Für Deutsche ist es gewöhnungsbedürftig, wenn einen der Bundespräsident alle paar Meter auf einem Wahlplakat anlacht. Aber dafür dürfen Österreicherinnen und Österreicher – wenn auch nicht „alle die hier leben“ (Van der Bellen) – ihren Präsidenten direkt wählen (auf eine Präsidentin warten wir auch in Deutschland noch).
Ein Stresstest für die „Würde des Amtes“: Volksnah um Stimmen werben, ohne dem nach Monaten der Pandemie angeblich demokratie-verdrossenen Volk nach dem Mund zu reden. Das macht Van der Bellen ganz gut.
Fürs Lehrbuch: Genial, wie er den Rechtspopulisten schon wieder das Thema „Heimat“ weggenommen hat. Mit Wahlkampfslogans aus der Nationalhymne: „Vielgeliebtes Österreich“, mit viel Rot-Weiß-Rot, immer mal wieder in der Sprache (nicht: Dialekt) des Kaunertals. Das ist glaubwürdig – obwohl seine Familie, wie viele, einen beachtlichen Migrationshintergrund hat.
Außenpolitik? Gab’s da nicht andere „Lichtgestalten“? Und wer hat danach mit Putin telefoniert? Wenigstens gab Van der Bellen zu, dass auch er den Diktator im Kreml lange falsch eingeschätzt hatte. Da hat er was gemeinsam mit dem deutschen Bundespräsidenten.
Innenpolitik? Auch wenn das im Wahlkampf anders klingt: Da hat der Mann in der Hofburg im Alltag wenig zu melden – oder? Umso wichtiger war er, wenn wir Korrespondent:innen gefragt wurden: „Was ist denn jetzt schon wieder passiert?“ Nicht nur was, sondern wie dieser Bundespräsident darauf antwortete, machte ihn zum guten Anwalt für Österreich, egal, wie viele Österreicher auf Ibiza so sind wie sie sind.
Nach Spitzenwerten für Österreich auf der Hallodri-Skala hat Van der Bellen so wieder einige Sympathiepunkte für sein Land eingefahren: glückliches Österreich.
Außenpolitisch ist Alexander Van der Bellen kein bedeutender Faktor. Auf dem internationalen Parkett stand er vor allem bis zum Oktober des vergangenen Jahres im Schatten des ehemaligen Bundeskanzlers Sebastian Kurz. Dieser übte besonders auf bürgerlich gesinnte Kreise in Deutschland eine eigenartige Faszination aus. Und nun dominiert der Krieg in der Ukraine die internationale Politik: Da bestimmen andere als der österreichische Bundespräsident das Geschehen.
Dieser muss sich damit abfinden, dass er nur eine beschränkte Machtfülle besitzt. Van der Bellen scheint damit keine Probleme zu haben. Wohldosiert hat er in das politische Tagesgeschäft eingegriffen, etwa als im Mai 2019 das Ibiza-Video auftauchte, oder als es im Oktober 2021 den Kanzlerwechsel von Kurz zu Alexander Schallenberg zu bewältigen galt.
Van der Bellen ist nie der Versuchung erlegen, sich als Machtfaktor zu inszenieren. Auch gibt es vom amtierenden Bundespräsidenten keine populistischen Äußerungen. Im Unterschied zu gewissen Kandidaten für das Amt überschätzt er sich nicht.
Die großen Parteien ÖVP und SPÖ akzeptieren den Bundespräsidenten offensichtlich, wobei ihnen auch gefallen dürfte, dass Van der Bellen seine Abneigung gegenüber der FPÖ nur schlecht verbergen kann.
Kurz: Van der Bellen hat in heiklen Situationen für Ruhe gesorgt. Die Vernünftigen unter den Wählern dürften mit ihm und seiner Arbeit zufrieden sein.
Kommentare