Der Punkt ist folgender: Im Covid-19-Gesetz hat das Parlament als gesetzgebende Kraft den zuständigen Gesundheitsminister Rudolf Anschober ermächtigt, durch Verordnungen das Betreten „von bestimmten Orten“ (!) zu untersagen.
Anschober hat daraufhin das Betreten „öffentlicher Orte“ untersagt. Also keine „bestimmten Orte“, sondern quasi die ganze Republik. Genannt sind dann Ausnahmen, die zuletzt adaptiert wurden, da das Land nun wieder hochgefahren wird.
Das Pferd sei von hinten aufgezäumt worden – die Exekutive habe dadurch viel zu viel Spielraum, um Strafen zu verhängen, kritisiert der Wiener Anwalt Christoph Völk, der darin einen Rechtsbruch sieht: „Ein Minister darf nur im Rahmen der Gesetze agieren, sonst ist nicht nur die Verordnung selbst, sondern auch sein Handeln gesetzeswidrig.“
In so einem Fall stünde eine Ministeranklage im Raum – es bräuchte aber eine Mehrheit im Parlament, und der Minister müsste schuldhaft gehandelt haben. Das halten die vom KURIER befragten Verfassungsexperten zwar für „möglich, aber sehr unwahrscheinlich“.
Ob die Verordnung nun den Gesetzesrahmen sprengt – darüber ließe sich unter Juristen vortrefflich streiten, sagt ein weiterer Experte, Theo Öhlinger: „Nach der strengen Wortauslegung vielleicht. Juristen müssen aber auch die Absicht hinter dem Gesetz berücksichtigen.“ Es sei von vornherein allen klar gewesen, dass umfassende Beschränkungen kommen, um das Coronavirus einzudämmen – auch den Abgeordneten, die das Gesetz im Nationalrat einstimmig beschlossen haben.
Eine „juristische Spitzfindigkeit“ also? Das müsste der Verfassungsgerichtshof beurteilen. Bis Freitag gelangten 20 Anträge ein, die der VfGH bei seiner Session im Juni behandeln will. Das Gesetz läuft mit Jahresende aus, die aktuellen Beschränkungen tun das schon am 30. April. Eine größere Tragweite hätte eine Aufhebung durch das Höchstgericht, wenn die Regierung wieder solche Verordnungen erlassen wollte – zum Beispiel, wenn die befürchtete „zweite Corona-Welle“ kommt. Denkbar, dass der Minister dann auflisten müsste, wo genau man nicht hindarf, anstatt Ausnahmen zu nennen.
Wie es ausgeht, kann Experte Funk nicht prognostizieren, fest steht für ihn nur: „Davon, dass in krisenbedingter Eile juristische Fehler passiert sein könnten, wird sich der VfGH nicht beeindrucken lassen.“ Der Rechtsstaat und seine hohen Ansprüche seien virenresistent.
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