Berater des Bundespräsidenten: "Massive politische Krise“

Ex-VfGH-Präsident und Berater des Bundespräsidenten Ludwig Adamovich
Van der Bellen im Wettstreit mit dem Parlament über Misstrauen gegen Kurz.

Er ist 86 Jahre alt und kennt das Innenleben der Republik wie nur Wenige in diesem Land: der ehemalige Präsident des Verfassungsgerichtshofs und langjährige Bundespräsidenten-Berater Ludwig Adamovich.

In seinem langen Leben hat Adamovich, wie er sagt, „die eine oder andere wilde Situation“ erlebt. „Aber so etwas wie jetzt noch nicht. Das hat schon einen spezifischen Gehalt.“

Staatskrise sei es keine, denn dazu würde gehören, dass die Staatsorgane handlungsunfähig sind. „Sie sind aber voll handlungsfähig“, sagt Adamovich. Er nennt die aktuellen Ereignisse „eine massive politische Krise“.

Kern der Krise ist der Zerfall der Bundesregierung.

In dieser Situation wird der Bundespräsident zum Spielmacher. Aber auch dem Staatsoberhaupt sind Grenzen gesetzt, vor allem durch die Mehrheitsverhältnisse im Parlament.

Dominoeffekt

Sebastian Kurz wird Herbert Kickl als Innenminister entlassen. Es steht ihm als Kanzler verfassungsrechtlich zu, die Entlassung des Innenministers dem Bundespräsidenten vorzuschlagen. Politisch löst das einen Dominoeffekt aus: Die FPÖ verknüpft ihr Schicksal mit Kickl. Wird er gefeuert, treten alle FPÖ-Minister zurück.

Dann säßen nur noch die ÖVP-Minister in der Regierung. Sebastian Kurz muss dann dem Bundespräsidenten Personalvorschläge für die vakanten Ressorts machen. Die Rede ist von unabhängigen Experten oder Spitzenbeamten. Kurz’ Problem: Es zeichnet sich ab, dass sich im Nationalrat keine Mehrheit für so eine Art ÖVP-Alleinregierung mit Beamten-Ergänzungen findet. Warum?

Alle gegen Kurz

Die Liste Jetzt hat für die Sondersitzung des Nationalrats am kommenden Montag einen Misstrauensantrag gegen Kanzler Kurz angekündigt. Und dieser könnte durchaus eine Mehrheit bekommen:

Weil die FPÖ auf gut Deutsch stinksauer auf die ÖVP ist und wohl weder Kurz noch einer ÖVP-Alleinregierung ihr Vertrauen aussprechen wird.

Und weil die SPÖ fordert, dass die ÖVP-Minister ihre Ämter räumen. Im Klartext: Die SPÖ fordert den Abgang des Kanzlers. Sie will, dass Van der Bellen die gesamte Bundesregierung mit Experten besetzt, nicht nur die blaue Hälfte.

Die Verfassung erlaubt das dem Bundespräsidenten. Van der Bellen darf zwar einzelne Minister nicht ohne Gegenzeichnung des Kanzlers auswechseln, er darf aber

den Kanzler austauschen, oder

die Bundesregierung in ihrer Gesamtheit des Amtes entheben.

Freie Personalwahl

Danach müsste er irgendwen zum Kanzler ernennen(die Person muss nur das passive Wahlrecht besitzen). Passend wäre zum Beispiel der Präsidialchef im Kanzleramt, meint Adamovich. Dieser neue Kanzler müsste Van der Bellen einige andere Honoratioren für die restlichen Ministerien vorschlagen.

Kann die SPÖ den Bundespräsidenten zur Abberufung von Kanzler Kurz zwingen?

Sie allein nicht. Aber wegen des drohenden Misstrauensvotums im Nationalrat wäre Van der Bellen gezwungen, zu handeln.

Dabei stehen ihm laut Verfassung mehrere Möglichkeiten offen: Er kann, wie beschrieben, Kurz oder die gesamte Regierung entlassen, um einem Misstrauensvotum zuvor zu kommen.

Er kann es auf eine Misstrauensabstimmung im Nationalrat ankommen lassen. Wenn das tatsächlich mehrheitlich durchgeht, „muss der Bundespräsident unverzüglich abberufen“, sagt Adamovich.

Drittens: Van der Bellen könnte die ÖVP-plus-Honoratioren-Regierung ersuchen, ihm die Auflösung des Nationalrats vorzuschlagen. Ein vom Bundespräsidenten aufgelöstes Parlament darf nicht mehr tagen, kann also auch kein Misstrauen mehr aussprechen. Auf diese Weise könnte Van der Bellen Kurz im Kanzleramt halten.

„Damit würde sich der Bundespräsident bei SPÖ und FPÖ nicht sehr beliebt machen“, meint Adamovich trocken. Die Sache hätte aber noch einen anderen Haken: Sie riecht nach den Dreißiger-Jahren, nach autoritärem Durchgriff, was man sich von dem Ex-Grünen Professor in der Hofburg eher nicht vorstellen kann.

Rot-Blau gegen Kurz

Wie Neos und Liste Jetzt abstimmen, ist übrigens unerheblich, sofern Rot und Blau geschlossen abstimmen. 92 Stimmen sind die Mehrheit, diese Summe erreichen – gegen die ÖVP – nur Rot und Blau gemeinsam.

So weit zum Verfassungsrecht.

Politisch wäre es ein seltsamer Start in den Wahlkampf, wenn ausgerechnet die ideologischen Konterparts Rot und Blau gemeinsam den Kanzler stürzen. Was sie eint? Ihr Furor über die ÖVP. Kurz hat beiden Parteien binnen 24 Monaten den Sessel vor die Regierungstür gestellt.

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