Macht Schule bis 18 Schule?

Macht Schule bis 18 Schule?
Was Politik und Experten wollen: Die neue Schul-Idee im KURIER-Check.

Am Dienstag wird offiziell, was schon seit Sonntag innenpolitisch erregt. Staatssekretär Sebastian Kurz präsentiert den neuen Integrationsbericht. Der KURIER hat am Wochenende veröffentlicht, was die Fachleute begehren: Schule für lernschwache Jugendliche bis 18, damit um drei Jahre länger als jetzt.

Den Regierenden behagt der Vorschlag. „Wir sind sehr interessiert, dass das nach der Wahl in einer großen Koalition umgesetzt wird“, heißt es im SPÖ-Unterrichtsministerium von Claudia Schmied. ÖVP-Vizekanzler Michael Spindelegger möchte diese „Bildungspflicht“ ebenfalls im nächsten Koalitionspakt festschreiben. Der KURIER liefert die Fakten zur Causa.

Was wollen die Integrationsexperten?

Derzeit brechen jährlich 8000 Jugendliche die Schule ohne Abschluss ab, Migranten vier Mal öfter als Nicht-Migranten. Die Perspektive ist trist: Viele sind arbeitslos, leiden unter einem „subjektiven Gefühl der Desintegration“. Und so soll die „Schulpflicht“ durch eine gesetzliche „Bildungspflicht“ ersetzt werden. Das bedeutet: Schüler, die nicht ausreichend Lesen, Schreiben und Rechnen können, werden so lange weiter unterrichtet, bis sie bestimmte Fähigkeiten haben – bis zum 18. Lebensjahr.

Wie könnte das in der Praxis aussehen?

Es gehe nicht darum, das letzte Pflichtschuljahr so lange zu wiederholen, bis es geschafft ist, verlautet aus dem Bildungsressort: „Wir wollen flexible Modulsysteme, damit die Jugendlichen die nötige Qualifikation erwerben.“

Schon im Herbst starten zehn Schulversuche an Polytechnischen Lehrgängen: Bei einem oder mehreren Nicht genügend kann entweder das betreffende Fach oder der ganze Jahres-Stoff wiederholt werden. Das Ganze ist freiwillig. Im Bildungsministerium heißt es: „Derzeit können wir niemanden dazu zwingen. Es fehlt die Rechtsgrundlage. Das wollen wir im Herbst ändern. Das soll Teil des Regierungsprogramms sein.“ Alternative wäre, Bildungsdefizite an Volkshochschulen auszugleichen – schon seit Jänner ist der Pflichtschulabschluss dort kostenlos zu erwerben.

Wie beurteilen die Sozialpartner, die bereits zwei Bildungskonzepte erstellt haben, und Schulexperten den Vorstoß?

Für Wirtschaftskammer-Boss Christoph Leitl ist „nicht entscheidend, wie viele Jahre jemand im Schulsystem verbringt, sondern welches Bildungsniveau erreicht wird. Die Verbindlichkeit von Bildungszielen ist außer Streit zu stellen.“ Kulturtechniken wie Lesen, Schreiben und Rechnen seien aber „frühest möglich“ zu erlernen.

Das meint man auch im Gewerkschaftsbund. „Nur zu sagen, lernschwache Jugendliche müssen drei Jahre länger in der Schule sein, ist zu wenig. Es ist viel früher anzusetzen, etwa mit einem zweiten Kindergartenjahr“, sagt ÖGB-Bildungsexperte Alexander Prischl. Lediglich die Schulpflicht zu erfüllen, „kann es nicht sein. Es sollten Bildungsstandards erreicht werden. Ob nach acht, neun oder zehn Jahren – variabel muss das sein. Zudem ist das nicht nur ein Migranten-Problem. Das betrifft auch Kinder aus Häusern mit problematischem sozialem Hintergrund.“ Für den Bildungsfachmann Andreas Salcher ist „beim Poly anzusetzen, wenn wir über Verlängerung reden“. Das dürfe aber nicht mehr Poly heißen. Es müsse dort auch anders ablaufen als derzeit: „Der Fokus muss darauf gelegt werden, die soziale Kompetenz und das Selbstwertgefühl dieser Jugendlichen zu heben. Die sind ja nicht dort, weil sie zu blöd sind, sondern weil ihnen die Motivation fehlt.“

Was hieße längere Schulpflicht für den Jobmarkt?

Es würde die Arbeitslosen-Statistik verbessern, weil sich diese Jugendlichen nicht „arbeitssuchend“ melden. 53.000 zwischen 18 und 24 sind 2012 nach der Pflichtschule ausgestiegen.

Könnte Schule bis 18 bei der Integration helfen?

Als „einen Mosaikstein in der Integration“ bezeichnet Integrationsexperte Kenan Güngör die Bildungspflicht. Es sei aber auch in die Schülerbetreuung zu investieren; und die Eltern seien stärker einzubinden. Die Bildungspflicht ist für ihn „Reparaturarbeit“: „Man muss schon vorher investieren, damit möglichst wenige Kinder mit 18 davon betroffen sind.“

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