Asylanträge: Warum gibt es Verwirrung um die Zahlen?

Flüchtlinge passieren die Grenze zu Tirol.
Neues Asylgesetz in Kraft. Fragen und Antworten.

Heute, am 1. Juni, ist in Österreich das neue, schärfere - und heiß verhandelte - Asylgesetz in Kraft getreten. Wer glaubt, damit beruhige sich die Debatte um Asyl-Obergrenzen, wird enttäuscht. Im Gegenteil: Verwirrung um Asylantragszahlen hat den Streit innerhalb der Koalition neu entflammt. Von "Missinterpretationen" und "Zahlentricksereien" ist die Rede. Konkret geht es darum, welche Asylanträge nun für die Obergrenze relevant sind - und welche nicht. (Siehe auch: Doskozil über neues Asylrechenmodell empört).

Der KURIER bietet Ihnen einen kurzen, verständlichen Leitfaden durch den Dschungel der Begrifflichkeiten.

Fragen und Antworten

Was ist mit "Richtwert" oder "Obergrenze" gemeint? Der Richtwert steht nicht im Gesetz. Er ist nur eine politische Willenserklärung, noch unter Ex-Kanzler Werner Faymann beschlossen, an der die österreichische Regierung aber festhält. Für 2016 sind es 37.500 Asylanträge.

Woran hat sich der jüngste Zahlenstreit entflammt? SPÖ-Kanzler Christian Kern interpretiert den Richtwert so, dass nur jene Fälle gezählt werden, die auch tatsächlich neu zu behandeln sind. Das heißt, es werden alle Dublin-Fälle (siehe unten) abgezogen. Bisher war man davon ausgegangen, dass bereits 22.000 Anträge gestellt wurden und daher die Obergrenze schon im Sommer erreicht werden könnte. Nach Kerns Rechnung sind aber nur 11.000 Anträge für die Obergrenze relevant - diese also noch lange nicht erreicht.

Welche Anträge wurden herausgerechnet? Bei vielen Anträgen ist es noch unsicher, ob Österreich für die Verfahren überhaupt zuständig ist. Erst wenn die Zuständigkeit gemäß der Dublin III-Verordnung geklärt ist, sollen diese Anträge in die Berechnung einfließen.

Ein Teil der Anträge geht aber auch auf den Nachzug von Familien von Asylberechtigten zurück. Bisher war es offizielle Linie der Regierung, sie miteinzuberechnen. Das hat sich nun geändert. Genaue Zahlen zu Familiennachzug und Dublin-Fällen will das Innenministerium allerdings erst morgen bekanntgeben. Im vergangenen Jahr wurden jedenfalls 1300 Personen nach Dublin-Verordnung überstellt. 2014 waren es 1327.

Sind damit alle jetzt glücklich? Von der Neuberechnung zeigte sich nicht nur Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP), sondern auch Kerns Parteifreund Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil irritiert. Doskozil hält das zwar inhaltlich für richtig, kritisiert aber, dass man vollkommene Transparenz walten lassen müsse und alle Zahlen monatlich auf den Tisch gelegt werden müssten. "Wir müssen mit Zahlen sorgfältiger umgehen, sonst machen wir uns bei der Bevölkerung lächerlich."

Haben die Asylanträge in Österreich zugenommen? Das kommt auf den Betrachtungszeitraum an. Ja: In den ersten vier Monaten 2016 lag die Zahl der Asylanträge um 30 Prozent über jener des Verlgeichszeitraums im Jahr 2015 - also noch vor der großen Flüchtlingskrise. Nein: In den Monaten September bis November 2015 erreichten die monatlichen Anträge ihren Höchstwert (monatlich mehr als 10.000 Anträge), seitdem waren es in jedem Monat stets deutlich weniger.

Woher kommen die meisten Flüchtlinge und wer hat Chancen auf Asyl? Hauptherkunftsländer sind Afghanistan und Syrien. Die größten Chancen auf Asyl haben Syrer (84 Prozent positive Entscheidungen) und Somalis (46 Prozent). Die geringsten Chancen haben Nigerianer und Algerier (je ein Prozent positiv).

Was ist der Unterschied zwischen "Antrag stellen" und "eingebrachter Antrag"? Ein Asylantrag gilt erst als "eingebracht", wenn das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eine Anordnung erlassen hat, ob das Asylverfahren in Österreich gestellt wird oder ein Dublin-Verfahren eingeleitet wird.

Was ist das Dublin-Abkommen? 1990 beschlossen, soll es klären, welches EU-Land für ein Asylverfahren zuständig ist, 2013 wurde daraus eine EU-Verordnung - das sogenannte "Dublin III". Es sieht vor, dass Asylbewerber in das Land ihrer ersten Einreise in die EU zurückgeschickt werden können.

Warum funktioniert die Dublin-Regel in der Praxis nicht? Das System ist in der Flüchtlingskrise in den vergangenen Monaten teilweise zusammengebrochen, weil viele EU-Staaten die Flüchtlinge an die Nachbarländer "durchwinken". Österreich gehört zu den Ländern, die eine Reform der Dublin-Verordnung fordern.

Was steht im neuen Asylgesetz? Das Asylpaket ist Ende April im Nationalrat beschlossen worden und beinhaltet drei Kernpunkte: "Asyl auf Zeit", verschärfte Bestimmungen für den Familiennachzug und die Möglichkeit für die Regierung, eine Art Notverordnung zu erlassen.

Was heißt "Asyl auf Zeit"? Der Asylstatus wird nur noch für drei Jahre vergeben. Ändert sich die Sicherheitslage im Herkunftsland, wird der Flüchtlingsstatus aufgehoben und die betroffene Person muss ihre (neu eingeführte) Ausweiskarte abgeben und Österreich verlassen.

Was besagt die Notverordnung? Die Regierung kann bei größeren Flüchtlingsströmen per Verordnung "Sonderbestimmungen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und des Schutzes der inneren Sicherheit während der Durchführung von Grenzkontrollen" einleiten. Diese Bestimmungen hätten zur Folge, dass an der Grenze keine Anträge mehr gestellt werden können, sondern die Flüchtlinge ins jeweilige "sichere" Nachbarland zurückgeschoben werden sollen. Befristet ist diese "Notverordnung" zunächst auf sechs Monate, kann aber drei Mal jeweils um ein halbes Jahr verlängert werden.

Wie viele Flüchtlinge suchen derzeit Jobs in Österreich? Laut AMS waren im Mai 24.461 anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte auf der Suche nach einem Job, das ist ein Plus von 49 Prozent gegenüber dem Vergleichsmonat des Vorjahres. 9.840 kamen aus Syrien, 4.840 aus Afghanistan und 3.410 aus Russland. Rund zwei Drittel von ihnen hatten nur Pflichtschulausbildung.

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