Budgetlücke von bis zu 40 Milliarden Euro werden Kanzler Werner Faymann und Vize Michael Spindelegger nicht als Basis für die Sparanstrengungen nehmen. Dieser Finanzbedarf für die nächsten fünf Jahre sei „der absolut oberste Rand“, hatte VP-Finanzverhandler Josef Pühringer schon vor den Verhandlungen am Dienstag gesagt.

Es wurde bis in die Abendstunden heftig und wohl auch ein wenig zweckoptimistisch gerechnet. Schließlich sollte ein „neues“, kleineres Budgetloch von weniger als 30 Milliarden Euro herauskommen.

WIFO-Chef Karl Aiginger hält den Sparbedarf von lediglich 25 Milliarden – wie er auch aus Verhandlerkreisen genannt wurde – für „darstellbar“. Die Horror-Schätzung von bis zu 40 Milliarden stamme aus dem Finanzministerium. Der dortige Budget-Sektionschef Gerhard Steger habe stets die pessimistischsten Annahmen getroffen. Freilich, sagt Karl Aiginger, dürfe auch bei einem Budgetloch von „nur“ 25 Milliarden nicht auf die Reformen (vor allem bei Pensionen) und eine Aktiv-Komponente für Wachstum und Beschäftigung vergessen werden.

Nicht ganz einverstanden ist damit Ökonom Ulrich Schuh. Er sagte zum KURIER: „Jetzt regiert das Prinzip Hoffnung, dass die Konjunktur dreht oder das Pensionsantrittsalter doch schneller steigt. Leider denkt bei den Reformen niemand daran, mehr als das Notwendigste zu tun. Das Risiko ist damit sehr groß, dass man bald wieder nachjustieren muss.“

Schärfere Reformen

Und auch Staatsschulden-Wächter Bernhard Felderer kritisiert das Schönrechnen des Budgets: „Die Gefahr dabei ist, dass man die Signale wieder nicht erkennt. Je länger wir aber die Probleme vor allem im Pensionsbereich aufschieben, desto schärfer werden spätere Reformen ausfallen müssen.“

An einem Sparpaket werde die neue Regierung aber ohnehin nicht vorbei kommen, sagen die Experten. Felderer: „Bis auf ein paar neue Steuern ist der Politik bisher nicht viel eingefallen. Das lässt sich nicht auf ewig so weitermachen.“

Nach tagelangem Zank um die „richtigen“ Zahlen kam also am Dienstag Bewegung in den Budgetstreit. Faymann sagte eine lange geplante Reise nach Frankreich kurzfristig ab, auch Spindelegger schaltete sich in die Verhandlungen ein. Von einem medial kolportierten Abbruch der Koalitionsverhandlungen war keine Rede mehr, vielmehr soll schon am Mittwoch die politische Einigung auf den Sparbedarf verkündet werden.

Landeshauptleute wie Michael Häupl oder Hans Niessl machten auch ordentlich Druck: „Die beiden Parteichefs müssen die Rahmenbedingungen im Budget in dieser Woche klären“, sagte Häupl im Anschluss an die Konferenz der Landeshauptleute. Und Niessl sagte: „Ich bin überzeugt, dass die Gegensätze nicht zu groß sind.“

Sowohl Häupl als auch Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll drängten auf eine Neuauflage von Rot-Schwarz. Häupl dazu: „Ich bitte um Vorschläge für eine Alternative.“

Vor allem auf SPÖ-Seite will man von einem reinen Sparkurs der kommenden Regierung nichts wissen. Niessl meint zum KURIER: „Wir brauchen eine Steuerreform mit Gegenfinanzierung als Kickstart für die Konjunktur zusätzlich zur Sparanstrengung.“ Auch Häupl sprach sich gegen einen reinen Sparkurs aus.

Indes nehmen Wirtschaftsforscher wie Margit Schratzenstaller vom WIFO die Regierung auch ein wenig in Schutz: Es habe im Budget „diverse Entwicklungen gegeben, die im Frühjahr so nicht absehbar waren“, sagte sie dem Falter. Als Beispiele nannte sie die Höhe der Bankenhilfen und die Pensionszuschüsse.

Im Mai 2013 hat die Regierung dem Parlament eine Finanzvorschau vorgelegt, die, soviel kann man heute sagen, auf geschönten Zahlen beruhte. Das Finanzministerium hatte seiner Vorschau veraltete Konjunkturprognosen zugrunde gelegt. Das Ergebnis: Die Steuereinnahmen wurden um 14 Milliarden Euro zu optimistisch eingeschätzt. Dem nicht genug, war in der dem Parlament präsentierten Vorhersage nicht ausreichend für die anstehenden Belastungen aus dem Bankensektor vorgesorgt. Die Finanzvorschau vor der Wahl beinhaltete ein Nulldefizit im Jahr 2016; der Kassasturz nach der Wahl förderte eine Finanzlücke von bis zu 40 Milliarden Euro in den nächsten fünf Jahren zu Tage. Nach heftigen Verhandlungen tendiert das Budgetloch nun gegen 25 Milliarden.

Dennoch: Die offenkundige Falschinformation durch die Regierungsparteien will die Opposition so nicht mehr hinnehmen: „Wir werden die falschen Aussagen der Regierung im Parlament thematisieren“, sagt Grünen-Wirtschaftssprecher Bruno Rossmann zum KURIER. Zusätzlich zur regulären Parlamentssitzung am 20. November, in der die Grünen einen Untersuchungsausschuss zum Budgetloch beantragen wollen, soll es eine Budget-Sondersitzung geben – beantragt mit den Stimmen von Grünen und FPÖ.

„Wir stehen allen Maßnahmen offen gegenüber, die zur Aufklärung beitragen – von der Sondersitzung bis hin zu einem Untersuchungsausschuss“, ließ Parteichef HC Strache ausrichten.

Dem nicht genug, fordern die Grünen den sofortigen Rücktritt von Finanzministerin Maria Fekter und Finanzstaatssekretär Andres Schieder. Rossmann: „Die beiden haben nachweislich dem Parlament mehrmals keinen reinen Wein eingeschenkt.“

So schreibe die Bundesverfassung eine „möglichst getreue Darstellung der finanziellen Lage des Bundes“ vor. Rossmann: „Hier wurde von der Regierung klarer Verfassungsbruch begangen.“

Rossmann hinterfragt auch, ob es „Sanktionen gegen die zuständigen Beamten im Finanzministerium“ geben soll. Diese hätten die Pflicht, die Politiker aufmerksam zu machen, wenn falsche Zahlen verwendet werden.

Obwohl auch die anderen Oppositionsparteien – Neos und Team Stronach – am Dienstag Unterstützung signalisierten, hat ein U-Ausschuss vorerst noch keine Chance auf Verwirklichung. Die Einsetzung von U-Ausschüssen bleibt weiter ein Privileg der parlamentarischen Mehrheit, sprich: eine Regierungspartei müsste zustimmen.

Erwin Pröll, der starke Mann in der ÖVP, stellte gestern klar, was er davon hält, dass seine Partei angeblich die Koalitionsverhandlungen platzen lassen will: „Sollte in der ÖVP jemand sein, der glaubt, diese Situation für ein taktisches Spiel nutzen zu können, bin ich der Erste, der ein Halt-Zeichen aufstellt.“

Die kurzzeitige Drohung mit dem Abbruch der Regierungsgespräche war längst vom Tisch als nach der Aufregung am Boulevard auch andere Blätter die Schlagzeilen von vorgestern aufwärmten.

Wie kam es zu den Gerüchten, wonach die ÖVP in Opposition gehen – oder gar mit FPÖ und Neos koalieren wolle? Auslöser war großer Frust in den schwarzen Länderreihen, nachdem diese vergangenen Freitag von ÖVP-Chef Michael Spindelegger über den Stand der Verhandlungsdinge informiert worden waren. Tags zuvor soll SPÖ-Sozialminister Rudolf Hundstorfer an ÖVP-Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner ein Papier zum Thema Pensionen übergeben haben. Doch anstelle von Einsparungsvorschlägen – wie von den Schwarzen erhofft –, seien in den Unterlagen nur satte Mehrkosten aufgelistet gewesen, berichten Eingeweihte. Ärger und Verdruss waren die Folge. Schwarzer Tenor: „Mit den Roten bringen wir keine Reformen zusammen. Die blockieren alles. “

Auf dem Boulevard wurde die interne Stimmungslage zum geplanten VP-Absprung hochstilisiert. Die Berichte dürften einigen in der ÖVP nicht unrecht gewesen sein. Schließlich stieg damit der Druck auf die SPÖ. Ernsthaft wurde aber nie überlegt, jetzt auszusteigen. Realistische Alternativen sind ja Mangelware. Nicht nur deshalb hat Erwin Pröll gestern auch öffentlich „Halt“ gesagt.

Es hat schon Tradition: Vor der Bildung einer neuen Regierung schnüren die neun Bundesländer ein Forderungspaket. Michael Häupl, derzeit Vorsitzender der Landeshauptleutekonferenz, will lieber von „Vorschlägen an die Bundesregierung“ sprechen. Beziffern wollten die Landeshauptleute ihre „Vorschläge“ nicht, Milliardenforderungen seien darin aber nicht zu finden, hieß es. Häupl: „Wir sind ja nicht weltfremd.“

Auf der Wunschliste stehen etwa mehr Mitspracherechte bei der Besetzung von Rechnungshof und Volksanwaltschaft sowie eine „ausreichende Finanzierung“ der ORF-Landesstudios.

Teurer könnte der Ruf nach mehr Mitteln für die Pflege oder den Ausbau der Ganztagsschulen werden. Gleichzeitig pochten die Landeshauptmänner auf neue Kompetenzen, etwa in den Bereichen Gesundheit, Wasserrecht oder Lawinenverbauung. Zudem erneuerten sie ihren Vorstoß beim Thema Bildung, die Schulverwaltung und Personalkompetenzen in den Ländern anzusiedeln.

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