Polaschek: "Herausforderung ist, dass alle die Unterrichtssprache Deutsch lernen"
KURIER: Der Bildungsexperte Andreas Salcher hat kürzlich im KURIER-Interview kritisiert, wir hätten „das zweitteuerste Schulsystem der Welt, es ist aber nicht das zweitbeste“. Was würden Sie ihm entgegnen?
Martin Polaschek: Die Kritik ist nicht neu. Man muss sehen, dass sich Österreich Dinge leistet, die sich nicht in einem einschlägigen Ranking niederschlagen, die aber für Österreich einen großen Wert haben. Das sind insbesondere die Kleinschulen. Wir haben nicht nur die großen Schulzentren in den Städten, sondern – anders als viele andere Länder – viele kleine Schulen in den Regionen draußen. Dort gibt es wenige Klassen, die aber mehr Stammpersonal brauchen. Das bedeutet, dass Kinder von Familien, die am Land leben, nicht eine Stunde oder mehr mit dem Schulbus fahren müssen. Es geht also um den ländlichen Raum: Wir wollen ja, dass die Menschen nicht nur in den großen Städten leben.
Aber ländliche Regionen gibt es ja in anderen Ländern auch …
Ja, aber die Länder, die bei den Schulrankings gut abschneiden, haben diese Struktur eben nicht. Wenn Sie sich Finnland anschauen oder die asiatischen Länder, gerade die Kleinstaaten anschauen, da ist das anders. Finnland hat seine Regionalstruktur völlig geändert, da gibt es nur mehr Großgemeinden mit Gemeindezentren, wo man entsprechend Zeit braucht, dorthin zu gelangen.
Das wäre die Erklärung für die hohen Kosten – aber nicht für die mangelnde Qualität des heimischen Schulsystems.
Für die Einstufung in solchen Rankings gibt es aus meiner Sicht zwei Gründe. Das eine ist, dass sich die Messungen sehr stark auf Naturwissenschaften und Mathematik konzentrieren. In manchen Ländern wird schon in der Volksschule stärker auf diese Fächer gesetzt, aber dafür gibt es oft weniger Kreativfächer. Da gibt es etwa im Unterschied zu Österreich weniger Fokus auf Kunst und Gestaltung sowie Musik. Wenn wir bei solchen Rankings besser abschneiden wollen, dann müssten wir unseren gesamten Fächerkanon umstrukturieren. Wir legen aber bewusst darauf Wert, dass unsere Kinder breiter gebildet werden – während andere Länder ihre Schulsysteme stark auf Rankings ausgerichtet haben. Der zweite Grund ist: Die Länder, die gut abschneiden, sind weitgehend solche mit weniger Migrationssprachen in den Schulen. In Finnland etwa gibt es sehr wenig Menschen mit Migrationshintergrund. Bei uns hingegen besteht die Herausforderung darin, dass überhaupt einmal alle die Unterrichtssprache Deutsch lernen. Das führt natürlich zu gewissen Verzögerungen. Und in den Klassen wird neben Finnisch Englisch gesprochen – weil es kaum Filme u. ä. auf Finnisch gibt; die Kinder wachsen also mit Englisch im persönlichen Umfeld auf.
Ein anderer Kritikpunkt, nicht nur von Salcher, lautet: jeder Fünfte 15-Jährige kann nicht sinnerfassend lesen und beherrscht die Grundrechnungsarten nicht.
Das ist tatsächlich eine Herausforderung. Nicht zuletzt deswegen wurden umfangreiche Förderstundenpakete eingeführt. Worauf wir hinarbeiten müssen, sind Standards, dass man sagt: bis zu einem bestimmten Zeitpunkt müssen die Kinder diese oder jene Kriterien erfüllen. In diesem Sinne werden gerade auch die Lehrpläne für die Primarstufe und die Sekundarstufe I überarbeitet. Die Entwürfe liegen vor und werden gerade begutachtet. Es war einfach lange Zeit so, dass man darauf gesetzt hat, dass Kinder in der Schule „Kompetenzen“ lernen. Das hat aber bedeutet, dass man das Einüben von Fertigkeiten vernachlässigt hat. Wir müssen wieder verstärkt darauf achten, dass Dinge, die man braucht – Schreibfähigkeit, Kopfrechnen etc. – vermittelt werden.
Im ZiB 2-Interview haben Sie kürzlich – nicht zuletzt als Antwort auf den Lehrermangel – für ein „modernes Lehrerbild“ plädiert. Was kann man sich darunter vorstellen?
Es geht darum, klarer herauszuarbeiten, was Lehrer als Beruf bedeutet: nämlich die wunderbare Arbeit mit jungen Menschen, sie bei ihrem Erwachsenwerden zu begleiten. Man hat als Lehrer eine wichtige, höchst verantwortungsvolle Position in der Gesellschaft. Gerade in Österreich wird immer wieder – teils auch zurecht – Kritik an Schule geübt; dabei projizieren aber viele Menschen ihre eigenen schlechten Schulerfahrungen auf die heutige Schule. Und das ist nicht berechtigt. Die Schulen sind heute sehr gut aufgestellt, wir haben engagierte Lehrerinnen und Lehrer. Denken Sie etwa an die Ausstattung der Schulen mit digitalen Endgeräten. Wir brauchen eine bewusste positive Erzählung von Schule.
Da geht es also primär um Imagebildung – was kann da die Politik tun?
Es geht nicht nur um eine Imagekampagne, das wäre zu banal. Wir müssen auch die Rahmenbedingungen schaffen, dass die Lehrer ihre Aufgabe erfüllen können. Dazu gehört die Entlastung von administrativen Tätigkeiten. Es gibt eine Vielzahl an Testungen und Berichtspflichten. Da habe ich heuer im Frühjahr die Anweisung an die Bildungsdirektionen gegeben, alles, was hier nicht unbedingt notwendig ist, zurückzufahren. Auch die Personalvertretung ist gefordert, Vorschläge zu machen, wo sie Möglichkeiten sieht, die Lehrer zu entlasten.
Viele Experten halten ja den Kindergarten für die entscheidende Bildungseinrichtung: weil zum Zeitpunkt des Eintritts in die Volksschule bereits viele biographische Weichen bereits gestellt sind. Braucht es, wie immer wieder gefordert, eine akademische Ausbildung für Elementarpädagogen?
Flächendeckend eine tertiäre Ausbildung zu schaffen, wird aus Ressourcengründen nicht möglich sein. Aber man muss auf jeden Fall dafür sorgen, dass wir eine entsprechende Qualität in der Elementarpädagogik haben und den dort Tätigen das entsprechende Rüstzeug mit auf den Weg geben – auf BAFEP-Ebene, in Kollegs, aber auch mit ergänzenden tertiären Bildungsangeboten.
Sie sind auch für die Universitäten zuständig. Die österreichischen Unis kommen in internationalen Rankings regelmäßig nur unter ferner liefen vor …
Sie kommen nicht unter ferner liefen vor: Wenn man sich anschaut, wie viele Tausende Universitäten es gibt und die österreichischen Unis auf den Plätzen 150 ff. sind, dann ist das durchaus ein respektables Ergebnis. Man muss ja auch berücksichtigen, welche Mittel und Rahmenbedingungen jene Universitäten haben, die ganz vorne dabei sind. Natürlich gibt es Verbesserungspotenzial, aber wir haben tolle Ergebnisse in Forschung und Lehre, wir werben regelmäßig hohe Mittel aus europäischen und internationalen Ausschreibungen ein. Die genannten Rankings bevorzugen im Wesentlichen Unis mit wenig Studenten im Verhältnis zur Mittelausstattung. Das sind vielfach Unis mit Jahresbudgets im Milliardenbereich. Dazu sind sie meist von ihren Wissenschaftsdisziplinen rein auf englischsprachige Publikationen ausgerichtet. Unsere Unis sind breiter aufgestellt – wir haben Bereiche, etwa in den Geisteswissenschaften, wo Englisch nicht die Publikationssprache ist.
Ist nicht ein Problem der Unis, dass wir zu viele Politologen, Soziologen, Publizisten produzieren – und zu wenige Absolventen der MINT-Fächer?
Man muss hier bereits in der Schule ansetzen. Es geht darum, vor allem mehr junge Frauen für die MINT-Fächer zu begeistern. Wir haben immerhin eine wachsende Anzahl an Schulen mit MINT-Schwerpunkten. Ich werde demnächst auch eine entsprechende Initiative vorlegen. Auch an den Unis ist die Zahl der MINT-Absolventen im Steigen begriffen. Wir müssen aber sicher hier noch stärker positiv werben und die jungen Menschen motivieren, sich in diese Richtung auszubilden.
Sie sind erst kurz in der Politik. Vor Ihrer Zeit wurde für die bestehende Koalition aus ÖVP und Grünen der Slogan „Das Beste aus beiden Welten“ geprägt. Erleben Sie das bei Ihrer Arbeit?
Absolut. Ich bin in bestem und engstem Austausch mit dem für den öffentlichen Dienst zuständigen Vizekanzler, wie auch mit den Fachsprecherinnen der Grünen – wir arbeiten sehr gut zusammen.
Ihr Landsmann, der neue steirische Landeshauptmann Christopher Drexler, hat sich in ersten Interviews sehr klar für eine Koalition aus ÖVP und SPÖ ausgesprochen. Sehen Sie das auch so?
Ich glaube, ihm geht es vor allem darum, dass die ÖVP auch in der nächsten Regierung vertreten sein sollte. Das ist eine Frage des Wahlausgangs. Wie gesagt, wir arbeiten sehr gut mit den Grünen zusammen – aber ich könnte mir auch vorstellen, dass eine gute Kooperation mit einer anderen Partei möglich ist. Das ist aber letztlich eine parteipolitische Frage – ich bin parteifreier Minister und als Bildungsexperte in dieses Amt gekommen, daher liegt das nicht in meinem Entscheidungsbereich.
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