Brandstätters Blick: Die Meinung anderer ertragen

Brandstätters Blick: Die Meinung anderer ertragen
Öffentliche Debatten. Demokratie lebt vom Dialog, in der digitalen Welt muss dieser neu gefunden werden.

So vieles hat sich in den letzten zwei Wochen in der österreichischen Politik geändert. Sehr erfreulich dabei: Die Sprache.

Die Gehässigkeiten des „Daham statt Islam“-Reimers Herbert Kickl sind zwar nur teilweise verschwunden, er droht mit Enthüllungen, gar einem „Sittenbild“, aber geredet wird über die gewählten Worte von Bundespräsident Alexander Van der Bellen und die neue Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein.

Van der Bellen appelliert, wieder „Vertrauen aufzubauen“ und an die „Verantwortung für dieses Land“ zu denken. Und Brigitte Bierlein: „Ich werde in guter österreichischer Tradition mit den Landeshauptleuten, den Sozialpartnern, den Kirchen und Religionsgemeinschaften und mit der Zivilgesellschaft den Dialog suchen.“ Da spüren wir, was zuletzt gefehlt hat. Aber funktioniert die öffentliche Debatte überhaupt noch, wo immer mehr Menschen in ihrer Facebook-Blase gefangen sind und sich dabei auch noch wohl fühlen, weil sie dort bestätigt werden?

Die Autorin Eva Menasse hat vor wenigen Tagen bei der Verleihung des Ludwig-Börne-Preises in Frankfurt ein deprimierendes Bild der digitalen Welt gezeichnet: „Die alte Öffentlichkeit ist vorbei. Die Digitalisierung, die wunderbare Effekte auf viele Lebensbereiche hat, hat auf ihrem Urgrund, der menschlichen Kommunikation, eine alles zerstörende Explosion verursacht.“ Und Menasse weiter: „Die viel gerühmte Freiheit, dass sich jeder zu allem äußern kann, schafft die gefährliche Illusion, dass das Aushalten andere Meinungen nicht mehr nötig ist.“

Es ist ja gut, dass jede und jeder in den sozialen Medien alles sagen und schreiben darf, im Rahmen der Gesetze. Noch besser wäre, den anderen zuzuhören.

Doch das verhindern schon die Algorithmen, die eben so programmiert sind, dass alle in ihrer Meinung bestätigt werden. Und die Regierung hat diese Tendenz in den vergangenen eineinhalb Jahren verstärkt. Zu oft wurde die eine Gruppe gegen die andere ausgespielt, Inländer gegen Ausländer, Steuerzahler gegen Transferbezieher, angeblich faule Wiener gegen die Fleißigen vom Land.

Echter Parlamentarismus

Dafür wurde die zentrale Einrichtung der Demokratie, das Parlament, weiter geschwächt. Viele ÖVP-Abgeordnete haben mit der früheren Regierung für ein Rauchverbot in der Gastronomie gestimmt, ein paar Monate später waren sie dagegen. Der Klubzwang lässt sie wie Marionetten der jeweiligen Macht erscheinen. Man kann nur an alle appellieren, die Verantwortung im Sinne des Bundespräsidenten verspüren, den neuen Nationalrat als wesentlichen Faktor einer respektvollen politischen Debatte zu verstehen.

Die Übergangsregierung von Brigitte Bierlein wird außerdem beweisen,dass eine Regierung nicht ständig mit Floskeln und Neusprech-Formulierungen die Öffentlichkeit verdummen soll. Das so oft wiederholte „Sparen im System“ war dabei besonders lächerlich, wenn man jetzt sieht, welche riesigen Kabinette in den Ministerien aufgelöst werden. Und ein Informationsfreiheitsgesetz wäre auch nötig, damit die Öffentlichkeit Fakten erfährt statt Propaganda.

Das Internet wird eher eine größere Rolle spielen. Das erfordert die Schulung junger Menschen, nicht alles zu glauben, was digital so daher kommt. Und so hilflos wie die deutsche CDU darf keine Partei sein. Das Video des Youtube-Stars Rezo mit vielen Millionen Sehern zuerst nicht zu beachten und dann laut über Zensur nachzudenken, ist beschämend.

Eva Menasse äußert am Ende ihrer Rede auch Hoffnung, und zwar in die „schulschwänzenden Klima-Kinder, in Marsch gesetzt von dem kleinen Mädchen mit den komischen Haaren.“

Die Debatte um die Erderwärmung ist mitten unter uns. Die Jugendlichen zeigen mit einfachsten Mitteln auf, dass die vereinbarten Klimaziele nicht einzuhalten sind. Da wird sich die Politik nicht vorbeischwindeln können, da wird eine öffentliche Debatte nötig sein, worauf wir bereit sind zu verzichten. Die digitale Welt kann im Idealfall zum Dialog in der Gesellschaft beitragen, wenn wir alle noch besser lernen, die Meinung anderer zu ertragen.

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