Blümel über Lockerungen: "Für Moral der Menschen ein richtiger Schritt"
KURIER: Herr Minister, Sie sind offensichtlich das einzige Regierungsmitglied, das schon länger nicht beim Friseur war. Bleiben die Haare nun lang oder gehen Sie jetzt, wo die Geschäfte wieder öffnen, zum Friseur?
Gernot Blümel: Ich werde zum Nachschneiden gehen. Schauen wir, wie meine Stimmung gerade ist, kürzer werden sie auf jeden Fall. Ich werde oft darauf hingewiesen!
Wie haben das Ihre Regierungskollegen im Lockdown erledigt? War ja eigentlich verboten ...
Das weiß ich nicht. Man könnte sich wahrscheinlich die Haare hinten auch selbst irgendwie schneiden. Aber das war nicht ganz oben auf meiner Problemliste.
Ab morgen wird der Lockdown gelockert. Die Sorge ist, dass die Infektionszahlen steigen und bis Ostern wieder vieles verschärft werden muss. Was wäre dann gewonnen?
Wir haben Experten befragt und mit Landeshauptleuten sowie Opposition gesprochen. Die Situation ist wirklich schwierig und wird immer schwieriger, je länger sie dauert. Wir haben uns zu ersten zarten Lockerungen entschieden. Im Bewusstsein, dass die Zahlen wahrscheinlich leicht steigen werden und mit der Hoffnung, dass wir das durch Verschärfungen in anderen Bereichen zeitlich nach hinten schieben können.
Damit sich das mit dem Impfen irgendwie ausgeht?
Damit wir möglichst in die warme Jahreszeit hineinkommen, damit dann schon möglichst viele Menschen geimpft sind. Für die Moral der Menschen, aber auch aus wirtschaftlichen Gründen ist es ein richtiger Schritt.
Ex-Wirtschaftsminister Bartenstein kritisierte im KURIER, dass das Schuldenmachen derzeit belohnt wird und marode Unternehmen durch staatliche Hilfen nicht pleite gehen, wodurch die Selbstreinigung der Wirtschaft ausfällt.
Es ist eine Gratwanderung. Vertreter der Schumpeterschen Theorie sagen, es braucht Insolvenzen, damit wieder Markt-Kapazitäten frei werden. Aber die meisten Firmen hatten vor Corona ja ein funktionierendes Geschäftsmodell und leiden seither unter dem staatlich verordneten Zusperren. Daher war es richtig, in der Phase der staatlichen Intervention Insolvenzpflichten auszusetzen und zu helfen. Das Wirtschaftswachstum kann nur wieder stark anspringen, wenn es noch möglichst viele Firmen mit möglichst vielen Schlüsselarbeitskräften gibt.
Die Debatte über Zombie-Unternehmen wird immer schärfer ...
Es bekommen nur Unternehmen Geld, die schon vor Corona gesund waren – etwa bei den Haftungen. Auch wenn schon ein Insolvenzverfahren anhängig war, hat es viele Unterstützungsmöglichkeiten nicht gegeben. Besser, wir retten ein paar Unternehmen zu viel, als zu wenig.
Japan hat einen gigantischen Schuldenberg von 240 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt – Österreich kommt jetzt auf rund 85 Prozent. Wo ist für Sie ein Limit erreicht, bei 100 Prozent?
Was ist die Benchmark? Das Maastricht-Kriterium von 60 Prozent haben wir auch vor der Krise nicht erreicht, trotzdem hat Österreich eine extrem gute Bonität. Ich mache mir um die derzeitige Staatsverschuldung noch keine Sorgen. Wir werden im nächsten oder übernächsten Jahr keinen ausgeglichenen Haushalt haben, aber sukzessive muss die Neuverschuldung im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung wieder abnehmen. Weil uns das zugetraut wird, genießt Österreich bei allen Ratingagenturen einen so stabilen Ausblick.
Ist es denkbar, dass zum Schuldenabbau ein Solidaritätsbeitrag für alle kommen wird, wie ihn die Deutschen nach der Wiedervereinigung eingeführt haben?
Jetzt über neue Abgaben zu diskutieren, halte ich nicht für sinnvoll. Weil es genau das verhindern würde, was wir jetzt brauchen, nämlich Investitionen und Wachstum.
Zahlt nicht in Wahrheit eh schon viele Jahre der Mittelstand die Schulden wegen der Niedrigzinspolitik?
Deswegen bleibt es unser Ziel, die Steuer- und Abgabenquote weiter zu senken. 40 Prozent der privaten Vermögen liegen auf Sparbüchern, und da findet eine schleichende Enteignung statt.
Soll man Arbeitslosen in der Krise mehr zahlen?
Wir haben im vergangenen Jahr zwei Mal das Arbeitslosengeld für jeweils drei Monate um 150 Euro erhöht. Aber es pauschal und unbefristet zu tun, ist nicht sinnvoll. Wobei ich dafür bin, die Arbeitsmarktpolitik nach der Krise neu zu debattieren. Daher ist es so wichtig, dass wir jetzt den neuen Arbeitsminister Martin Kocher an Bord haben.
Wird es schwierig, die Menschen nach der Krise wieder zurück in die alte Normalität einer Leistungsgesellschaft zu bringen?
Angesichts der hohen Flexibilität unserer Unternehmen mache ich mir da wenig Sorgen. Schauen Sie sich an, wie schnell im Sommer 2020 der Tourismus wieder voll angesprungen ist.
Denken Sie daran, neue Konjunkturanreize zu setzen, z. B. für die Haussanierung?
Vieles davon tun wir bereits, etwa mit der Investitionsprämie. Nachfrageseitig mit der Senkung der ersten Stufe der Lohn- und Einkommenssteuer, mit vielen Transferleistungen. Das hat aber nur bedingt funktioniert, weil die Menschen nicht konsumieren können und sich daher die Sparquote von sieben auf 14 Prozent verdoppelt hat. Rund 13 Milliarden Euro liegen jetzt mehr auf den Sparbüchern. Wenn da entspart wird, wird die Konjunktur wieder anspringen.
Welche Aussichten gibt es für den Tourismus? Der leidet besonders und mit ihm die ganze Wirtschaft.
Der Bereich ist extrem relevant, wir erwirtschaften hier 15 Prozent des BIP, haben 16 Prozent aller Beschäftigten dort. In Ländern wie Spanien oder Italien ist der Tourismusanteil geringer. 50 Prozent aller europaweiten Wintersportnächtigungen finden in Österreich statt. Ein großer Teil des Wirtschaftseinbruchs geht also auf den Tourismus zurück. Das kann aber schnell zurückkommen. Sorgen macht mir der Städte- und Kongresstourismus, weil der stark mit dem internationalen Flugverkehr zusammen hängt.
Auf EU-Ebene konnten Sie zuletzt einen Erfolg verbuchen, der mögliche Rahmen für Unternehmenshilfen wurde kräftig erhöht.
Die Brüssel-Bürokratie ist zu langsam für Corona. Österreichischen Unternehmen schnell und unbürokratisch zu helfen, war von Anfang an ein Problem. Das Beihilfenrecht sollte für die Dauer der Krise überhaupt ausgesetzt werden.
Ist Ihr Glaube an die EU jetzt verloren gegangen?
Bestimmt nicht, ich bleibe überzeugter Europäer. Es gibt für mich keine Alternative zu Europa. Der Brexit ist die größte Katastrophe seit dem Einigungsprozess.
Im EU-Wiederaufbaufonds mit 750 Milliarden gibt es 3,3 Milliarden für Österreich (siehe Bericht unten). Warum wurden da noch keine Projekte eingereicht? Wie wollen Sie das Geld abholen und wofür?
Die österreichischen Einzahlungen werden rund zwölf Milliarden Euro sein, drei Milliarden bekommen wir zurück. Kein besonders gutes Geschäft. Das ist ein Solidarbeitrag für Länder, denen es wirtschaftlich schlechter geht. Natürlich werden wir uns aber jeden einzelnen Euro, der uns da zusteht, zurückholen. Wir haben schon im jetzigen Budget viele Projekte definiert, die in den Rahmen hinein fallen: Digitalisierung, Klimaschutz, Nachhaltigkeit, öffentlicher Verkehr etc. Da wird gerade ein Paket zusammengestellt, die Einreichfrist ist April.
WIFO-Chef Badelt sagt, wenn jetzt alle EU-Länder gleichzeitig zu sparen beginnen, haben wir die nächste Superkrise.
Ich wäre schon froh, wenn es gelingt, die Neuverschuldung zu reduzieren. Die Gefahr des zu großen Sparens sehe ich in Europa nicht.
Hierzulande soll es wieder verstärkt Staatsbeteiligungen geben, wird offenbar auch im Finanzministerium diskutiert. Ein Richtungsschwenk?
Nein, es geht nicht um Verstaatlichung und aktives Beteiligungsmanagement. Wir überlegen aber, ob man die Kredite, die vergeben wurden und die der Staat zu 100 Prozent garantiert, nicht temporär in hybrides Eigenkapital wandeln kann – bevor diese Kredite fällig werden und die Firmen sie nicht bedienen können.
Wie geht es innenpolitisch weiter? Die Grünen stehen unter Druck, die grüne Basis will nicht mehr alles mittragen. Gleichzeitig gibt es eine interessante Annäherung zur SPÖ zumindest in Pandemie-Fragen. Wie stehen Sie zu einer möglichen Neuauflage von Türkis-Rot?
Die Frage stellt sich aus heutiger Sicht überhaupt nicht. Wir haben eine gut funktionierende Koalition, sie steht keinesfalls auf der Kippe. Und wir haben ein Regierungsprogramm, das bis zum Ende der Legislaturperiode gut gefüllt ist.
Haben Sie Angst, dass Ihnen der Koalitionspartner abhandenkommen könnte?
Nein. Es war von Anfang an klar, dass es in dieser Regierungskonstellation immer wieder zu herausfordernden Situationen kommen kann. Im Großen und Ganzen arbeitet die Koalition gut und wir sind bisher gut durch die Pandemie gekommen. Die Krise ist eine Herausforderung für jede Regierung, das haben wir bisher sehr gut gemeistert und gemeinsam viel umgesetzt, um Gesundheit, Arbeitsplätze und Unternehmen zu retten.
Was kann eigentlich die ÖVP tun, um den Konflikt um Asyl- und Flüchtlingspolitik in der Koalition zu entschärfen?
Dass ÖVP und Grüne unterschiedliche Parteien mit unterschiedlichen Ansätzen sind, ist keine Überraschung. Das gilt auch für die Asyl- und Migrationspolitik, das war vor den Koalitionsverhandlungen klar und zeigt sich immer wieder, wenn so ein Thema aufkommt. Ich verstehe aber, dass es für die Grünen eine herausfordernde Situation ist.
Es gibt aber erste Auflösungserscheinungen in der Koalition. Sind Regierungsjahre Hundejahre?
Spitzenpolitik ist zweifellos eine Herausforderung. So schön das Gestalten ist, so groß ist die Herausforderung.
Kann man das ein ganzes Leben lang machen?
Mit Sicherheit nicht.
Haben Sie sich schon einen Laptop zugelegt?
Beruflich, nein. Privat hatte ich immer schon einen.
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